Simone M. Neumann / Wegweiser
© Simone M. Neumann / Wegweiser

Transformation der Verwaltung - ein Mega-Modernisierungsprojekt

Interview mit Prof. Dr. Kristina Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

Die Verwaltungsdigitalisierung sollte durch das OZG verbessert werden. Jetzt läuft das OZG aus - eine Erfolgsgeschichte? Viele Experten und Politiker fordern eine Weiterentwicklung. Wir sprachen mit Prof. Dr. Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, über den digitalen Fortschritt in Hessen, das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern und die Erfolge des OZGs.

VdZ: Sehr geehrte Frau Staatsministerin Prof. Sinemus, was sind die Gründe, dass Deutschland schleppend in der Digitalisierung der Verwaltung (bspw. Umsetzung OZG) vorankommt? 

 

Sinemus: Das Onlinezugangsgesetz ist der Treiber der Verwaltungsdigitalisierung und wir können sehr dankbar sein, dass wir mit dem Gesetz diesen Weg eingeschlagen haben. Denn mit dem OZG haben wir die Grundlagen für einen umfassenden Transformationsprozess und die kontinuierliche Digitalisierung der Verwaltung gelegt.

Prof. Dr. Kristina Sinemus, Digitalministerin
© Geschäftsbereich der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

Aktuell haben wir bereits rund 300 Leistungen umgesetzt. Natürlich wären wir gerne schon weiter. Aber die digitale Transformation der Verwaltung ist ein Mega-Modernisierungsprojekt, das nur durch Zusammenarbeit über Ländergrenzen und Verwaltungsebenen hinweg gelingt. Erstmals arbeiten Bund, Länder und Kommunen in dieser Dimension an der gleichen Aufgabe. Dies geschieht sinnvollerweise durch das „Einer für Alle-Prinzip“ (EfA). Allerdings wurde hierfür zunächst methodisch, technisch, juristisch und organisatorisch Neuland betreten und es mussten übergreifende Fragen außerhalb der Umsetzungsprojekte von vielen Akteuren im laufenden Prozess geklärt werden, bevor mit der eigentlichen Arbeit, der Digitalisierung einzelner Leistungen, begonnen werden konnte. Man muss offen ansprechen, dass die föderale Struktur, das starke Ressortprinzip, aber auch die kommunale Selbstverwaltung und die riesige Anzahl an Akteuren in einem so großen Land wie Deutschland ein koordiniertes, abgestimmtes Vorgehen oft erschweren. Auch der Rechtsrahmen verschiedener Gesetze ist – aus der Digitalsicht – nicht optimal. Unterschiedliche Regelungen zu Datenschutz und Barrierefreiheit oder das Schriftformerfordernis zwingen zu aufwändigen technischen und organisatorischen Lösungen. Fehlende verbindliche Standards und zentrale Lösungen stellen im gleichen Maße wie klare finanzielle Verantwortlichkeiten eine Herausforderung dar, gerade auch bei der Nachnutzung von länderübergreifenden Lösungen und Anwendungen im Kommunalbereich. Hier müssen viele Abstimmungen erfolgen, um die eigentliche Digitalisierungsarbeit erledigen zu können.  

Wir können aber festhalten, dass sich das EfA-Prinzip bewährt hat. Alle Länder arbeiten mit Hochdruck an der Fertigstellung der eigenen Leistungen und den EfA-Leistungen – und an der Schaffung von technischen, rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Strukturen zur Nachnutzung von diesen Leistungen. Einige EfA-Leistungen sind bereits in Betrieb und angebunden, wie zum Beispiel das OZG Breitband-Portal, das unter Federführung von Hessen und Rheinland-Pfalz entwickelt wurde und zur deutlichen Beschleunigung kommunaler Genehmigungsprozesse beim Breitbandausbau führt.  

 

VdZ: Kommunen werden von Ihnen mit Förderungen unterstützt. Wo steht Hessen beim Thema Digitalisierung?

 

Sinemus: Wir haben der Digitalisierungsoffensive des Landes in dieser Legislaturperiode mit der ressortübergreifenden Bündelung und Steuerung der Digitalisierungsmaßnahmen durch mein Haus und einem inzwischen 1,2 Milliarden Euro starken Digitalbudget einen deutlichen Schub gegeben.

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Das Land hat die Rahmenbedingungen geschaffen, dass Kommunen ihre Verwaltungsleistungen digital anbieten können, ohne das Rad neu zu erfinden. Die konkrete Umsetzung liegt dann in der Verantwortung der einzelnen Kommune.  

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Wir denken Digitalisierung im Querschnitt und orientieren uns klar am Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft, für Kommunen und Verwaltung. Grundlage ist unsere übergreifende Strategie „Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist“.  

