Offboarding und Wissenstransfer: Mitarbeiter in den Ruhestand begleiten
Teil 3 der Reihe über Generationenmanagement in der Arbeitswelt
In den früheren Artikeln der Reihe ("Wie Demografie und Digitalisierung das Personalmanagement verändern" und "Lebensphasenorientierte Personalpolitik: Was Junge wollen und Alte brauchen" ) haben wir uns mit der strategischen Ausrichtung des Personalmanagements mit Blick auf die 3 -D- Herausforderungen Demografie, Digitalisierung, Diversität intensiv beschäftigt. Der strategische Ansatz einer lebensphasenorientierten Personalpolitik als Basis für ein Generationenmanagement erscheint eine mögliche Alternative, die Komplexität im Personalmanagement zu reduzieren. Zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit (Kompetenz, Gesundheit, Engagement) und Aufbau einer von Vertrauen und Wertschätzung geprägten Kultur werden auch moderne Ansätze in der Personalentwicklung gefordert sein. Die Stärkung der Eigenverantwortung für die individuelle Entwicklung steht ebenso im Fokus wie eine stärkenorientierte Förderung der Beschäftigten in jeder Lebensphase.
Allgemeine Funktion der Personalentwicklung
Ziel der Personalentwicklung ist die Ausrichtung und Förderung der vielfältigen und unterschiedlichen Kompetenzen aller Mitarbeitenden mit Blick auf aktuelle und künftige Herausforderungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die für den Organisationserfolg notwendigen Kompetenzen erkannt, optimal genutzt und gezielt weiterentwickelt werden können. Eine moderne Personalentwicklung ist daher eng mit der Gesamtstrategie verzahnt, um auf Veränderungen wie zum Beispiel die Digitalisierung oder Internationalisierung schnell und professionell reagieren zu können.
Die Personalentwicklung fördert über den Einsatz dialogbasierter Führungsinstrumente eine von Vertrauen und Wertschätzung geprägte Kultur. Das kann zum Beispiel durch Kooperationsgespräche, Entwicklungsgespräche, Beurteilungswesen oder Führungskräftefeedback geschehen. Personal- und Organisationsentwicklung sind eng miteinander verbunden, um die neue Arbeitswelt zu gestalten.
Auf individueller Ebene stehen Potenzialerkennung, Kompetenzentwicklung, Engagement und Bindung der Mitarbeitenden im Fokus. Ein modernes Talentmanagement sollte alle Beschäftigten in jeder Lebensphase erfassen - von der Einstellung bis zum beruflichen Ende oder gegebenenfalls darüber hinaus.
Potenziale älterer Menschen (an)erkennen, fördern und einsetzen
Mit Blick auf die in Teilen älter werdende Belegschaft und die zu erwartende altersbedingte Fluktuation in den kommenden Jahren gewinnt neben der altersgerechten Gestaltung der Arbeit über die gesamte Erwerbsphase hinweg auch eine von Anerkennung und Wertschätzung geprägte Kultur von Führung und Zusammenarbeit an Bedeutung. Die systematische Identifikation und Nutzung der Potenziale ist ebenso wichtig wie eine kompetenzbasierte und individuelle Personalentwicklung ohne Altersbegrenzung. Dies schließt, in Abhängigkeit von Leistung und Potential sowie der individuellen Berufs- und Lebensplanung, auch die Möglichkeit einer späten Karriere ein. Eine Kompensation von Formalqualifikationen durch Berufs- und Lebenserfahrung sowie Leistung sollte, wo möglich, Basis auch von Entwicklungspfaden sein. Sie machen Erwartungshaltungen und Anforderungen transparent. Ein derartiges Personalentwicklungssystem bietet Anreize für lebenslanges Lernen und sichert leistungsorientiert Ressourcen, insbesondere bei der Förderung von Fachexperten.
Zu einem modernen Verständnis von Personalentwicklung trägt auch deren Rolle als Gestalterin guter Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen bei. Hierunter kann auch die Begleitung in den Ruhestand und intergenerationales Lernen über einen strukturierten Wissenstransfer subsumiert werden. Eine immer wichtiger werdende Aufgabe in der Personalentwicklung neben dem Onboarding ist auch das „Offboarding“. Dieser Prozess sollte, individuell gestaltet, circa 2 bis 3 Jahre vor dem Ruhestand beginnen.
