Digitales Rathaus - Serie
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Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 5: Diskussion

Betrachtet man die aufgezeigte inhaltliche Breite des Verwaltungshandelns, die Vielfalt der Anspruchsgruppen und deren Interaktion mit der öffentlichen Verwaltung sowie die Vielschichtigkeit der öffentlichen Verwaltung im föderalen Mehrebenensystem, scheint eine Verengung auf den Bereich der OZG-Fachverfahren nicht zielführend. Sie vernachlässigt die Herausforderungen, vor denen der öffentliche Sektor steht und verstellt den Blick auf die Potentiale, die eine nachhaltige digitale Transformation für die öffentliche Verwaltung freisetzen kann.

Aktuelle Zahlen des DStGB (Zukunftsmonitor Digitale Kommune 23) bestätigen, dass die Befragten den Nutzen von Verwaltungsdigitalisierung und -Vernetzung sehen: 89% schätzen den Nutzen der Verwaltungsdigitalisierung als “sehr hoch“ oder „hoch“ ein und 66% kommen zur gleichen Einschätzung für die Bereichs-übergreifende Vernetzung. Immerhin 72% sehen Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der Verwaltung, jedoch nur 30% bei der Bereichs-übergreifenden Vernetzung. Lediglich 18% der Kommunen haben eine fertige Digitalisierungsstrategie.

Wie kann nun also die digitale Transformation auf eine nachhaltigere, bereite Basis gestellt werden? Ein erster Schritt kann darin bestehen, die Begrifflichkeiten unmissverständlicher zu sortieren. Es wird vorgeschlagen, die bisher entwickelten Plattformen als “(OZG-)Antragsportale" zu bezeichnen. Die Begriffe, die auf spezifische Orte wie „Digitales Verwaltungszentrum“ (Rathaus, Kreishaus, RP etc.) hinweisen, sollten stattdessen für Kommunikations- und Kollaborationsplattformen reserviert werden, die alle Aufgabenbereiche, Anspruchsgruppen und Verwaltungsebenen umfassen.

Wie die Digitalisierung vereint
Struktur

Wie die Digitalisierung vereint

Chief Digital Officers (CDOs) im öffentlichen Sektor gehen gemeinsam voran!

Anforderungen an Kommunikations- und Kollaborationsplattformen

Aus den in den drei Bereichen angestellten Überlegungen ergeben sich konkrete Anforderungen an entsprechende Kommunikations- und Kollaborationsplattformen:

  • Maximale, ortsunabhängige Abdeckung des vielschichtigen Verwaltungshandelns in seinen unterschiedlichen Kommunkations-, Kollaborationsformaten und Interaktionsformaten: 1:1-Gespräch, Besprechungen, Workshops, Projekte, Sitzungen, Vernetzung, sozialer Austausch, Kundenkontakt, Bürgerbeteiligung uvm.
  • Einnahme einer “menschenzentrierten” Perspektive: nicht nur “High Tech” sondern eben auch “High Touch” und damit die Frage, wie die beteiligten Individuen in technischen Systemen wie einem digitalen Rathaus miteinander interagieren. Genau wie die “Kunden” der Verwaltung nicht für alle ihre Anliegen ausschließlich mit einem technischen System interagieren können und wollen, beschränkt sich die Interaktion der Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung nicht auf tippen, klicken und scrollen.
  • Vertikale und horizontale Durchlässigkeit für maximale Vernetzung und Zusammenarbeit mit innerhalb und zwischen den Verwaltungen im föderalen Mehrebenensystem, Bürgern, Unternehmen und Partnern.

Eine Erfüllung aller geschilderten Anforderungen in einer einzigen Lösung ist natürlich nicht zwingend. In der konzeptionellen Gesamtschau sollte allerdings bedacht sein, dass Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung heute häufig beklagen, dass Anwendungen zu häufig gewechselt werden müssen: zu viele “Kanäle”, “Tools” und “Programme”. Die Pandemie und das OZG haben zur Einführung vieler digitaler Neuerungen in schneller Folge und damit zur Überforderung Vieler geführt. Die Nachhaltigkeitsperspektive auf Verwaltungsdigitalisierung führt an Konsolidierung dieser Landschaften nicht vorbei. Das betrifft die Prozess-Seite im Sinne einer Klärung insbesondere im Bereich Kommunikation und Kollaboration - welches Tool bzw. welcher Kanal für welche Kommunikations- bzw. Kollaborations-Bedarfe? Jedoch wird die Zahl der zu bedienenden Anwendungen dadurch nicht signifikant sinken. Konsolidierung wird daher immer auch Bündelung bedeuten müssen, um Mitarbeitenden einen Ort zu geben, der ihnen Überblick und Kontrolle über die Aktivitäten und Handlungsbedarfe in den verschiedenen Anwendungen bietet. Ob dies nun ein “Dashboard” ist oder man mittels der Metapher “Schreibtisch” auf bereits Gelerntes verweist, ist eine Frage für UX-Experten.

