Nachhaltiger Einkauf
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Klimafreundliche Einkaufsstrategien

Christof Helfrich über den Paradigmenwechsel in der Beschaffung

Was ist die gesetzliche Grundlage für die Berücksichtigung von Treibhausgasemissionen bei der Beschaffung? Wie können CO2-Emissionen bei der Beschaffung von Produkten konkret gemessen und bewertet werden? Christof Helfrich, ehemals im Einkauf der N-ERGIE Aktiengesellschaft, gibt Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich der Beschaffung.

Verwaltung der Zukunft: Herr Helfrich, Sie haben in den vergangenen Jahren regelmäßig auf der Beschaffungskonferenz aktuelle Themen aus Ihrem Unternehmen präsentiert. Nun sind Sie pensioniert. Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell?

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Der Einkauf steht vor einem Paradigmenwechsel. Viele Beschaffer haben das noch gar nicht gemerkt oder verdrängen bewusst ein wichtiges Thema.

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Christof Helfrich: Der Einkauf steht vor einem Paradigmenwechsel. Viele Beschaffer haben das noch gar nicht gemerkt oder verdrängen bewusst ein wichtiges Thema: Neben dem Preis wird der Einkauf zukünftig in einem immer stärkeren Maße die Treibhausgasemissionen der beschafften Güter und Dienstleistungen in die Einkaufsentscheidung mit einbeziehen müssen.

VdZ: Welche rechtliche Grundlage ist hierbei besonders relevant?

Helfrich: Im Paragrafen 13 des Klimaschutzgesetzes werden die Beschaffer des Bundes angehalten unter Beachtung der vergaberechtlichen Bestimmungen die Treibhausgasemissionen der beschafften Güter und Dienstleistungen zu berücksichtigen; und das heute schon.
Nachdem das europäische Lieferkettengesetz – kurz CSTripleD  – Unternehmen je nach Größe ab 2027 dazu verpflichtet, Strategien zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu entwickeln, müssen diese sich mit den CO2-Emissionen in ihrer Lieferkette beschäftigen.

Nach dem Greenhouse Gas Protocol werden diese Emissionen in der Lieferkette „Scope 3" genannt. Nehmen wir zum Beispiel die Beschaffung von Computern. Viele Hersteller von elektronischen Endgeräten können bereits heute die CO2-Emissionen ihrer Produkte benennen und machen dies auch öffentlich. Mir ist ein Beispiel in Erinnerung, bei dem ein namhafter Hersteller 258 kg CO2e pro Gerät angibt und ein anderer Hersteller eben nur 147 kg CO2e pro Gerät ausweist.

VdZ: Wie könnte dann eine vergaberechtlich korrekte Berücksichtigung aussehen?

Helfrich: Eine Möglichkeit ist, die verbindlich abgefragten CO2-Werte mit einem vorgegebenen Euro-Betrag zu bewerten. Als Wert könnte man den an der Börse gehandelten European Trading System (ETS)-Wert vorgeben, der zurzeit bei etwa 80 € pro Tonne CO2e liegt, oder den vom Umweltbundesamt empfohlenen realistischeren Betrag von 237 € pro Tonne CO2e ansetzen.

VdZ: Zwischen diesen Beispielwerten herrscht aber eine große Differenz. Welcher Wert ist denn der ‚richtige‘?

Helfrich: Jeder Wert, den Sie als Auftraggeber nachvollziehbar und begründet angeben, ist richtig. Um die Verwirrung noch zu steigern: Sie könnten auch den Wert aus dem Brennstoffemissionshandelsgesetz nehmen, mit dem im Moment Diesel, Benzin etc. belastet sind und der 30 € pro Tonne CO2e beträgt. Wird das Thema Klimawandel und CO2-Neutralität in der Behörde besonders betrachtet, weil man sich als Fairtrade-Stadt schon einen Namen gemacht hat, dann wird der UBA-Ansatz der korrektere sein.

