548035849
© shutterstock_548035849

Führerscheinumtausch nach dem Ende der OZG-Umsetzungsfrist

Digitale oder doch eher analoge Bürgerservices in der Landeshauptstadt München?

Wie digital ist eigentlich das digitale Angebot für den Umtauschpflichtigen in einer Zeit, wo online ausgerollte Amtsleistungen im Zuge des OZG zur Verfügung gestellt werden? VdZ-Experte Prof. Dr. Robert Müller-Török, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, rekapituliert die Situation am Beispiel des Führerscheinumtausches in München.

Sinn und Zeitplan des Umtauschs

Die Europäische Union verfügt laut Erwägungsgrund (3) der Richtlinie 2006/126/EG über mehr als 110 verschiedene, gültige Führerscheinmuster, was durchaus in einem vereinten Europa die Sinnhaftigkeit einheitlich aussehender und standardisierter Führerscheine begründet. Die alten Führerscheine umzutauschen, ist Angelegenheit der Mitgliedsstaaten und verläuft nach einem festgelegten Zeitplan, den das Bundesministerium für Digitales und Verkehr veröffentlicht hat. Dieser sieht z. B. vor, dass in Deutschland alle Führerscheininhaber Geburtsjahrgang 1970 oder älter einen eventuell noch vorhandenen Papierführerschein bis spätestens 19. Januar 2024 in einen standardisierten Plastikkartenführerschein umtauschen. Interessanterweise ist es bspw. den im deutlich besser digitalisierten Mitgliedsstaat Österreich lebenden Führerscheininhabern erlaubt, ihren Papierführerschein bis zum 19. Januar 2033 zu behalten – also neun Jahre länger.


Online-Umtausch in München – nur für Deutsche mit App?
 

Prinzipiell gibt es in München zwei Möglichkeiten des Umtauschantrags: Online oder per Brief. Der Onlineantrag setzt voraus:

  1. Eine BayernID: Die kann man sich zwar am BayernPortal beschaffen, aber dies nur in deutscher oder englischer Sprache. Inwieweit das mit den Diversitätszielen der Stadt München vereinbar ist, die u.a. fordern “Zugangswege und Arbeitsabläufe im Sinne der Gleichstellung zu gestalten”, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. 

  1. Die Registrierung zur BayernID kann offensichtlich neben eIDAS-konformen europäischen notifizierten eIDs des Vertrauensniveaus “high”, auch nur mit einer gültigen Mailadresse erfolgen. Diese reicht aber, so zeigte ein Selbstversuch, nicht für den Onlineantrag aus. Hier muss die AusweisApp2 installiert sein. Anscheinend funktioniert das nur für Inhaber deutscher Personalausweise bzw. elektronischer Aufenthaltstitel, jedoch – wohl unionsrechtswidrigerweise – nicht für gleichwertige unter eIDAS notifizierte eIDs von anderen Mitgliedsstaaten. Diese können zwar damit eine BayernID kriegen, aber das reicht nicht für die Antragstellung Führerscheinumtausch in der Landeshauptstadt München. Dass dies bei ca. 27 Prozent Ausländeranteil in München Zigtausende betrifft, die gültige und auf Vertrauensniveau „high“ notifizierte eIDs ihrer Heimatländer besitzen – und die damit nach eIDAS-VO als gleichwertig anerkannt und akzeptiert werden müssen –  scheint der Landeshauptstadt gleichgültig zu sein. Kroatien und Italien haben ihre eIDs notifiziert – das allein betrifft über 67.000 Münchnerinnen und Münchner. Dies gilt ebenso für meine ID Austria, womit weitere 20.000 Münchnerinnen und Münchner, wie ich, diskriminiert werden. 

  1. Die Installation der AusweisApp2 auf dem verwendeten Endgerät – was fremde Endgeräte, bspw. Arbeitsplatz-PCs des Arbeitgebers, wohl ausschließt. 

Kein Weiterkommen ohne AusweisApp2: Onlinebeantragung in München

Antragsunterlagen: Der Bürger soll laufen, nicht die Daten
 

In jedem Fall sind für den Antrag erforderlich: 

  1. Das Antragsformular, welches sieben(!) Seiten umfasst und ausschließlich in deutscher Sprache verfügbar ist

  1. Ein aktuelles, biometrisches Lichtbild 

  1. Eine Kopie oder das Original des bisherigen Papierführerscheins 

  1. Eine Kopie des Personalausweises oder des Reisepasses 

  1. Eine Karteikartenabschrift der Führerscheinbehörde, welche den Führerschein ausgestellt hatvom Antragsteller zu besorgen

  1. Eine Kopie der Überweisungsbestätigung für die Gebühren von 25,30 EUR

 

