Warum wir einen Digitalkanzler brauchen – und warum der auf Open Source setzen muss
Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Knebel
Wir brauchen einen Digitalkanzler für mehr Schub beim E-Government
Es braucht dringend mehr Tempo und Wirksamkeit bei der Digitalisierung der Verwaltung. Das Chaos und den Rückstand, die bisher bei der Verwaltungsdigitalisierung herrschen, kann sich Deutschland nicht mehr leisten – besonders in Zeiten einer hartnäckigen Rezession. Schon 2023 gaben in einer Bitkom-Umfrage 83 % der Unternehmen an, die fehlende Digitalisierung der Verwaltung sei ein Standortnachteil.1
Auch die Verwaltung selbst kann durch digitale Prozesse enorm profitieren. Vor allem die Modernisierung der Register kann sowohl auf Seiten der Bürger und Unternehmen als auch in den Verwaltungen enorm viel Arbeit einsparen. Der Normenkontrollrat errechnete dazu bereits 2017 ein Einsparpotenzial von bis zu 6 Milliarden Euro.2
Doch nicht nur finanziell bringen schnellere und, wo möglich, automatisierte digitale Prozesse enorme Potenziale – auch mit Blick auf die schrumpfenden Personaldecken im öffentlichen Dienst wird klar: Deutschland muss digital aufholen. Bürger, Unternehmen und Verwaltungsmitarbeitende müssen endlich von einer digitalen Dividende in der Verwaltung profitieren: Weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungen, geringere Kosten und ein Staat, der sich proaktiv um seine Bürger und Unternehmen kümmert.
Um das umzusetzen, braucht es klare Führung. Wer auch immer der Nächste im Kanzleramt wird: Es muss ein Digitalkanzler sein. Digitalisierung darf nicht als „Zugabe“ in der Ressortverteilung herumgereicht werden. Die politische Verantwortung für dieses zentrale Thema muss derjenige übernehmen, der am Hebel sitzt. Ein dezidiertes Digitalministerium ist nicht die Lösung. Digitalisierung erstreckt sich als Querschnittsaufgabe über alle Ressorts. Der Digitalkanzler muss seine Richtlinienkompetenz nutzen und das Thema so konsequent treiben, wie es die Dringlichkeit der Digitalisierung erfordert.
Open Source ist der Schlüssel zu digitaler Unabhängigkeit
Dabei muss uns bewusst sein: Digitalisierung ist längst auch ein geoökonomisches und geostrategisches Aktionsfeld. Eine zukunftsfähige Digitalisierung der Verwaltung nimmt nicht nur Effektivität, Bürger- und Unternehmensnutzen und Leistungsfähigkeit des Staates in den Blick. Sondern auch die digitale Souveränität, die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Staats-IT, eingebettet in den Kontext der europäischen Partner. Zu einer technologischen Abhängigkeit, wie bei 5G-Infrastruktur oder im Energiebereich beim Thema Gas, darf es bei der digitalen Verwaltung nicht kommen.
Anders als im aktuellen Diskurs um Trumps Amtsübernahme in den USA geht es in der Welt der souveränen digitalen Verwaltung nicht um Zölle, Handelsschranken, Isolationismus, deutsche Sonderwege. Ein zukunftsfähiger digitaler Staat funktioniert nur mit Kooperation und gegenseitigem Profitieren. Nur mit Open Source.
Ein verantwortungsvoller Digitalkanzler muss mit seinen Richtungsentscheidungen das digitale Deutschland in die Lage versetzen, souverän zu agieren und auf Kooperation zu setzen. Proprietäre Systeme von großen Softwarekonzernen führen dagegen in die Abhängigkeit („Lock-In“). Mit Open Source-Technologien hat der Staat selbst in der Hand, was seine Software tut, wo sie läuft und wo Daten liegen.
Ein digital souveränes Deutschland setzt auf Open Source.
