Ich weiß nicht, wie dies die Nutzerinnen und Nutzer von VdZ sehen, ich jedenfalls habe mich deswegen noch nie unfrei gefühlt. Warum auch? Für einen kurzen Zeitraum gespeichert werden ja NICHT die INHALTE der Kommunikation, es geht ausdrücklich – und ausschließlich – nur um Verkehrsdaten, also solche TECHNISCHE Daten, die bei der Erbringung eines TK-Dienstes anfallen. Auch das ist ein grundrechtsrelevanter Eingriff, wie viele andere polizeiliche Eingriffsbefugnisse – aber deshalb gleich freiheitsberaubend?
„Vorratsdatenspeicherung“
Allerdings lädt schon der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ zu Mißverständnissen geradezu ein. Er erweckt den Eindruck, als würden staatliche Stellen völlig grundlos einen Vorrat an Daten anlegen, so nach dem Motto:„Wer weiss, wofür wir die noch einmal brauchen können!“, als könne der Staat bei Bedarf darauf völlig wirklich zugreifen. Alles falsch.
Die Daten sollen dort gespeichert werden, wo sie ohnehin anfallen, also bei den Providern und sie dürfen nur in engen rechtlichen Grenzen genutzt werden, nämlich zur Verhinderung oder Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten.
Viel sinnvoller und auch präziser wäre daher der Begriff „Mindestspeicherfristen“, der sich allerdings nicht so prickelnd anhört wie „Vorratsdatenspeicherung“. Also benutzen Kritiker lieber diesen Begriff.
„VS – Nur für den Dienstgebrauch“
Vor einigen Jahren hat das BKA dem zuständigen Fachausschuß des Bundestages einen „Erhebungsbogen zur Begründung der polizeilichen Bedarfs der Auskunft über längerfristig gespeicherte Verkehrsdaten“ vorgelegt. Wer diesen Bericht gründlich gelesen hat, kann nun wirklich keinen ernsthaften Zweifel daran haben, dass unsere Sicherheitsbehörden in vielen Deliktsbereichen zwingend auf die Auswertung dieser Daten angewiesen sind. Leider trägt das Dokument den Stempel „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ – es steht also der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Eigentlich schade, denn nichts ist beeindruckender als die Realität. In der vorletzten Wahlperiode übersandte das BKA eine Vorlage für die AG Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit weiteren Fakten zum Thema, unter anderem zur Beantwortung der Frage : Wie viele (in bestimmten Strafsachen ermittlungsrelevante) Daten konnten OHNE Mindestspeicherfristen gewonnen werden? Das Ergebnis einer einjährigen Erhebung zu Auskunftsersuchen zu rund 5.100 Anschlüssen war folgendes:
- Knapp 90 Prozent der Ersuchen erfolgten in den Bereichen (Computer-)Betrug (45 %) und Kinderpornographie (40 %)
- 90 Prozent der Erhebungen erfolgten nur zu hinter einer IP-Adresse stehenden Kundendaten
- 84 Prozent der Ersuchen wurden durch die Provider NICHT beauskunftet
- In 83 Prozent der Fälle konnten die Taten NICHT aufgeklärt werden
Gut für die Täter, schlecht für die Opfer und den Rechtsstaat
Für die Aufklärung von Straftaten braucht jede Sicherheitsbehörde Ermittlungsansätze. Nur die allerwenigsten Täter stellen sich freiwillig. Derartige Ansätze können sein: Tatortspuren wie DNA-, Finger- oder Fußspuren. Beobachtungen von Zeuginnen oder Zeugen, Urkunden, Videomaterial. Was aber, wenn derartige Ermittlungsansätze fehlen oder nicht zum Ziel führen? Oder wenn TK-Daten die EINZIGEN Spuren sind, die zur Überführung der Täter geeignet sein könnten? Wer den Strafverfolgungsbehörden diese Ermittlungsansätze prinzipiell verwehren möchte, sollte dann zumindest den Mut haben der Öffentlichkeit klipp und klar zu sagen, was das für die polizeiliche Arbeit an Erschwernissen bedeutet – und damit auch für die Opfer solcher Taten. Dass zukünftig viele Taten nicht mehr aufgeklärt werden können und die Täter straffrei davon kommen, weil der staatliche Strafanspruch in der Praxis nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden kann.
Das wäre dann nicht nur – aber ganz besonders – im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie des schwunghaften Handels mit kinderpornographischen Material ein ganz, ganz bitteres Ergebnis.
Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.