24. Beschaffungskonferenz - Kongresspräsident Prof. Dr. Michael Eßig im Austausch mit Dr. Elga Bartsch vom BMWK und Andreas Haak von Dentons Europe

Am Ende entscheidet der Mensch

Die Spannungsfelder der 24. Beschaffungskonferenz

Alles muss intelligent mitwachsen. Laut Elga Bartsch, Abteilungsleiterin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), stehen wir kurz vor einer Zeitenwende der öffentlichen Beschaffung. Dazu müssen alle Beteiligten am gleichen Strang ziehen. Die deutsche Beschaffung soll ebenenübergreifend digitaler und nachhaltiger werden und gleichzeitig mit den Vergaberechtsentwicklungen Schritt halten. Die 24. Beschaffungskonferenz wirft alte und neue Fragen auf – wie in jedem Jahr war sie Plattform für Austausch und Diskussion.

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„So schwer kann das doch eigentlich nicht sein, Geld auszugeben", eröffnet Prof. Dr. Michael Eßig von der Universität der Bundeswehr München die Beschaffungskonferenz mit einem Schmunzeln. Er spielt den Ball den Teilnehmenden des Eröffnungsplenums zu. – Doch, das ist schwer. Mit der Beschaffung gehen natürlich komplexe Prozesse einher, die nicht von heute auf morgen umgestaltet werden können. Vergaberechtsnovellen, Fachkräftemangel, Nachhaltigkeit und die Künstliche Intelligenz (KI) sind nur einige der Schlagworte, die der Verwaltung in Deutschland schlaflose Nächte bereiten. Die Beschaffung birgt viele Fallstricke. Da ist ein Austausch immer auch der erste Schritt zur Veränderung. Rund 285 Teilnehmende haben über zwei Tage hinweg Ideen und Problemfelder ausgetauscht, Kontakte geknüpft und gemeinsam Handlungsstrategien ausgearbeitet.

Mut zur nachhaltigeren Beschaffung

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Wir müssen die Umwelt entlasten, nachhaltigere Produkte entwickeln und das ganze unter der Prämisse von weniger Bürokratie.

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Elga Bartsch, Abteilungsleiterin des BMWK

Die Problemfelder Klimawandel und Nachhaltigkeit scheinen alle Anwesenden zu beschäftigen. Zumindest betonen öffentliche Beschaffungsstellen, politische Entscheidungstragende sowie der private Sektor gemeinsam die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Umstellung auf eine nachhaltigere Beschaffung. Wir müssen die Umwelt entlasten, nachhaltigere Produkte entwickeln und das ganze unter der Prämisse von weniger Bürokratie", so Elga Bartsch in ihrer Eröffnungsrede.

Ein Hemmnis für Fortschritte sei dabei vor allem die Angst, betonen zahlreiche Referierende. Diese Botschaft sendet auch Raphael Thelen, Aktivist und Autor der Letzen Generation, aus: Es geht nicht mehr nur darum, dass die Wirtschaft nachhaltiger wird, sondern dass wir anfangen, unsere Erde zu reparieren. Weil die bricht gerade unter uns weg".

Raphael Thelen, Aktivist der Letzen Generation und Autor, bringt frische Impulse von außen in die Konferenz ein.
© Simone M. Neumann

In den einzelnen Veranstaltungen wurde an der Umsetzung dieser Forderungen in die Praxis gearbeitet. SETEX ist z.B. der größte baumwollverarbeitende Betrieb in Europa, GOTS-zertifiziert und produziert Kleidungsstücke und Textilprodukte für die Industrie. Sie erfüllen alle Anforderungen für die Belieferung des öffentlichen Sektors. Dennoch haben sie es als nachhaltiges Unternehmen schwer auf dem Markt. Es ist für viele Leute nicht vorstellbar, dass hier produziert wird und es ist traurig, dass am Ende des Tages der Preis zählt", sagt Vertriebsleiter Andreas Thünen. Eine nachhaltige Textilbeschaffung werde immer teurer sein als eine konventionelle. Das Umweltbundesamt empfiehlt daher, die vielfältigen Angebote des Kompetenzzentrums Klimafolgen und Anpassung KomPass zu nutzen.

