Digitale Vernehmung
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Effizient und präzise: Digitale Vernehmung per App

Die Digitalisierung der Polizeiarbeit in NRW

Ab dem 1. Januar 2026 sollen Strafverfahren in NRW gemäß den Vorgaben des Bundesgesetzes elektronisch durchgeführt werden. Dafür ist eine nahtlose Digitalisierung der Schnittstellen zwischen Polizei und Justiz erforderlich. Eine Neuerung in Nordrhein-Westfalen ist die digitale Vernehmungs-App, die es ermöglicht, Vernehmungen medienbruchfrei und unabhängig des Standortes durchzuführen. Wie die Entwicklung der App zustande kam und welche weiteren Digitalisierungsprojekte in NRW geplant sind, erzählt Ingo Wünsch, Direktor des Landeskriminalamtes in Nordrhein-Westfalen.

Verwaltung der Zukunft: Können Sie uns zu Beginn bitte erzählen, wie die Idee zur Entwicklung der App „Digitale Vernehmung“ entstanden ist?

Ingo Wünsch: Das Thema Digitalisierung ist allgegenwärtig bei der Arbeit der Polizei. Ausschlaggebend für die Entwicklung der App war das ressortübergreifende Projekt "Elektronische Akte in Strafsachen" der Polizei NRW und der Justiz NRW. In dem Projekt werden die Voraussetzungen geschaffen, alle Strafverfahren in NRW digital von der Polizei an die Justiz zu übermitteln. Da macht es natürlich keinen Sinn, die Vernehmungen am PC durchzuführen, sie auszudrucken und hinterher wieder einzuscannen. 

Ingo Wünsch ist seit September 2020 Direktor des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen.
© Innenministerium NRW / Jochen Tack

Die vernommenen Personen sollten auch die Möglichkeit haben, unmittelbar elektronisch zu unterschreiben und den Text zu verändern, falls etwas missverstanden wurde. Davon leben die Authentizität und der Beweiswert einer Vernehmung. Die Möglichkeit, mobil vernehmen zu können, ist dabei ein wichtiger Aspekt, insbesondere wenn Vernehmungen nicht im Büro, sondern z.B. im Krankenhaus oder in Justizvollzugsanstalten stattfinden. Letztlich müssen die Unterlagen im elektronisch geführten Strafverfahren dann auch digital an die Justiz übermittelt werden. 

Die Frage lautete also: Wie können wir die Vernehmung auch mobil komplett medienbruchfrei digital durchführen, in unser System bringen und anschließend digital zur Strafakte an die Justiz übermitteln? Unsere Lösung besteht darin, die Vernehmung mit Hilfe eines Tablets durchzuführen, auf dem alle Daten rechtlich sauber und im Einklang mit der Strafprozessordnung aufgenommen werden. Anschließend übermitteln wir diese Vernehmung im Strafverfahren komplett digital auf dem rechtlich vorgeschriebenen Weg an die Justiz.

VdZ: Wie sieht die App-Entwicklung in der Praxis aus?

Wünsch: Wir haben die App in ganz enger Abstimmung gemeinsam mit dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in NRW entwickelt. Der fachliche Input kommt dabei von uns und das LZPD NRW kümmert sich als IT-Dienststelle um die Technik und um den technischen Betrieb. Wir überlegen dann auch gemeinsam, wie die Umsetzung aussehen soll. 

Der Clou war, dass wir bei der Entwicklung der App sehr intensiv die tatsächlichen User einbezogen haben und ihnen kein fertiges Produkt vorgesetzt haben. Wir haben gefragt: Was braucht ihr? Wie muss es aussehen? Wie ist die Menüführung am einfachsten? Deshalb ist das Ergebnis auch so überzeugend.  

VdZ: Wie funktioniert die digitale Vernehmung mithilfe des Tablets genau?

Wünsch: Jedes einzelne Tablet ist einer Beamtin bzw. einem Beamten zugeordnet. Wenn ich Sie beispielsweise vernehmen würde, würde ich die Fragen und anschließend die Antworten, die Sie mir geben, in die App eintragen. Nach Abschluss dieser Eingabe wird Ihnen das Tablet übergeben. Alle Hintergrundinformationen und die Tastatur werden in diesem Moment gesperrt und können nicht mehr genutzt werden. Sie haben jedoch die Möglichkeit, mittels des elektronischen Stiftes Anmerkungen zu machen, falls etwas missverstanden wurde. Und Sie können die Vernehmung unterschreiben. Wenn Sie mir das Tablet zurückreichen, unterschreibe ich ebenfalls mit dem Pencil und entsperre den Zugang zum System durch meinen Fingerabdruck. Auf diese Weise wird die Vernehmung vollständig digital abgeschlossen.