Wesentliche Voraussetzung der Digitalisierung ist unter anderem eine flächendeckende, leistungsfähige und innovative Infrastruktur. Hierzu zählt die Versorgung mit Gigabitnetzen und 5G für eine leistungsfähige und schnelle Datenübertragung ebenso wie energieeffiziente, nachhaltige Rechenzentren. Hier haben wir in den vergangenen vier Jahren für mehr Dynamik gesorgt und mit unserer Gigabitstrategie insbesondere auch einen Schwerpunkt im ländlichen Raum gelegt. Das schlägt sich in sehr guten Versorgungsdaten nieder, die beständig weiter gesteigert werden.  

Auch bei der Verwaltungsdigitalisierung sind wir – wie in der Frage zuvor erwähnt – entscheidende Schritte vorangekommen. Als Unterstützung für die Kommunen bieten wir unter anderem „Digitalisierungsfabriken“ an, in denen mithilfe des hessischen IT-Dienstleisters ekom21 und kommunalen Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Fachbereichen Standardlösungen gebaut und den hessischen Kommunen kostenlos zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt werden. Für die Koordination und als zentraler Ansprechpartner wurde eine Koordinierungsstelle OZG Kommunal gebildet. Darüber hinaus finanziert das Land eine Digitalisierungsberatung sowie die Erarbeitung von Blaupausen für zum Beispiel durchgängig digitalisierte Verwaltungsprozesse in den sogenannten OZG-Modellkommunen. Das Land hat also die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass Kommunen unabhängig von ihrer Größe und ihren individuellen Voraussetzungen mit geringem Aufwand ihre Verwaltungsleistungen digital anbieten können, ohne das Rad neu erfinden zu müssen. Die konkrete Umsetzung liegt dann in der Verantwortung der einzelnen Kommune.  

Die Digitalisierung der unterschiedlichen Lebensbereiche soll auch dazu beitragen, dass städtische und ländliche Regionen in Hessen zu Zukunftsorten mit hoher Lebensqualität und Nachhaltigkeit werden. Smarte Lösungen können hier vielfältige Ansätze bieten. Daher unterstützen wir im Programm „Starke Heimat Hessen“ Kommunen bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Smart Region-Lösungen, die dann allen hessischen Gebietskörperschaften zur Nachnutzung aufbereitet werden sollen. Darüber hinaus unterstützen wir die wachsende Smart Region-Community mit Austausch- und Transferformaten, die durch die virtuelle Geschäftsstelle Smarte Region Hessen angeboten werden. Dort gibt es auch die Möglichkeit einer kostenfreien Digitalisierungsberatung für Kommunen

 

VdZ: Gibt es genügend Unterstützung vom Bund? 

 

Sinemus: Zur Beantwortung dieser Frage muss zwischen organisatorischer und finanzieller Unterstützung sowie den verschiedenen Themen differenziert werden.  Bei der OZG-Umsetzung ist die organisatorische Zusammenarbeit und die Unterstützung beim OZG-Programmmanagement zwischen Bund und Ländern sehr positiv herauszustellen.

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Der Bundeshaushalt 2023 sieht Mittel für die weitere Finanzierung vor, allerdings sind die Voraussetzungen und Bedingungen noch unklar.

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Mit dem IT-Planungsrat gibt es ein zentrales Steuerungsgremium, das bei operativer Umsetzung und Controlling von der Föderalen IT-Kooperation (FITKO) unterstützt wird. Weiterhin findet der Informationsaustausch zu den Digitalisierungsprojekten vorbildlich in verschiedenen Arbeitsgruppen und Bund-Länder-Gremien statt.  

Finanziell hat die bisherige Unterstützung der Länder durch den Bund einen großen Beitrag zur länderübergreifenden Umsetzung geleistet und der Digitalisierung einen großen Schub gegeben. Diese Förderung endet allerdings 2022, obwohl ein nicht unerheblicher Teil der Summe der bewilligten Mittel noch gar nicht abgerufen werden konnte – bedingt durch den zunächst initialen Aufbau der Strukturen zur Umsetzung der EfA-Leistungen. Der Bundeshaushalt 2023 sieht Mittel für die weitere Finanzierung vor, allerdings sind die Voraussetzungen und Bedingungen noch unklar. Wir brauchen aber klare Rahmenbedingungen, um den Roll-out der Verwaltungsleistungen auf alle Ebenen, gerade auch die kommunale Ebene, voranzutreiben 

Mehr Unterstützung vom Bund würden wir uns bei der Umsetzung des FIM-Prinzips und der Erstellung von Leistungsbeschreibungen durch die Bundesredaktion und den notwendigen Freigaben wünschen. Hier übernehmen die Länder gerade viele Aufgaben des Bundes. Wenn wir wollen, dass die Zuständigkeiten der redaktionellen Beschreibung von Verwaltungsleistungen im Wasserfallprinzip bis zu den Kommunen funktioniert, muss die oberste Ebene schon auch ihren Beitrag zuverlässig leisten. 

