Freiheit oder Sicherheit? – Die völlig falsche Frage!
Klartext! ist die neue Kolumne von Wolfgang Bosbach zu Themen der Innen- und Rechtspolitik
Wer vor Gericht zieht, erwartet ganz selbstverständlich, dass seine Klage Erfolg haben wird (sonst hätte der Kläger sie ganz sicher nicht erhoben). Egal ob eine Zahlungsklage bei einem Zivilgericht, eine Anfechtungsklage vor einem Verwaltungsgericht oder bei einem Kündigungsschutzprozess vor einem Arbeitsgericht - immer werden die Klägerinnen und Kläger an die Justiz die Erwartung haben, dass der jeweilige Spruchkörper ihrer Argumentation folgt und die Klage Erfolg hat. Ebenso wird die Gegenseite denken - nur eben mit der entgegengesetzten Erwartungshaltung. Und von den Strafgerichten erwarten wir natürlich, dass jene Angeklagten, die als Täter zweifelsfrei überführt wurden, tat- und schuldangemessen bestraft werden. Exakt so, wie es das Gesetz verlangt.
Komplizierter wird es, wenn wir unsere Erwartungen an "den Staat" im Allgemeinen konkretisieren sollen. Natürlich wollen wir alle eine starke, leistungsfähige Verwaltung, wobei allerdings der heute verwandte Begriff "Good Governance" darüber hinaus geht! Das BMZ greift hier auf seiner Homepage eine Definition auf, die ebenso präzise wie einprägsam ist: "Gute Regierungsführung ist verantwortungsvolle Regierungsführung und hat unter anderem folgende Charakteristika: Sie ist transparent und effektiv. Sie legt Rechenschaft ab. Sie beteiligt alle Menschen und berücksichtigt die Meinung von Minderheiten und die Bedürftigkeit von Schwachen."
Durch gute und verantwortungsvolle Regierungsführung sollen die fundamentalen Prinzipien unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats durch praktische Politik ausgeformt werden – und zwar auf allen Ebenen unseres Staates.
Soweit so gut. Jedenfalls dürfte es hierüber keinen allzu großen gesellschaftlichen Dissens oder gar heftige Debatten geben. Diese friedliche Stimmung kann jedoch schnell kippen, sobald es ganz konkret wird. Beispiel: Sozialstaatsprinzip. Der Verfassungsauftrag lautet in Art. 20 I GG "sozialer Bundesstaat". Bei der konkreten Ausgestaltung dieses Auftrags klaffen die Meinungen nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft mitunter meilenweit auseinander.
Zwei Seiten einer Medaille
Das wiederum ist keine Sensation, sondern eine logische Folge ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Perspektiven: die Linke glaubt traditionell ganz fest daran, dass der schnellste und einfachste Weg zu "Wohlstand für alle!" über "Umverteilung" führt, der konservativ-bürgerliche Teil des Publikums vertritt eher die Ansicht "Wohlstand entsteht durch Fleiß, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit".
Nicht viel anders verlaufen die Frontlinien beim Thema "Sicherheit" und zwar unabhängig davon, ob Debatten über die Äußere- oder die Innere/öffentliche Sicherheit unseres Landes geführt werden. Allerdings: Sobald derartige Diskussionen unter der Überschrift "Freiheit versus Sicherheit!" geführt werden, müssen Debatten fast zwangsläufig ziemlich schräg werden – denn Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze. Beide Begriffe gehören zusammen, wie zwei Seiten ein- und derselben Medaille! Anders formuliert: Freiheit braucht Sicherheit! Oder: So viel Freiheit wie möglich, aber auch so viel Sicherheit wie nötig. Was dies unter den vielfältigen Aspekten des Begriffes "Sicherheit" praktisch und ganz konkret bedeutet – darüber würde ich in Zukunft mit Ihnen korrespondieren und auch diskutieren.
Der Autor ist Kongresspräsident des GDÖS – Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.