Die Kommune als Lebensort der Demokratie
Das Netzwerktreffen Bürgerhaushalt startete mit vielen Fragen und verschiedenen Sichten auf Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie
Svetlana Alenitskaya, die das Netzwerk koordiniert, zeigte sich einerseits betrübt darüber, dass ein Live-Treffen nicht möglich war, betonte aber andererseits, dass sich für das digitale Treffen 150 Teilnehmende angemeldet hatten – mehr als jemals zuvor. Liegen also vielleicht in digitalen Formaten sogar Chancen für eine größere Bürgerbeteiligung?
Digitales Vernetzen erhält Bürgerbeteiligung aufrecht
Und noch eine weitere Frage stand konsequent im Raum: Ist 2020 ein verlorenes Jahr für die Bürgerbeteiligung? Dies hatte das „Berlin Institut für Partizipation“ vermutet. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, griff diese These in seiner Grußbotschaft auf und beschrieb unterschiedliche Szenarien, wie die Kommunen mit den Beschränkungen umgehen: Einige haben ihre Bürgerhaushalte eingestellt, andere haben das Geld genutzt, um Corona-Hilfen aufzusetzen, wieder andere haben die Verfahren der Bürgerbeteiligung beibehalten.
Krüger rief dazu auf, Bürgerbeteiligung unbedingt aufrechtzuerhalten, denn kritisches Nachfragen und aktive Teilnahme sind Instrumente, die die Demokratie stärken. Sie können, so Krüger weiter, gesellschaftlichen Polarisierungsprozessen, wie wir sie gerade erleben, entgegenwirken. „Wir brauchen reflektierte und aktive Bürger, die das Gefühl haben, in der Gesellschaft etwas bewirken zu können“, so Krüger. „Gut durchdachte Bürgerbeteiligungsverfahren sind die Grundlage unserer Demokratie.“ Unter den veränderten Bedingungen müsse man neue, digitale Wege gehen, so wie es das Netzwerk Bürgerhaushalt getan hat. Denn digitales Vernetzen kann die Bürgerbeteiligung aufrechterhalten.
Wo Bürgerbeteiligung Tradition hat
Die österreichische Stadt Graz ist eine Stadt mit einer langen Beteiligungs-Tradition, „über alle politischen Generationen hinweg“, wie Siegfried Nagl es salopp auf den Punkt brachte. Der Bürgermeister der Stadt Graz berichtete über das Bürgerbudget, über das die Grazerinnen und Grazer verfügen können und auch über die Verankerung auf kommunaler Ebene: So gibt es ein eigenes Referat für Bürgerbeteiligung, es wurden Leitlinien beschlossen und ein Bürgerbeteiligungsbeirat schaut auf die Projekte, die die Stadtverwaltung umsetzen will. Sein Fazit: „Seitdem gibt es weniger Konflikte zwischen Bürgerinnen, Bürgern, Stadtverwaltung und Politik.“
Bürgerbeteiligung oder direkte Demokratie? Was ist was?
Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie, verneinte die Frage, ob 2020 ein verlorenes Jahr sei: „Wir haben mitunter mehr Beteiligung in digitalen Formaten, als wenn wir in einen Saal einladen“, so seine Erfahrung der letzten Wochen und Monate. Mit ihm klärte Jürgen Zurheide, der das Eröffnungsplenum moderierte, eingangs auch den Unterschied zwischen den Begriffen „Bürgerbeteiligung“ und „direkte Demokratie“. Bürgerbeteiligungsverfahren, zu denen der Bürgerhaushalt gehört, sind unverbindlich. Sie tragen lediglich einen ratgebenden Charakter, entweder nehmen die demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter diesen Rat an oder nicht. Im Gegensatz dazu haben Verfahren der direkten Demokratie, etwa Bürgerbegehren, einen verbindlichen Charakter. Ihre Entscheidung gilt. Direkt-demokratische-Verfahren wurden nach der Wende in allen Landesverfassungen verankert.
Hürden der digitalen Kommunikation
Prof. Caja Thimm wurde als Expertin für digitale Demokratie hinzugezogen: Wo hilft Digitalisierung? Wo bremst sie? „Wir erleben gerade ein Wegbrechen von Hürden, was die digitale Beteiligung betrifft. Menschen sind durch die Corona-Krise stärker dazu gezwungen, sich mit dem Thema Digitalisierung zu beschäftigen.“ Jedoch, so Caja Thimm weiter, können nicht alle Menschen so teilnehmen, wie sie möchten. Die Gründe seien unterschiedlich, etwa kann es aufgrund von Alter oder technischem Verständnis, aber auch aus kulturellen Gründen schwierig sein, sich mit digitaler Kommunikation vertraut zu machen. Die Kommunen sieht Prof. Thimm als Lebensort der Demokratie; darum sei ist so wichtig, dass ausreichend Gelder für eine Bürgerbeteiligung zur Verfügung stünden.
Verankern und Verstetigen
Dr. Christian Huesmann, Projektmanager im Projekt “Demokratie und Partizipation in Europa” der Bertelsmann Stiftung, sprach sich für Bürgerbeteiligungsbeauftragte in den Kommunen und Ministerien aus: „Nur so können wir eine Verankerung und Verstetigung der Verfahren erreichen.“ Zu groß sei bisher die Abhängigkeit der Bürgerbeteiligung von den Gegebenheiten in einzelnen Kommunen und Gebietskörperschaften. Bürgerbeteiligung scheiterte oft daran, dass sich Kommunen nicht oder kaum mit technischer Infrastruktur oder den politischen Voraussetzungen beschäftigt hätten.
Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den Stefan Diefenbach-Trommer verwies, ist die Gemeinnützigkeit. Der Vorstand der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" machte darauf aufmerksam, dass oftmals ungleiche Gegner gegeneinander anträten. Etwa wenn eine Bürgerinitiative, die sich gegen eine Autobahnanbindung ausspricht, auf durch Unternehmen finanzierte Initiativen trifft, die sich von der Anbindung eine höhere Wirtschaftlichkeit versprechen.
Vom Bürgerhaushalt zum Bürgerbudget
Als großen Fortschritt bezeichnete Volker Vorwerk (Netzwerk Bürgerhaushalt; Bürgerwissen) den Schritt vom Bürgerhaushalt zum Bürgerbudget. Während der Bürgerhaushalt auf einer Vorschlagsliste beruhe, gehe es beim Bürgerbudget um eine konkret festgesetzte Summe. Entsprechende Vorschläge, die für ein Bürgerbudget eingehen, würden häufiger umgesetzt, die engagierten Menschen sähen also in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe einen unmittelbareren Erfolg. Bezogen auf die veränderten Beteiligungsmöglichkeiten während der Corona-Krise, so merkte Volker Vorwerk an, fehle es momentan an digitalen Abstimmungsverfahren. Eine Baustelle, für die jede Kommune in Zukunft eine Lösung finden muss.