Und um noch einmal das OZG-Breitband-Portal als Beispiel zu nennen: Hier gab es eine umfangreiche Förderung durch den Bund. Dennoch ist es notwendig, dass der Bund das Vorhaben auch in 2024 weiter finanziell fördert, damit der als Software-as-a-Service bereitgestellte Dienst 2023 in möglichst allen Bundesländern flächendeckend angeboten werden kann. 

 

VdZ: Der Bund stoppt die Förderung für Glasfaserbau vorzeitig. Wie sehr trifft Hessen dieser Stopp? 

 

Sinemus: In Hessen sind keine Projekte von der Beendigung des aktuellen Förderaufrufs der Gigabitförderung des Bundes betroffen. Alle Fördervorhaben, die für das Jahr 2022 geplant waren, sind bereits bewilligt. Dies ist insbesondere unserer engen Abstimmung mit den hessischen Kommunen zu verdanken. Unsere Breitband-Kreiskoordinatoren sind diesbezüglich die ersten Ansprechpartner. Damit, sowie mittels guter Planung und Vorbereitung durch alle Beteiligten, ist es gelungen, dass alle für das Jahr 2022 gestellten Anträge bereits durch den Bund bewilligt werden konnten. Dennoch muss die Bundesförderung schnellstmöglich fortgeführt werden und die Mittel fair auf die Länder verteilt werden – nach Qualität und nicht nach dem Windhundverfahren. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass wir eine passgenaue Steuerung für viel effektiver halten. Die Idee der Potenzialanalyse wurde von Hessen eingebracht und wir unterstützen deren Einsatz in der Gigabitförderung auf Bundesebene. Wer die Tür nach dem Motto öffnet, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, darf sich am Ende des Tages nicht über den Wildwuchs an Förderanträgen wundern. Ab 2023 wird die Durchführung von Markterkundungsverfahren unter Berücksichtigung der Potenzialanalyse erneut zur Voraussetzung für eine Antragstellung. Wir hoffen auf eine schnelle Einigung und einen konstruktiven Kompromiss für die Veröffentlichung der Richtlinie, denn wir dürfen nicht erneut Zeit verlieren.

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Durch die vergangenen zwei Jahre ist offensichtlich geworden, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens schneller werden muss.

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Solche abrupten Förderstopps verzögern den Ausbau und führen zu Unsicherheit bei Kommunen und Telekommunikationsunternehmen. Bei der Neugestaltung ist es für Hessen dabei besonders wichtig, dass sich die Förderung nicht ausschließlich auf die weißen Flecken konzentriert, da diese in Hessen nahezu nicht mehr vorhanden sind. Gegenüber dem Bund setzen wir uns daher für einen entsprechenden Priorisierungs- und Steuerungsmechanismus ein. 

 

VdZ: Die Digitalisierung betrifft jeden Bereich der Gesellschaft. Welche Bereiche brauchen einen dringend erforderlichen Digitalisierungsschub? 

 

Sinemus: Als Hessische Landesregierung wollen wir die Potenziale der Digitalisierung gewinnbringend für alle heben, gemäß des Leitgedankens Digitalisierung soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Daher haben wir unsere Roadmap bis 2030 in der hessischen Digitalstrategie veröffentlicht. Gerade die Corona-Pandemie hat uns im Brennglas noch einmal deutlich Handlungsbedarfe gezeigt, gleichzeitig auch in einigen Bereichen zu einem Digitalisierungsschub geführt. Gerade digitale Lösungen, die bei der Pandemiebekämpfung hilfreich waren, wurden in den vergangenen zwei Jahren vorangebracht, ob bei der Kontaktnachverfolgung, dem Verteilungsmanagement zu den Covid-Stationen oder Videosprechstunden mit der Arztpraxis. Andererseits ist offensichtlich geworden, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens schneller werden muss. Daran arbeiten wir beispielsweise mit unserem Kompetenzzentrum Telemedizin & E-Health Hessen, dem Programm DIGI-Ambulant des Sozialministeriums oder der Einführung einheitlicher Software für die Gesundheitsämter. Ebenso heißt eines unserer drei Innovationsfelder der Hessischen KI-Zukunftsagenda „KI trifft Gesundheit“. Unter anderem fördern wir Projekte, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu einem Mehrwert in der medizinischen Versorgung führen.  

In den Schulen hat die Pandemie unter anderem zu digitalerem Unterricht und einer verbesserten IT-Ausstattung geführt. Um dies weiter auszubauen und auch die Kompetenzen in einer immer digitaler werdenden Welt zu steigern, hat Hessen als erstes Bundesland das neue Schulfach „Digitale Welt“ an Pilotschulen gestartet. Bei der Verwaltungsdigitalisierung sind wir wie beschrieben auf einem guten Weg. Allerdings muss sich vor allem in der allgemeinen Wahrnehmung noch einiges ändern. 

Und abschließend ein entscheidender Aspekt, der auf alle Bereiche Auswirkungen hat: Wir brauchen redundante und resiliente Netze, um Ausfälle in der immer stärker vernetzten digitalen Welt zu verhindern.