Mit diesem Ansatz wäre der Differenzbetrag in dem gewählten Beispiel 61,15 € zu 34,84 €, also 26,31 € Differenz. Dieser Betrag könnte nun in der Bewertungstabelle dem Preis des einen Produktes zugeschlagen werden.

VdZ: Gibt es noch weitere Möglichkeiten?

Helfrich: Selbstverständlich. Man könnte zum Beispiel dem CO2-Wert einen eigenständigen Wertungsteil zuweisen. Vielleicht könnte man diesen CO2-Wert sogar mit dem gleichen Prozentsatz wie den Preis gewichten.

VdZ: Haben Sie solche Wertungstabellen in Ausschreibungen schon gesehen?

Helfrich: Nein, ich selbst noch nicht, aber ich weiß, dass es schon vereinzelt gemacht wird - auch von Unternehmen, die nicht dem öffentlichen Sektor zuzuschreiben sind. Aber um das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland im Jahr 2045 zu erreichen, kann ich mir solche Wertungstabellen perspektivisch durchaus vorstellen. Und wenn Sie zum Beispiel an die Ausschreibung von komplexen Infrastrukturmaßnahmen – also Bauprojekten – denken, dann haben die Treibhausgasemissionen in der Lieferkette einen sehr hohen Einfluss. Ich habe schon vor Jahren gemutmaßt, dass den Emissionswerten in der Beschaffung ein mindestens ebenso hoher Stellenwert zugewiesen wird wie dem Preis selbst.

VdZ: Der Einkauf steht also tatsächlich vor einem Paradigmenwechsel, wie von Ihnen eingangs erwähnt. Sind die Lieferanten bereits jetzt schon in der Lage, die Emissionswerte für ihre Produkte und Dienstleistungen anzugeben?

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Ich vermute, dass wir in den kommenden Jahren Hilfe zur Selbsthilfe anbieten müssen, um das Bewusstsein für das Thema Klimaneutralität und Treibhausgasemissionen in der Lieferkette bei allen Lieferanten zu schärfen.

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Helfrich: Leider nein. Und viele Unternehmen – insbesondere kleinere Bieter – sind hier definitiv noch überfordert. Die Stellenbeschreibungen unserer öffentlichen Beschaffer im Bund, den Ländern und Kommunen müssten um solche Themen erweitert werden. Ich vermute, dass wir in den kommenden Jahren Hilfe zur Selbsthilfe anbieten müssen, um das Bewusstsein für das Thema Klimaneutralität und Treibhausgasemissionen in der Lieferkette bei allen Lieferanten zu schärfen.

Wir sollten unsere Lieferanten hierbei nicht überfordern. Daher würde ich am Anfang sicherlich nicht solche Wertungstabellen wie oben beschrieben aufstellen und konkrete Werte fordern, sondern bei einfacheren Produkten die Lieferanten auffordern, auf CO2-Datenbanken wie Probas des Umweltbundesamtes (UBA) zurückzugreifen und Werte einfach nur abzufragen, um sie vielleicht im ersten Step noch nicht einmal zu bewerten.

VdZ: Haben Sie noch weitere Empfehlungen für Lieferanten wie sie nachvollziehbar an Emissionswerte kommen?

Helfrich: Ja, ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und in Ausschreibungen den Firmen empfehlen, in Richtung Company Carbon Footprint – also der Ermittlung eines CO2-Fußabdrucks des Unternehmens – zu gehen.

Das bereitet unter Umständen zwar selbst großen Unternehmen schon Probleme; mein Anliegen ist es jedoch, den Lieferanten erste Ansätze mit einem überschaubaren Aufwand zu vermitteln, um in das Thema des CO2-Fußabdrucks des Unternehmens hineinzukommen.