Plattformen, Open Source und Cloud-Leistungen: Die Beschaffung transparenter und sicherer gestalten

Ein weiteres zentrales Thema der Veranstaltung war die Digitalisierung. Anhand unterschiedlicher Praxisbeispiele und Forumsdiskussionen wurde aufgezeigt, inwiefern Technologien die Beschaffung in der deutschen Verwaltung effizienter gestalten können. So führte z.B. der Plattformanbieter Unite Network SE mithilfe zweier Vertreter, dem Director Consulting Siegfried Hakelberg und dem Team Lead Key Account Manager Paul Mösken, in einem Best Practice Dialog durch ihre Plattform Mercateo.

Siegfried Hakelberg und Paul Mösken von Unite Network stellen ihre Plattform Mercateo in einem Best Practice Dialog vor.
© Simone M. Neumann

Die Firma mit dem Sitz in Leipzig unterstützt die Verwaltung bei ihrem Einkauf. „Wir wollen die Bestellprozesse einfacher gestalten, sodass das Manuelle wegfällt“, erklärt Hakelberg den Anwesenden. Mösken demonstriert dies anhand der Webseite live. Ein Artikel wird gesucht, etwa Pflaster. Die Suche folgt dem Motto: Alles, was kategorisierbar ist, kann auch gesucht werden. Dazu zählen auch Dienstleistungen oder etwa nachhaltige Gütesiegel. Schwächen weist die Plattform auf, sobald ein ganz konkretes Produkt gesucht werden soll. Doch Unite berät im Einzelfall an dieser Stelle gerne näher, wie Mösken betont. Das Ziel des Unternehmens ist es vor allem, erdrückende Kataloge in Papierformat zu ersetzen sowie den Spontanbedarf abzudecken, weil „das Kaufhaus des Bundes zu statisch ist“, so Hakelberg.

Ein anderes Forum widmet sich ganz der Frage, welche Hürden und Voraussetzungen bei der Vergabe von Open Source in der Verwaltung bestehen und wie diesen begegnet werden kann. Denn der Wunsch nach mehr Open Source ist überall zu finden - auf EU-Ebene, im Koalitionsvertrag oder in der aktuellen Digitalisierungsstrategie. Bislang fehlt lediglich die gesetzliche Verankerung.

„Die Softwares in der Verwaltung sind nicht resilient, wenn Krisen aufziehen“, ermahnt Seyffarth. Eine gesetzliche Verankerung müsse her.

Jedoch verharre die Bundesregierung in der Realität überwiegend in einer Abhängigkeit von Tech-Riesen wie Microsoft und Co, konstatiert Miriam Seyffarth, Leiterin der Politischen Kommunikation in der Open Source Business Alliance. „Die Softwares in der Verwaltung sind nicht resilient, wenn Krisen aufziehen“, ermahnt sie. Eine gesetzliche Verankerung müsse her. Was bleiben also für Möglichkeiten? Die Leistungsausschreibungen müssten weiter gefasst werden, sodass auch andere Anbietende als Microsoft die nötigen Voraussetzungen erfüllen können. Zudem solle bei gleicher Ausgangslage Open Source den proprietären Softwares vorgezogen werden. Letztlich würde dies bewusste Gegenmaßnahmen und Ausprobieren erfordern.