Dass sowohl Punkt 3, 4, 5 und 6 mit einem handelsüblichen Standardpersonalcomputer einfach fälschbar sind, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Karteikartenabschrift für meine Ehefrau, welche mir vorliegt, ist ein einfacher Brief der Stadt Augsburg, der ein einseitiger DIN A4-Ausdruck in schwarz-weiß mit einer handschriftlichen Unterschrift ist. Dass eine Überprüfung stattfindet, ist zu bezweifeln. Dass es hierbei mit geringer krimineller Energie möglich ist, einen fiktiven, gefälschten Führerschein gegen einen fälschungssicheren EU-Führerschein mit Hologramm umzutauschen, liegt auf der Hand. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zumindest das Land Rheinland-Pfalz über keinerlei Zahlen bezüglich gefälschter Ausweisdokumente verfügt, wie eine kleine Anfrage aus 2020 belegt. Dass es hierfür hinreichend kriminelle Energie gibt, ist der Tagespresse häufiger zu entnehmen. Bei einem Bestand von ca. 58 Millionen PKW-Führerscheinen genügt ein kleiner Anteil, um große Wirkung zu entfalten. 

Beispielsweise haben auch gelegentliche Aushilfskräfte eines Autoverleihs problemlos Zugang zu Führerscheindaten. Ebenso landen sicherlich auch genügend Führerscheine Verstorbener im Hausmüll oder Altpapier. Da es anscheinend der Hauptwohnsitzgemeinde nicht bekannt ist, ob der Verstorbene einen Führerschein besitzt, werden Verstorbene wohl auch nicht bei der ausstellenden Behörde als „ist verstorben“ gekennzeichnet. Wüsste die Hauptwohnsitzgemeinde um einen Führerscheinbesitz ihrer Einwohner, dann müsste man als Antragsteller wohl keine Karteikartenabschrift der führerscheinausstellenden Gemeinde beibringen. Der Aufwand für Fälscher ist also äußerst gering, an Arbeitsmaterial zu gelangen.  

Das eigentliche Problem ist, dass 3, 4 und 5 der Verwaltung vorliegen – oder einer wohldigitalisierten Verwaltung vorliegen sollten.

Leider existiert:

  • Eine Datei oder Datenbank aller in Deutschland ausgestellten Führerscheine offenbar nicht – sonst würde die Verwaltung den Bürger nicht dazu zwingen, sich selbst um eine „Karteikartenabschrift“ zu kümmern. Das Kraftfahrbundesamt verfügt nur über Daten von nach dem 1. Januar 1999 ausgestellten Führerscheinen in seinem Zentralen Fahrerlaubnisregister.

  • Zwar existieren in Deutschland Personalausweisregister, allerdings werden diese nach § 23 PAuswG Z. 1 dezentral bei den Personalausweisbehörden geführt. Auch hier wäre es 2023 in einem G 7-Mitgliedsstaat zu erwarten, dass es ein zentrales elektronisches Register gibt. Da die Personalausweise von der Bundesdruckerei zentral hergestellt werden, hätte auch diese eine Übersicht führen können – wenn es von Politik bzw. Verwaltung gewünscht gewesen wäre. Gleiches gilt wohl auch für die Pässe.
     

Wie es ablaufen sollte
 

Ein idealer Ablauf in einer digitalisierten Verwaltung sähe so aus, dass der Bürger nach Identifikation mit einer eIDAS-konformen eID einen Antrag stellt, dem er keine weiteren Unterlagen außer einem aktuellen Lichtbild – für den Fall dass sein letztes abgegebenes Lichtbild zu alt ist – beigibt. 

Sodann wird der neue Führerschein hergestellt, und der Bürger erhält einen Termin, bei dem er seinen alten Führerschein gegen den neuen umtauscht und ggf. seine Identität nochmals geprüft wird. Hier kann auch eine eventuelle Gebühr bezahlt werden.
 

Fazit und ein Blick über die Grenzen
 

In Ungarn müssen seit dem 1. Januar 2023 Führerschein und Zulassungspapiere (entspricht Zulassungsbescheinigung Teil 1 in Deutschland) nicht mehr mitgeführt werden. Es genügt ein amtlicher Lichtbildausweis. Den Rest sucht sich die Polizei aus mobil abfragbaren und gepflegten vollständigen staatlichen Registern. Dies gilt natürlich nur für in Ungarn ausgestellte Führerscheine und zugelassene Kraftfahrzeuge – aber immerhin. Für die Landeshauptstadt München, wie für ganz Deutschland, ist es als G 7-Mitgliedsstaat nicht zur Ehre gereichend, wenn andere Staaten hier so weit voraus sind. Sollte die besagte Führerscheinumtauschaktion abgeschlossen sein, was dem Zeitplan nach zum 1. Januar 2033 der Fall sein wird, so ist es zumindest möglich, dem ungarischen Vorbild zu folgen.  

Ob die Verwaltung in zehn Jahren dazu bereit sein wird, ist zu hoffen – gesichert ist dies, auch im Lichte von OZG 2 und der Registermodernisierung, leider noch nicht. 

Nehmen Sie Kontakt zum Autor/zur Autorin auf

Sie haben Interesse an einem Erfahrungsaustausch oder weiteren Informationen? Ihr Feedback und Ihre Fragen leiten wir direkt an den Verfasser / die Verfasserin des Textes weiter.