Und es ist eine kulturelle Frage. Die nächste Welle an neuen Anwendungen steht mit der künstlichen Intelligenz bereits vor der Tür und auch die Themen VR / AR / XR sind keinesfalls “vom Tisch”. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Vorstellung (und ein Haltung) zur Frage entwickeln, wie wir in Zukunft in und mit der öffentlichen Verwaltung zusammenarbeiten werden. Eine rein technik-zentrierte Sichtweise, die lediglich die Einführung bestimmter Anwendungen für bestimmte Verfahren oder Prozesse mit dem Ziel maximaler Automatisierung im Blick hat, wird auf kurz oder lang zu überkomplexen Landschaften führen. Eine klare konzeptionelle Vorstellung eines durch unsere eigene Kultur geprägten Rahmens wird umgekehrt helfen, auch die nächste Generation digitaler Anwendungen ohne Überforderung in den Alltag der Menschen (Verwaltungsmitarbeitende UND Bürger) zu integrieren. Ziel muss es sein, Menschen im digitalen Zeitalter zum “Mit-tun” am Gemeinwesen zu motivieren: sei es als Mitarbeitende(r), Bürger, Unternehmen, Interessenvertreter etc.

Innovative Ansätze zur Stadtentwicklung und Verkehrsoptimierung
Cars Schachtner

Innovative Ansätze zur Stadtentwicklung und Verkehrsoptimierung

Einsatz von Microcars und autonomen Shuttles

Zukünftige Herausforderungen nur durch nachhaltige Digitalisierung zu bewältigen

Ist der Erfüllungsaufwand mit Blick auf den absehbaren Fachkräftemangel (nicht nur) in der öffentlichen Verwaltung durch eine auf maximale Automatisierung der Fachverfahren konzentrierte digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung zu bewältigen. Die Größe der Fachkräftelücke hängt nicht nur von der (kaum noch zu beeinflussenden) Demographie ab, sondern eben auch davon, wie attraktiv es in Zukunft sein wird, für den öffentlichen Sektor zu arbeiten. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes als singuläres Argument scheint hier nicht ausreichend. Vielmehr sind attraktive, flexible Arbeitskonzepte gefragt, die auch für Menschen attraktiv sind, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben oder die ggf. auch weiter entfernt wohnen. Flexiblität wird auch im Hinblick auf die Allokation insb. spezialisierter Fachkräfte nötig sein, z.B. in Form von IKZ’s, die sich Mitarbeitende “teilen”.

Die Fähigkeit der öffentlichen Verwaltung, ihren Kunden akzeptable “Service-Level” zu bieten, ist elementar - dies kann man an der “Unruhe” erkennen, die sich angesichts einer heute bisweilen überfordert wirkenden öffentlichen Verwaltung (Wartezeiten, schleppende Digitalisierung uvm.) einstellt. Der Eindruck von Überforderung an sich ist bereits problematisch - kombiniert mit einer “nicht nahbaren” Verwaltung als “dystopische Datenmaschine”, die kein “Gesicht zeigt” und nicht zum “digitalen Mitmachen” einlädt, wird daraus ein gefährlicher Cocktail.

Last but not least muss die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung auch dazu beitragen, die Reaktionsgeschwindigkeit in einer Welt mit immer schneller auftretenden Veränderungen zu verbessern. So gesehen ist die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung ein wichtiges Element der Resilienz in politisch und klimatisch instabilen Zeiten.

Alle Teile zum Nachlesen:

🔗 Teil 1

🔗 Teil 2

🔗 Teil 3

🔗 Teil 4