Und dann wäre da noch das Cloud Thema. „Jede Behörde des Bundes nutzt bereits einen der namhaften Cloud-Anbieter", sagt Martin Schallbruch, Geschäftsführer von govdigital. Ob wissend oder unwissend, die Cloud ist im Beschaffungswesen schon lange ein alltägliches Thema. Ähnlich wie in der Open Source Thematik treiben auch in der Cloud-Debatte die Beschaffenden einige Fragen um. Wie kann die DSVGO garantiert werden, wenn die Cloud Anbietenden zum Teil selbst nicht wissen, wo ihre Subanbietenden sitzen? – Sie wissen es nicht. Wo müssen die Sicherheitsstandards nachjustiert werden? Wie bleibt die IT der öffentlichen Behörden mit dem digitalen Wandel gleichauf? Viele Fragen blieben offen, einige Lösungsvorschläge wurden diskutiert. Eines ist klar: Das Thema ist hochaktuell und erfordert dringend zeitnahe Ergebnisse.

Wann kommt denn nun Kolleg*in KI?

Florian Jeggle (Google Deutschland) & Felix Zimmermann (Leiter des Referats GD I 5, BMI) im Austausch über KI als Beschaffungsstelle.
© Simone M. Neumann

Viele Interessierte fanden sich zudem am zweiten Tag im Plenarsaal zusammen, um gespannt der Werkstatt „KI als Beschaffungsstelle“ zu lauschen. Eine kurze Handabfrage in die Runde zeigt: KI zur Unterstützung am Arbeitsplatz ist gewünscht, aber die vollständige Übernahme der eigenen Arbeit möchte kaum jemand. „Es ist auch rechtlich gar nicht zulässig, dass KI die Rolle eines Arbeitnehmenden übernimmt“, beschwichtigt Felix Zimmermann, Leiter des Referats GD I 5 (Öffentliches Auftragswesen; Digitalisierung öffentlicher Einkauf) des BMI, direkt vorab.

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KI ist nicht die einfache Lösung für all unsere Probleme. Man muss ein bisschen Zeit und Gehirnschmalz hineinstecken, sonst wird das Ganze so nicht funktionieren.

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Florian Jeggle, Strategic Business Executive von Google Deutschland

Jedoch könne KI sämtliche Prozesse – vom Einkauf bis hin zur Personalknappheit – um einiges vereinfachen. Zwar ist „KI nicht die einfache Lösung für all unsere Probleme. Man muss ein bisschen Zeit und Gehirnschmalz hineinstecken, sonst wird das Ganze so nicht funktionieren“, sagt Florian Jeggle, Strategic Business Executive von Google Deutschland. So liefere ChatGPT, ein sprach- und textbasierter Chatbot mit künstlicher Intelligenz, für die Beschaffung aktuell nur mäßige Resultate. Die erforderliche Behördenexpertise sei noch nicht ausreichend ins System eingespeist worden, sondern befinde sich entweder in den Köpfen der Mitarbeitenden oder in verstaubenden Dateiordnern. Jedoch ermutigt Alexander Müller, Head of Product vom Münchner StartUp GovRadar: „Nutzen Sie ChatGPT nach dem Prinzip 80 - 20. Es ist doch besser, wenn ein Hauptteil der Arbeit schon getan ist und nur noch ein Kontrollcheck bleibt, als alles selbst zu erledigen“.

Mit eForms und evidenzbasierten Daten den Überblick behalten

Daneben sorgt auch die Thematik der Standardisierung von Vergaben in der EU für eine enorme Entlastung, bedeutet aber für die Beschaffenden zunächst eine Umstellung auf ein neues System. Der Stichtag für die Bekanntmachung öffentlicher Aufträge in den sogenannten eForms ist der 25. Oktober 2023.

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Die Politik erhofft sich, durch die Datengewinnung Mehrwerte zu bekommen.