Um die Nutzung von Open Source Software in der Verwaltung zu stärken, muss der Digitalkanzler konkrete Schritte angehen:
1) Open Source-Industrie stärken: Freie Software ist kein Hobbyprojekt. An der Entwicklung arbeiten professionelle Entwicklerinnen und Entwickler, die Anpassung und Wartung von Open Source Software für öffentliche Institutionen liegt in der Hand von Profis. Wenn der Staat verstärkt Open Source Software bei heimischen IT-Dienstleistern beauftragt, stärkt er Kompetenzen vor Ort, statt bei globalen Softwareriesen. Und damit einen zukunftsträchtigen Industriezweig: Eine Studie für die EU-Kommission sieht in einer 10-prozentigen Steigerung des Open Source-Auftragsvolumen die Chance auf 0,4 bis 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum und die Gründung von 600 neuen Startups EU-weit.
2) Open Source schafft Gemeingut. Jede Zeile Code, die in einem Projekt für die öffentliche Hand entwickelt wird, spart in einem anderen Projekt Zeit und Geld und sorgt für anschlussfähige Systeme. Deshalb sollte Open Source Software unter den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 % fallen. Durch die entstehenden Preisvorteile können sich Open Source-Lösungen in Ausschreibungen durchsetzen und über die geringere Steuer fließt ein geringerer Anteil des Digitalbudgets in allgemeine Töpfe ab.
3) Stärkung staatlicher Open Source-Institutionen: Deutschland ist bereits einer der Vorreiter, wenn es um die Förderung von Open Source-Einsatz geht. Mit dem Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS) und dem Sovereign Tech Fund (STF) sind in Deutschland auf Bundesebene zwei Institutionen entstanden, die international als Vorbilder dienen. Umso erschreckender ist, dass genau bei solchen Institutionen der Rotstift angesetzt wird: Das ZenDiS-Budget wurde im letzten Haushaltsentwurf fast um 50 % gekürzt. Hier muss ein Umdenken erfolgen: STF und ZenDiS leisten wichtige Arbeit, die mit Hebelwirkung allen öffentlichen Stellen zugutekommt.
4) Umsetzung über einen Umlagefonds für proprietäre Software: Wenn bei öffentlichen Ausschreibungen trotzdem proprietäre statt quelloffener Software zum Zuge kommt, sollte für die Lösungsanbieter eine Abgabe fällig werden. Diese kann in einen Fonds für STF und ZenDiS fließen und somit direkt die Entwicklung quelloffener Software für den Staat fördern.
5) Anpassung des Vergaberechts: Es muss endlich beim Bund umgesetzt werden, was seit Jahren versprochen ist und einzelne Bundesländer bereits vormachen. Die Vorteile von Open Source Software müssen im Vergabeverfahren angemessen berücksichtigt werden – Vorfahrt für freie Software. Open Source Software kann stets nachgenutzt werden und zieht keine horrenden Lizenzkosten nach sich. Sie ist durch ihre Transparenz und Überprüfbarkeit erheblich sicherer und verhindert „Lock-In“-Effekte bei einzelnen Anbietern. Diese Kriterien müssen ein Gegengewicht zu rein wirtschaftlichen Aspekten bilden können, die meist nur den Vorteil für das konkrete Projekt, aber nicht für das große Ganze in den Blick nehmen.
Fazit
Es muss vorangehen mit dem digitalen Deutschland. Eine neue Bundesregierung und ein neuer Kanzler müssen das Thema zur Chefsache machen. Dabei muss klar sein: Die Digitalisierung stellt Weichen für die Zukunft des Staates. Statt uns hier in Abhängigkeit zu begeben, sollten wir die deutsche und europäische Open Source-Industrie stärken und die vielen Vorteile von Open Source für den Staat nutzbar machen: Sicherheit, Nachnutzbarkeit, Kosteneffizienz, Anpassbarkeit, Vermeidung von Lock-In-Effekten, Unabhängigkeit.