Es gibt beispielsweise ein kostenloses Tool, das die Hochschule Pforzheim mit Experten gemeinsam entwickelt hat, den scope3analyzer. Auf sehr strukturierte Art und Weise kann der Betrieb hier die Treibhausgasemissionen seiner zugekauften Energie, seine im Betrieb emittierten Werte und die in seiner Lieferkette ermitteln. Die Ermittlung der Werte in der Lieferkette erfolgt in diesem Tool preisbasiert. Matcht man die Ausgaben für die beschafften Güter und Dienstleistungen mit den im Tool beschriebenen Warengruppen, so erhält man eine Emissionsanalyse für seine gesamten beschafften Güter und Dienstleistungen.

VdZ: Besteht hier ein Risiko für ungenaue Ergebnisse?

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Die Entwicklung wird weitergehen, aber irgendwann muss man nun einmal anfangen.

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Helfrich: Natürlich kann man das Ergebnis nicht mit einem wertebasierten Ansatz aus Angaben der Lieferanten in der Lieferkette ersetzen, aber es gibt einen ersten, einfachen Überblick über die Struktur seiner Emissionen in der Lieferkette. Im ersten Step ist das für viele kleinere und mittlere Unternehmen auch ausreichend. Selbst große Konzerne haben auf diese Weise angefangen ihren CO2-Fußabdruck zu ermitteln. Die Entwicklung wird weitergehen, aber irgendwann muss man nun einmal anfangen.

VdZ: Sie gelten als recht pragmatischer Praktiker, wie Sie auch in Ihren Vorträgen auf der Beschaffungskonferenz zeigten. Haben Sie das in ihrem Unternehmen ähnlich gemacht?

Helfrich: Ja, natürlich. Angefangen hat es bei uns mit einem studentischen Projekt. Fünf Studierende der Friedrich-Alexander-Universität haben das Thema aufgearbeitet und uns praktisch „geschult". Die eigentliche Arbeit bei der Ermittlung der CO2-Emissionen mit Hilfe des scope3analyzers haben wir gemeinsam mit Auszubildenden vorgenommen. Der Aufwand war damit überschaubar, aber wir im Einkauf haben das Thema noch vor anderen im Unternehmen besetzt. Das hat zur Stärkung der Stellung des Einkaufs beigetragen.

VdZ: Sie sehen also einen immensen Mehrwert für den Einkauf, wenn er sich aktiv um das Thema Klimaneutralität bemüht?

Helfrich: Ja, unbedingt.

VdZ: Herr Helfrich, wir möchten uns ganz herzlich für dieses Interview bei Ihnen bedanken. Auch ein Dankeschön für die ergänzenden Unterlagen für die Leserschaft und die Bereitstellung der Links für die Vertiefung des Themas.

Links zum Thema Scope 3 Emissionen

  • Emissionsrechner für Logistikleistungen: https://www.carboncare.org/co2-emissions-rechner
  • Anhand einer Ausarbeitung des Beratungshauses Kearney (Dekarbonisierung 2.0, Zeitschrift impact von KEARNEY, Ausgabe Nr. 42 - April 2023, Seite 14) können Sie in einer Datenbank mit verschiedenen Schiebereglern die Auswirkung von CO2 mindernden Maßnahmen in der Beschaffung analysieren.

-> Klicken Sie hier um zur interaktiven Datenbank zu kommen. (Hinweis: Vorzugsweise mit Google Chrome zu öffnen)

 

*Bei dem scope3analyzer handelt es sich um ein kostenloses Excel-Tool, welches u.a. von der Hochschule Pforzheim entwickelt wurde. Es gibt einen sehr guten Leitfaden, der die Arbeit gut beschreibt.
Wenn Sie über eine durchgängige Warengruppenstruktur Ihrer beschafften Güter und Dienstleistungen (Wert in € und Herkunftsland) verfügen, können Sie mittels einer Matching-Tabelle die CO2-Emissionen Ihrer Beschaffungen ermitteln lassen. Eine Powerpoint-Auswertung wird Ihnen nach einem Upload Ihrer Ergebnisse am Ende zur Verfügung gestellt.

Erarbeitet wurde das Papier von der Initiative „together for sustainability“. Eine vergleichbare Initiative hat auch die Automobilindustrie mit „drive sustainability“ (www.drivesustainability.org) ins Leben gerufen.