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Frank Schmitz, Abteilungsleiter für Beschaffungsmanagement des BMI

Zwar stellen eForms die Einkäufer vor einige Herausforderungen, aber sie weisen auch viele Vorteile auf. In den neuen Datenstrukturen steckt viel Potenzial für die Nutzung von Einkaufsdaten. Die Politik erhofft sich, durch die Datengewinnung einen Mehrwerte zu bekommen", so Frank Schmitz, Abteilungsleiter für Beschaffungsmanagement beim BMI. Jedoch mahnt er auch: Viele Beschaffende fühlten sich noch nicht ausreichend auf die Umstellung vorbereitet. So seien in den Eingabemasken für eForms z. B. neue, nicht selbsterklärende Eingabefelder, was einen deutlichen Mehraufwand für die Beschaffenden bedeute. Und was kommt nach den eForms? Bedeuten sie eine Zeitenwende” für die Beschaffung?

Zunächst einmal sind die eForms sehr nützlich. Aus ihnen kann ein Datenpool generiert werden, der den öffentlichen Vergabe- und Beschaffungsinstitutionen hilft, sich einen guten Überblick über den Wettbewerb zu verschaffen. Er könne z. B. darüber Aufschluss geben, welcher Prozentsatz der Beschaffungen tatsächlich nach den Kriterien der Nachhaltigkeit erfolge, erklärt Christopher Schmidt, Leiter des Teams E-Vergabe bei der EU-Kommission. eForms sollen ein wichtiger Schritt sein, der letztendlich das Verständnis darüber verbessert, wie der öffentliche Einkauf in Hessen, Deutschland und Europa funktioniert", führt er aus.

Die Pausen werden genutzt, um sich zu vernetzen, auszutauschen und zu debattieren.
© Simone M. Neumann

Wie können Daten für den öffentlichen Einkauf außerdem genutzt werden? Und welche Erkenntnisse hat das Land Nordrhein-Westfalen diesbezüglich gewonnen? All dies wurde nachmittags im Plenarsaal von Annette Schmidt erörtert. Im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (MWIKE) des Landes Nordrhein-Westfalen leitet sie das Referat Vergaberecht, Zentrale Vergabestelle. Eines der langfristigen Ziele ihres Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eßig ist es, mittels evidenzbasierter Daten einen genauen Überblick über den öffentlichen Einkauf zu bekommen. Außerdem sei es schön, wenn man der wenig beachteten Arbeit der Beschaffer Sichtbarkeit verleihen und zeigen könne, dass sie gut einkaufen und Wert auf Nachhaltigkeit legen.

Über den gemeinsam erarbeiteten Forschungsansatz wird (zusätzlich zur Vergabestatistik) eine belastbare Datengrundlage geschaffen, die Aufschluss darüber gibt, wie groß das genaue Einkaufsvolumen in NRW eigentlich ist. Hier wurde – wie auch in den anderen Diskussionsrunden – das große Engagement und der Wille zum Austausch auf Seite der Verwaltungsinstitutionen deutlich. Das Projekt unter der Leitung von Frau Schmidt ist mittlerweile fest im politischen Willen und Handeln des Landes NRW verankert und soll in der nächsten Phase mithilfe eines Data Analysten ausgebaut werden. All das geschieht nicht zum Selbstzweck. Wenn Prozesse auf der Verwaltungsseite so gestaltet werden können, dass sie für die Seite der Unternehmen attraktiv sind, haben alle einen Mehrwert. 

Regelung und Beachtung von Sorgfaltspflichten für Unternehmen

Tim Stoffel, Grüne Ratsfraktion Bonn, plädiert für eine nachhaltigere Beschaffung
© Simone M. Neumann

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz legt Vorgaben für eine nachhaltige und sozialverantwortliche Beschaffung fest und wurde unter der Moderation von Dr. Barbara Thiemann, Rechtsanwältin bei Dentons Europe, auch aus Sicht des öffentlichen Einkaufs besprochen. Nikolaus Peter, politischer Referent der EU-Kommission, spricht ein Plädoyer für eine EU-weite Regelung: "Ein EU-weites Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein gutes Beispiel dafür, dass die EU in Bezug auf Menschenrechte und Klima handelt und versucht, neue, vernünftige und auch mutige Dinge voranzubringen".