Bereits seit September 2024 nutzen erste Ermittler:innen (knapp 200 Polizeikräfte in Aachen, Düren und beim LKA NRW) die neue digitale Vernehmungs-App der Polizei NRW. Der landesweite Rollout durch das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW für insgesamt 2.500 Polizist:innen hat im Februar 2025 begonnen.

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VdZ: Wie wird sichergestellt, dass die App den rechtlichen Vorgaben, insbesondere in Bezug auf Datenschutz, entspricht?

Wünsch: Die Übertragungswege sind selbstverständlich sicher. Die App läuft ausschließlich über das Polizeinetz, was höchste Sicherheit garantiert. Sobald ich das Gerät aus der Hand gebe, wird es gesperrt und kann nur durch meinen Fingerabdruck wieder entsperrt werden – das sorgt für zusätzliche Sicherheit. 

Natürlich wurde auch alles mit dem Datenschutzbeauftragten der Polizei abgeklärt, um garantieren zu können, dass der Datenschutz durchgehend sichergestellt ist und alles im Einklang mit der Strafprozessordnung steht. Alle Ihre Rechte als Zeuge oder Zeugin, einschließlich der Belehrung, sind in der App hinterlegt. Das war alles technisch eine Herausforderung, konnte aber erfolgreich umgesetzt werden. 

VdZ: Wurden die Beamten vor der Nutzung der App speziell geschult?

WünschDie App ist so intuitiv konzipiert, dass es keiner besonderen Schulung bedarf. Es gibt eine Testversion in der App, mit der man das System einmal durchspielen kann und so gut durchgeleitet wird, dass es keiner weiteren Erklärung bedarf. Durch ihre Ausbildung sind die Kolleginnen und Kollegen darüber hinaus sowieso sicher, was grundsätzliche Vernehmungspraktiken an sich betrifft. 

Was mich besonders freut, ist, dass die Funktionalität der App auch im Büro genutzt werden kann und von der Usability her deutlich besser ist als das, was wir bislang am Arbeitsplatz hatten. Es ist also nicht nur eine tolle Lösung für unterwegs, sondern auch für Vernehmungen auf der Dienststelle. 

VdZ: Wie reagieren Vernehmungspersonen auf die App?

Wünsch: Da gibt es schon Unterschiede vor allem in Bezug auf das Alter der Personen. Für ältere Menschen ist die Vernehmung mithilfe der App vielleicht manchmal etwas ungewohnt und erklärungsbedürftig, für junge Leute hingegen ist es völlig normal. Junge Leute wären eher irritiert, wenn wir unterwegs anfangen würden, in unsere Kladde zu schreiben – das entspräche dem Bild eines angestaubten Beamten. 

Grundsätzlich wird die App sehr positiv angenommen. Eigentlich erwartet man das auch, wenn man auf eine moderne Polizei trifft, dass diese auch modern agiert. Nicht zuletzt ist die Polizei durch die App auch viel besser auf die Bedürfnisse der Menschen eingerichtet. Wir können z.B. stark bewegungseingeschränkte Menschen auch zu Hause oder im Krankenhaus aufsuchen. Wenn es aus Opferschutzgründen oder kriminalistisch geboten ist, können wir besonders sensible Opfer wie Kinder auch in der vertrauten Umgebung befragen. 

VdZ: Welche konkreten Verbesserungen haben sich durch den Einsatz der App in der Ermittlungsarbeit gezeigt?

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Durch die App werden wir schneller und sind auch genauer.

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Wünsch: Wahrnehmungen verwaschen mit der Zeit immer ein bisschen und man ist möglicherweise auch äußeren Einflüssen nachträglich ausgesetzt. Je zeitlich näher wir also an dem Geschehen dran sind und je kurzfristiger wir Personen befragen können, desto klarer ist dann auch die entsprechende Aussage. 

Die App wird ja nicht nur bei Kriminaldelikten, sondern auch bei Verkehrsdelikten verwendet. Wenn man dort direkt vor Ort vernehmen kann, sind die Geschehnisse viel klarer und präsenter. Und wir haben die Aussage direkt in das Verfahren integriert und können weitere Ermittlungsschritte daraus ableiten. Sehr gut angenommen wird auch die Möglichkeit, Personalausweise einzulesen oder Skizzen einzufügen. Das heißt, durch die Nutzung der App werden wir schneller und sind auch genauer.  

VdZ: Derzeit wird die App nur für Erwachsende verwendet: Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um die App auch für die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen nutzbar zu machen?

