Bosbach/ Wegweiser

Auf den Kanzler kommt es an

Wenn das Parlament gerne möchte – aber nicht kann

Ein (Un-)Glück kommt bekanntlich selten allein: Nur einen Tag, nachdem die Wählerinnen und Wähler in den USA Donald Trump zu ihrem neuen Präsidenten wählten (okay, aktuell ist er nur „President Elect“), platzte in Berlin die Ampelkoalition, die mit ihren politischen Initiativen und Volten der erstaunten Bevölkerung über drei Jahre beste Unterhaltung bot.

Der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt: Die Bedingungen, unter denen die Ampel politisch arbeiten musste, waren alles andere als einfach Angriff Russlands auf die Ukraine, Energieknappheit, steigende Inflation, Wachstumsschwäche. Erschwerend kam hinzu, dass die Grundsatz- und Wahlprogramme der drei Parteien sich an vielen Stellen eher widersprachen, als ergänzten. So sollte zusammenwachsen, was eigentlich nicht zusammengehört. Aber die Überschrift Fortschrittskoalition strahlte so viel Optimismus aus, dass man wohl irgendwie optimistisch war, aus drei völlig unterschiedlichen politischen Wegen und Temperamenten zumindest vier Jahre lang Harmonie auszustrahlen. Oder, so würden es wohl böse Zungen formulieren, vorzutäuschen.

Bis zum großen Knall Anfang November 2024, als der Kanzler (SPD) seinen Finanzminister (FDP) kurzerhand das Vertrauen entzog, um das Wort Rausschmiss nicht zu verwenden. Abgesehen von Verkehrsminister Wissing folgten die übrigen Bundesminister der FDP ihrem Parteivorsitzenden in den vorgezogenen, unfreiwilligen einstweiligen Ruhestand und damit hatte der Wahlkampf begonnen. Es kam, was kommen mußte: Ein unwürdiges Schauspiel, wer an was schuld sei, wer warum mit dem ganzen Streit angefangen habe, ob das Ganze von langer Hand geplant gewesen oder sich ad hoc eine zugespitzte Lage entwickelt hätte Kindergarten für Fortgeschrittene. Der Kanzler war fortan zwar kein „König ohne Land, aber ein Regierungschef ohne parlamentarische Mehrheit, auch keine komfortable Lage. So etwas beunruhigt einen erfahrenen Taktiker wie Olaf Scholz natürlich nicht.

Zwar wollte (und will) eine deutliche Mehrheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger so rasch wie möglich Neuwahlen, nicht aber der Kanzler. Zunächst schlägt er den März nicht mit e! vor, also Neuwahlen erst im März 2025. Das allerdings dauert der Opposition viel zu lange, ungeduldig scharrt man dort mit den Hufen. Am besten noch in diesem Jahr, spätestens aber im Januar 2025. Das wiederum bringt die Bundeswahlleiterin um den Schlaf, sie verweist auf akute Papierknappheit. Das lässt die bekannt leistungsstarke deutsche Papierindustrie nicht auf sich sitzen Kindergarten 2.0. Aber wenn der Bundestag mit breiter Mehrheit Neuwahlen subito" fordert, was dann? Dann bleibt immer noch das Grundgesetz. Denn der Bundestag hat ganz ausdrücklich kein Recht zur Selbstauflösung. Auch in schwierigen und schwierigsten Situationen könnte er selbst einstimmig keine Neuwahlen asap" beschließen. 

Der Weg zu (vorgezogenen) Neuwahlen ist durchaus kompliziert, was allerdings mit Absicht so konstruiert wurde. Nach Art. 67 GG gibt es kein negatives, sondern nur ein konstruktives Misstrauensvotum. Olaf Scholz könnte nicht einfach abgewählt werden, zeitgleich müßte ein anderer (oder eine andere) in dessen Amt gewählt werden. Erst dann wäre Scholz sein Amt los. Nur der Bundeskanzler kann gemäß Art. 68 darum bitten, ihm das Vertrauen auszusprechen, was in der Regel dann geschieht, wenn der Amtsinhaber weiß oder glaubt, dass er selbiges nicht oder nicht mehr hat. Und wenn sich seine Einschätzung nach Abstimmung bestätigt, ist der Bundespräsident am Zug. Dieser kann (muss aber nicht!) innerhalb von drei Wochen den Bundestag auflösen erst dann gibt es Neuwahlen. Vermutlich am 23. Februar 2025. 

Für erfahrene Straßenwahlkämpferinnen und -kämpfer kein schöner Gedanke, ausgerechnet im Januar und Februar bei Wind und Wetter am Wahlkampfstand zu stehen. Dann sollten wir wenigstens in der Advents- und Weihnachtszeit das Publikum nicht mit zu viel Wahlkampftamtam behelligen. Und den Menschen der Brauchtumspflege sei gesagt: Auf Euch kommt jetzt im Karneval/in der Fastnacht/im Fasching besonders viel Arbeit zu! 

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.