Was die Polizeiliche Kriminalstatistik aussagt – und was nicht!
16 Landeskriminalämter liefern Daten über ihnen bekannt gewordene Straftaten
Jahr für Jahr findet die Bekanntgabe der amtlichen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) große Beachtung. Nicht nur in Fachkreisen, auch in vielen Medien. Bei der Auswertung der PKS, die in Kürze für das Jahr 2021 publiziert wird, geht es zwar vordergründig um eine statische Betrachtung, die des jeweils vergangenen Jahres.
Aussagekräftiger ist jedoch eine dynamische Beobachtung des Kriminalitätsgeschehens. So zum Beispiel die Beantwortung der Fragen:
- In welchen Deliktsbereichen hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschlechtert?
- In welchen Bereichen ist die Zahl der Delikte rückläufig?
- Welche neuen Kriminalitätsphänomene gibt es?
Die PKS, herausgegeben vom Bundeskriminalamt (BKA) auf der Basis jener Daten, die von 16 Landeskriminalämtern ermittelt und geliefert werden, enthält die der Polizei bekannt gewordenen(!) rechtswidrigen Straftaten, einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen und weitere Angaben zu Fällen und Opfern.
Ein allumfassendes Bild über das strafrechtlich-relevante Geschehen in der Bundesrepublik Deutschland kann diese Form der PKS jedoch nicht bieten. Es fehlen Daten zu:
- Staatsschutzdelikten
- Ordnungswidrigkeiten
- Delikten, deren Verfolgung nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören und
- Straftaten, die unmittelbar bei den Staatsanwaltschaften angezeigt werden.
Ein Barometer der öffentlichen Sicherheit
Desungeachtet ist die PKS ein relativ verlässliches „Barometer“ zur Lage der öffentlichen Sicherheit in Deutschland. Aber eben nur „relativ“, denn einen breit gefächerten Überblick über die Entwicklung, Struktur und Ursachen des Kriminalitätsgeschehens kann (und soll) eine PKS nicht bieten.
Gemeinsam mit den Strafrechtspflegestatistiken beinhaltet die PKS nicht nur umfangreiche, sondern auch detailreiche Informationen über das Kriminalitätsgeschehen. Eine umfassende Darstellung – und vor allem eine solide Bewertung – der Sicherheitslage ist auf der Basis dieser Daten alleine allerdings nicht möglich. Denn: Amtliche Statistiken können naturgemäß nur das widerspiegeln, was an Delikten, Tatverdächtigen und Opfern offiziell bekannt geworden ist. Straftaten im sogenannten Dunkelfeld bleiben auch dort. Aus den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung wissen wir, dass nur weniger als die Hälfte(!) der Straftaten entdeckt und angezeigt – oder den Staatsanwaltschaften auf andere Weise bekannt werden. Schwere Verbrechen oder Straftaten mit hohen Schadenssummen werden natürlich öfter bekannt als Bagatelldelikte, bei denen die Opfer oftmals und nicht ganz grundlos davon ausgehen, dass der Ermittlungsaufwand in keinem Verhältnis zum Schaden steht oder die Täter ohnehin nicht zu ermitteln sein werden.
Daten sollten verknüpft werden
Aus dem „Deutschen Viktimisierungssurvey 2017“ wissen wir, dass beispielsweise die Anzeigequote in Fällen des persönlichen Diebstahls bei (nur) 42 Prozent liegt, in Fällen des Raubes bei etwa 32 Prozent.
Nicht statistisch erfasst werden in der PKS auch das Sicherheitsempfinden, das nicht immer mit der objektiven Lage übereinstimmen muss, oder gesellschaftliche Einstellungen gegenüber Polizei und Justiz.
Umso wichtiger ist es, die Daten aus der PKS mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus anderen Disziplinen zu verknüpfen. Insbesondere aus den Bereichen Kriminologie, Viktimologie, Soziologie und Psychologie. Dabei sollten auch Erscheinungsformen und Ursachen von Kriminalität mit Erkenntnissen aus der Perspektive der Opfer verknüpft werden.
Wenn eine schwere Straftat verübt wurde, insbesondere bei Kapitalverbrechen, stehen zu Beginn meistens die Opfer und deren Leid im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ihnen schenken wir Beachtung und unser Mitgefühl. Aber machen wir uns bitte nichts vor: Schon sehr bald wird über die Täter ausführlicher berichtet als über das Schicksal der Opfer. Bitter, aber wahr.
Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.