Wünsch: Grundsätzlich ist die Vernehmung von Kindern immer eine besondere Herausforderung. Da muss die Nutzung des Tablets auch kindgerecht sein; daran arbeiten wir noch. Bei der Vernehmung von Kindern gelten auch noch mal andere rechtliche Voraussetzungen, Belehrungsvorschriften, Bestimmungen, wer dabei sein kann, etc. Es kann für ein Kind definitiv angenehmer sein, im gewohnten Umfeld zu Hause vernommen zu werden als in einer Polizeidienststelle, von daher ist die Nutzung der App auch hier in Zukunft wichtig und sinnvoll. Dann muss das Handling natürlich einfach stimmen und die Nutzung der App so reibungslos wie nur möglich integriert werden. Das sind aber die nächsten Schritte.

VdZ: Die Arbeit der Polizei ist in der Regel Ländersache. Gibt es dennoch Pläne, die App auf Bundesebene auszurollen?

Wünsch: Wir machen das im Moment erst mal nur in NRW, da wir im Bereich "Elektronische Akte in Strafsachen" schon relativ weit fortgeschritten sind. Die Themen Medienbrüche und Mobilität stellen sich aber natürlich überall. Eine App in dieser Form gibt es jedoch in den anderen Bundesländern meines Wissens derzeit nicht. Wir bieten aber natürlich auf Nachfrage gerne unsere Expertise an.

VdZ: Sind weitere Projekte in der Pipeline, um die digitalen Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei zu verbessern?

Wünsch: Ja, das ist die Zukunft. Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Apps. Eine App, die ich klasse finde, ist die VU-App, also die Verkehrsunfall-App. Dadurch kann ein Verkehrsunfall in Zukunft direkt elektronisch aufgenommen werden und rein digital behandelt werden. Die Leichenschau-App ist ein weiteres Thema für uns im LKA. Wenn beispielsweise eine ungeklärte Todesursache vorliegt, fahren wir als Kriminalpolizei an den Sterbeort und machen eine Leichenschau, d.h. wir beschreiben den verstorbenen Menschen sehr genau. Da sind viele Details gefragt. Auch das ist mit einer App sehr viel einfacher, die beispielsweise aus den Daten, die ich eingebe, direkt einen Text formuliert. 

Speech-to-text-Systeme sind hier für uns natürlich ebenfalls sehr interessant. Also die App-Entwicklung ist die Zukunft, um bestimmte definierte Prozesse wirklich deutlich zu vereinfachen und Mobilität zu gewinnen. Da entwickeln wir immer weiter.  

VdZ: Können Sie uns etwas zu den Kosten der App-Entwicklung verraten?

Wünsch: Digitalisierung, wenn man sie ernsthaft vorantreiben möchte, kostet Geld, keine Frage. Eine absolute Summe zu nennen fällt aber schwer, da die App-Entwicklung nur ein Teil, quasi ein einzelner Baustein in einem viel umfassenderen Projekt ist. Es müssen auch zum Teil erst einmal die Bedingungen geschaffen werden, um eine solche Entwicklung anzustoßen. Also Sie merken schon, da hängt so viel mehr dran, als man zunächst vermutet. Aber eines steht fest: Unterm Strich wird es sich auszahlen in Digitalisierung und damit in die Zukunft zu investieren und das ist es, was wir tun.

VdZ: Wie wird die Finanzierung des digitalen Ausbaus der Polizeiarbeit in NRW gesichert?

WünschEs geht immer darum, zu priorisieren. Es gibt einen uns zur Verfügung stehenden Haushalt, und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir mit dem Geld, das uns zugeteilt ist, zurechtkommen. Auch innerhalb der App-Entwicklung müssen wir abwägen, was in einem Jahr finanziell möglich ist. Die Dynamik der digitalen Entwicklungen in der freien Wirtschaft kann die öffentliche Hand so nicht mitgehen. Wir überlegen, welche Maßnahmen den größten Kosten-Nutzen-Effekt für uns und unsere Aufgaben haben. Kurz: Was ist am effizientesten und was hat für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie fachlich den größten Nutzen.

📅 Ingo Wünsch als Diskussionsteilnehmer auf dem 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie

16. Juni 2025, 13:30 - 14:00 Uhr: Spitzenrunde I

Weichenstellungen für eine moderne, effiziente und digitale Polizeiarbeit - Welcher Hebel bedarf es?

7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie

  • 16. - 17. Juni 2025

  • Kongresscenter im Hotel de Rome

Der Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie unter der Kongresspräsidentschaft von Wolfgang Bosbach versammelt einmal jährlich die führenden Köpfe aus Politik, Sicherheitsbehörden, Bundeswehr, Zivilgesellschaft, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft rund um das Themenfeld der Sicherheit. Was 2018 mit dem Schwerpunkt Innere Sicherheit begann, hat sich über die Jahre angesichts der neuen Bedrohungs- und Gefährdungslagen von außen und innen zu einem Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt entwickelt.

Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.