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Nur widerlich, nicht akzeptabel, selten dämlich – oder auch strafbar?

Hässliche Szenen aus Sylt und ihre strafrechtlichen Folgen

Nein, zumindest mir muss niemand mit irgendwelchen Entschuldigungs- oder gar Rechtfertigungsversuchen kommen. Die Bilder und Texte sind eindeutig. Zu eindeutig um hinterher mit Parolen a la „war doch nur Partygröle“ oder „alle hatten einen Intus" den traurigen Versuch zu unternehmen alles irgendwie zu relativieren oder gar zu bagatellisieren.

Das, was sich vor wenigen Tagen auf der wunderschönen Insel Sylt vor (nicht im) Kultlokal Pony-Club ereignet hat, war kein „Ausrutscher“, das war widerlich. Wer lauthals „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ grölt hat nicht nur nicht mehr alle Tassen im Schrank, der hat ein unübersehbares Rassismusproblem. Und wer ein Hitlerbärtchen antäuscht und dabei den Hitlergruß zumindest andeutet, kann sich noch nicht einmal damit herausreden, dass er vom Dritten Reich noch nie etwas gehört hat.

Der Wirt des Pony hat glaubhaft versichert von dem Eklat nichts mitbekommen zu haben und erfreulich rasch und konsequent reagiert. Der Mann weiß offensichtlich, worum es geht. Herzhaft lachen musste ich über einen Kommentar in den sozialen Medien, hier hätten die oberen Zehntausend „gefeiert“, es waren wohl eher die unteren. Teure Autos und edle Getränke sagen über Menschen und ihre moralischen Standards nur sehr wenig aus. Genauer gesagt: Gar nichts.

Der Wirt hat schon reagiert – wie aber wird nun die Strafjustiz reagieren? Das ist gar nicht so leicht abzuschätzen. Erst ermittelt jetzt einmal der Staatsschutz. Wurden Straftaten begangen und wenn ja - von wem? Anders formuliert: Sind Straftaten bestimmten Personen gerichtsfest zuzuordnen? Und welche Straftaten kommen überhaupt in Betracht?

Zunächst der bekannte § 86 a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen). „Kennzeichen“ sind gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift „Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen („alles für Deutschland”) und Grußformeln („Heil Hitler")“. Selbstverständlich fällt auch das Hakenkreuz unter diese Vorschrift (sofern es nicht als künstlerisches Stilmittel oder z.B. in Filmen über die NS-Zeit Verwendung findet).

Schwieriger wird schon die Subsumtion des Sylter Treibens unter den § 130 StGB (Volksverhetzung). Hier geht es um den Ruf „Ausländer raus" – und dessen Interpretation wird von den Gerichten (leider) unterschiedlich beurteilt. Das AG Guben hatte vor gut 25 Jahren darin keine strafbare Handlung gesehen, das OLG Brandenburg hob jedoch diese Entscheidung zwei Jahre später auf. Ergebnis: Doch strafbar. Aber, Achtung, das Bundesverfassungsgericht wiederum hatte 2010 in einem vergleichbaren Fall Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) den Vorrang gegeben. Letztendlich dürfte es auf die Würdigung aller Umstände ankommen.

Zwischenzeitlich drohte allerdings die Berichterstattung über diesen Vorfall in den Medien – und vor allem die Reaktionen im vielzitierten "Netz" – komplett aus dem Ruder zu laufen: Da es tagelang so schien, als gäbe es kein wichtigeres Thema, wurde immer weiter an der Empörungsspirale gedreht. Da wurden die Betreiber des "Pony" bedroht, Arbeitgeber der Partygäste angegangen, Namen und Adressen der Betroffenen im Netz veröffentlicht, was man nur so deuten kann, dass neben straf- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen nunmehr auch die soziale, gesellschaftliche Vernichtung gefordert wird. Die Bundestagspräsidentin forderte tatsächlich – kein Scherz – "die Höchststrafe", als 5 Jahre Gefängnis. Nicht für die Teilnahme an einer immer häufiger vorkommenden Gruppenvergewaltigung, sondern für „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ Deutschland 2024.

Verfassungsrecht hin-, Strafrecht her. Mich irritiert etwas ganz anderes, jenseits aller rechtlicher Wertungen: Warum um Himmels Willen hat da niemand „Haaaalt! Seid ihr alle verrückt geworden!? Sofort aufhören!“ gerufen.

Nie wieder ist jetzt!

 

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

7. Berliner Kongress wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt

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