Das nachstehende Modell zeigt Beispiele auf, wie das gelingen könnte, den Schritt in den Ruhestand konkret zu gestalten:
Kooperationsgespräche und Personalentwicklungsgespräche
Neben der klassischen Beurteilung und dem damit verbundenen Leistungsfeedback als Grundlage auch für die horizontale und vertikale Personalentwicklung ist der individuelle Dialog entscheidend. Er prägt entscheidend die mitarbeiterorientierte Führung. In bestehende Dialogformate kann auch auf freiwilliger Basis der Übergang in den Ruhestand thematisiert werden – so zum Beispiel auch der Hinweis auf Teilnahmemöglichkeiten für ein entsprechendes Seminar, das auf den Ruhestand vorbereitet. Auf dieses Gespräch sollten sich Führungskräfte wie Mitarbeitende vorbereiten. Folgende Fragen wären interessant:
- Was bedeutet Ruhestand für Sie?
- Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wie ein Übergang in den Ruhestand für Sie aussehen kann?
Wie sieht Ihre bzw. könnte Ihre Idealvorstellung von einem Übergang aussehen? - Was möchten Sie sich in den verbleibenden Berufsjahren noch vornehmen?
Welche der Sachen, die Sie gerne noch machen möchten, können Sie in Ihrem aktuellen Team verwirklichen? - Gibt es berufliche Dinge, die Sie heute mehr belasten, als noch vor 10 Jahren?
- Was bedeutet es für Sie, Ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben?
- Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, sich nach dem Berufsleben in irgendeiner Form zu engagieren?
Ehrenamtlich? Familiär? In Projekten? - Besteht ein Interesse an der Seminarteilnahme zur Vorbereitung auf den Ruhestand?
Aufgaben der Führungskraft
Die Führungskraft, unterstützt durch den Personalbereich, steht vor wichtigen Aufgaben im Prozess:
- Sie stößt den Wissenstransfer an, gibt den Rahmen und die Instrumente vor, motiviert die Beteiligten und begleitet den Prozess.
- Sie stellt Möglichkeiten zur aktiven Ausgestaltung des Ruhestands vor: beispielsweise Wissensweitergabe an Nachfolgerinnen/Nachfolger, Beratertätigkeiten im Rahmen von bedarfs- bzw. anlassbezogenen Aufgaben, gesamtgesellschaftliches Engagement.
- Sie steht dem/der Mitarbeitenden als Ansprechpartner zur Seite (Übergang in den Ruhestand als kritisches Lebensereignis; eventuell Neubewertung der beruflichen Situation).
- Sie zeigt Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement auf, ermöglicht gegebenenfalls einen „Schnuppertag“ in einer sozialen Einrichtung.
Wissenstransfer am Beispiel thyssenkrupp Steel Europe
Wissenstransfer bezeichnet die Weitergabe von Wissen und langjähriger Erfahrung eines Wissensgebers an einen Wissensnehmer. Die Anlässe für einen Wissenstransfer sind vielfältig. Ein Arbeitnehmer mit relevantem Betriebswissen verlässt das Unternehmen oder die Position. Langjährig aufgebautes Erfahrungswissen oder Prozesse sollen im Team gesichert und dokumentiert werden. Initiierend für den Start des Wissenstransfer ist ein persönliches Vorgespräch zur Bedarfsklärung und Zielsetzung mit der Führungskraft und dem Team Learning & Transformation Concepts sowie die Bereitstellung von Unterlagen zur digitalen oder analogen Selbstorganisation des Wissenstransfers.
Bei der thyssenkrupp Steel Europe AG tun dies Wissenstransfer-Begleiter. Sie stammen aus dem Fachbereich, in dem der Wissenstransfer stattfinden soll und steuern den Wissenstransfer vor Ort, sind Ansprechpartner für alle Beteiligten. Hierzu absolviert der Wissenstransfer-Begleiter ein E-Learning, das neben Hintergrundinformationen auch Unterlagen und Hilfsmittel für die Durchführung eines Wissenstransfers beinhaltet. So wird der Mitarbeiter zur individuellen und fachgerechten Begleitung der Methode befähigt und kann zukünftig bei Bedarf weitere Fälle aus dem Fachbereich betreuen. Vor dem Hintergrund, dass durch alters- und austrittsbedingte Betriebsabgänge der Bedarf an Wissenstransfer zunimmt, ist es sinnvoll, ein Multiplikatorenkonzept zu realisieren, das vor Ort den Prozess begleitet.
Praxis-Beispiel: Senior Expert Pool
Eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zu ehemaligen Beschäftigten mit langjährigem Erfahrungswissen auch über das Berufsleben hinaus zu halten, ist der Aufbau eines Senior Expert Pools. Bei thyssenkrupp ist es die Senior Experts GmbH mit pensionierten Fach- und Führungskräften.
Jährlich gehen hunderte Mitarbeitende in der thyssenkrupp Gruppe in den Ruhestand und nehmen wertvolle Erfahrungen mit. Für Unternehmen und Organisationen wird es immer wichtiger, spezielles Wissen von Fach- und Führungskräften auch nach deren Berufsaustritt temporär zu nutzen und so auf sensibles Know-How zurückgreifen zu können. Zugleich wünschen sich häufig ehemalige Mitarbeitende einen gleitenden Übergang in den Ruhestand beziehungsweise weiterhin eine herausfordernde Aufgabe auf Zeit. Hinzu kommt, dass der Senior Expert die Organisation und Unternehmenskultur genau kennt und so schnell und effizient mitarbeiten und Projekte begleiten kann. Sein Erfahrungswissen wird geschätzt und gebraucht – dies ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Gerade bei Wissen, das zum Beispiel bei jüngeren Beschäftigten nicht mehr ausgebildet wird, bieten Senior Expert Pools eine zuverlässige und schnelle Lösung, auf relevantes Know-How zurückgreifen zu können. Außerdem wird das langjährig aufgebaute Erfahrungswissen auf diese Weise wertgeschätzt.
Die Unterstützung auf Zeit ist vielfältig und kann alle Verantwortungsbereiche und unterschiedliche Aufgaben betreffen, konkret zum Beispiel:
- Ein Interimsmanager, da auf die Schnelle kein geeigneter Kandidat auf dem Markt gefunden wird
- Ein Senior Expert mit spezifischem Know-How, das in der Unternehmensgruppe aktuell nicht vorhanden ist
- Ein erfahrener Projektmanager, der ein junges Team begleitet
- Eine personelle Unterstützung aufgrund von Mutterschutz oder einer Langzeiterkrankung
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den Ruhestand zu begleiten. Viele Instrumente und Maßnahmen sind bereits in vielen Organisationen vorhanden. Diese Facette der Personalarbeit kann oftmals mit minimalinversivem Aufwand in bestehende Konzepte integriert (etwa in Gesprächsformate) werden.
So bedeutet der Aufbau von Senior Expert Pools beispielsweise auch, rechtzeitig Talente dafür zu identifizieren. Dies kann insbesondere im Kontext vorhandener Personalentwicklungssysteme geschehen. Mit Blick auf den sinkenden Halbzeitwert des Wissens ist eine enge Bindung an die Arbeitgeber über die Ruhestandsgrenze hinaus wichtig. Damit Wissen nicht veraltet, können zum Beispiel der Zugriff auf interne Systeme wie das Intranet, die Einbeziehung bei ausgewählten Besprechungen oder gezielte Qualifizierungsmaßnahmen sinnvoll sein. Auch Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung sollten dieser Gruppe zur Verfügung stehen.
Wie bei vielen Personalthemen setzt auch die Begleitung in den Ruhestand eine Kultur des Vertrauens und die Motivation der Beschäftigten voraus. Im Kontext der lebensphasenorientierten Personalpolitik beginnt die Förderung des Engagements daher schon mit der Bewerbung und zieht sich durch das gesamte Berufsleben. Die lebensphasenorientierte Herangehensweise ist somit aus unserer Sicht ein wichtiger Stellhebel für den Erfolg und die interne und externe Arbeitgeberattraktivität.
Veranstaltungstipp: Online-Seminar am 27.1.2021
Am 27.1.2021 wird zum Thema „Generationenmanagement gestalten – Arbeitgeberattraktivität erhöhen” eine virtuelle Veranstaltung beim European Institute of Public Administration (EIPA) stattfinden. Sprecher aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft werden über ihre Ideen und praktischen Umsetzungserfahrungen berichten und tauschen sich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dazu aus.
Broschüre – Übergang in den Ruhestand
Gerade in der letzten Berufsphase ergeben sich viele Fragen zum Austritt: rechtliche, finanzielle und private. Die Broschüre „Übergang in den Ruhestand“ bündelt diese und weitere Fragen und dient als erste Informationsquelle für Mitarbeitende, die sich circa zwei bis drei Jahre vor dem Berufsaustritt befinden. Das Heft informiert über Möglichkeiten zum Kontakthalten, ehrenamtliches Engagement, Fragen zur betrieblichen Altersvorsorge und mehr.