Verwaltung der Zukunft: Was sind für Sie die größten Herausforderungen, die Sie in Ihrer Funktion als Leiter der Unterabteilung Bessere Rechtsetzung aktuell sehen?
Matthias Schmid: Der Schwerpunkt unserer Arbeit in der Unterabteilung liegt aktuell auf dem Thema Bürokratieabbau. Das ist mittlerweile ein zentrales politisches Anliegen und hängt eng mit der Frage der besseren Rechtsetzung zusammen: Denn überflüssige Bürokratie entsteht oft durch zu wenig durchdachte Regulierung. Im politischen Prozess ist es nicht einfach, bestehende Vorschriften abzubauen oder zu ändern, selbst wenn der Problemdruck hoch ist. Langfristig ist es daher effizienter, von Anfang an eine gute Regulierung zu schaffen, die unnötige Bürokratie und erst gar nicht erzeugt und digitaltaugliches Recht schafft. Das Hauptproblem entsteht häufig dadurch, dass Geschäftsprozesse nicht ganzheitlich betrachtet werden. Jeder Bereich arbeitet isoliert und regelt nur einen Ausschnitt, wodurch die Regulierung nicht immer miteinander harmoniert.
VdZ: Welche Veränderungen in der Kultur der Rechtsetzung sehen Sie bereits, und welche sind Ihrer Meinung nach nötig, um den digitalen Wandel erfolgreich umzusetzen?
Schmid: In der aktuellen Legislaturperiode haben wir neue Werkzeuge entwickelt, wie etwa den Digitalcheck, bei dem jedes neue Gesetz auf Digitaltauglichkeit geprüft wird. Zudem arbeiten wir vermehrt mit Praxischecks, um sicherzustellen, dass Regulierung in der Praxis tatsächlich funktioniert. Das bedeutet, dass wir uns bestehende Vorschriften anschauen und deren Wirksamkeit mit den Normadressaten diskutieren, bevor wir Änderungen vornehmen. Allerdings ist dies noch nicht immer und überall der Fall; hier müssen wir noch besser werden.
Ein weiteres Projekt, über das ich auch auf dem DJS sprechen werde, ist das Zentrum für Legistik. Das Ziel ist, spezifische Fähigkeiten für die Rechtsetzung zu vermitteln – denn auch Juristinnen und Juristen sind nicht automatisch auch qualifizierte Legistinnen und Legisten. (Das sind die Leute vor allem in der Ministerialverwaltung, die die Gesetzesvorlagen erstellen.) In der universitären Ausbildung lernt man bisher vor allem, abgeschlossene Sachverhalte im Nachgang zu beurteilen. Bei guter Regulierung geht es aber um Modellierung der Zukunft. Dafür gibt es bisher in Deutschland keine planmäßige Qualifizierung. Das wollen wir ändern. Auch der Normenkontrollrat unterstützt das Projekt.
Die Verwaltung ist in dieser Hinsicht schwerfällig, und Transformationsprozesse benötigen Zeit. Es gab bereits vor Jahrzehnten Ansätze, wie die „Blauen Prüffragen“, oder Anleitungen zur Gesetzesfolgenabschätzung. Doch vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, innovative Methoden und Werkzeuge der Besseren Rechtsetzung auch in der Staatspraxis zu verankern.
VdZ: Wo sehen Sie die digitale Gesetzgebung und Rechtsetzung in Deutschland in zehn Jahren? Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit dieser Fortschritt gelingt?
Schmid: Ich möchte auf dem Kongress auch darüber sprechen, wie wir zu digitaltauglichem Recht kommen. Aktuell wird im Grunde nach wie vor versucht, Rechtstexte, die verabschiedet wurden, nachträglich in Software für Prozesse und Entscheidungen umzuwandeln – eine Art Reverse Engineering also. Wir sollten jedoch dahin kommen, dass die Legistinnen und Legisten als Autoren des „ersten Textes“ von vornherein strukturiert denken und modellieren.
Es gibt ja die Konzepte von 'Law as Code' oder 'Code as Law', wobei anstelle von Text letztlich ein Softwareprogramm Gegenstand der Rechtsetzung ist. Ich halte es jedoch für unrealistisch, dass dies in naher Zukunft möglich ist, weil wir weiterhin Text brauchen, um auch politisch über die Regelungsvorschläge zu sprechen. Was wir also neben dem Text benötigen, ist eine Modellierung der Prozess- und Entscheidungsstrukturen, die für den Vollzug dann in Code umgewandelt werden kann.
Eine Technik, die dabei helfen könnte, ist das Rulemapping, mit dem wir uns im Zentrum für Legistik beschäftigen wollen. Diese Methode, die von Prof. Stephan Breidenbach entwickelt wurde, hat meiner Meinung nach Potenzial, und es ist möglich, mit ihr den Vollzug von Rechtsregeln weithin zu automatisieren. Es ginge darum, diese Methode bereits im Entwurfsprozess einzusetzen, um von vorne herein klarere Strukturen der künftigen Regulierung zu schaffen. Ziel ist aber nicht, jeden Prozess oder jede Entscheidung zu automatisieren. Es geht vielmehr darum, klar zu definieren, was automatisiert abgearbeitet werden kann, und was menschlichen Entscheidungen vorbehalten bleiben sollte.
VdZ: Bürgernähe ist ein häufig genannter Wert in der Rechtsetzung. Welche Methoden oder Initiativen halten Sie für geeignet, um Bürgerbeteiligung und Transparenz nachhaltig in die Gesetzgebung zu integrieren?
Schmid: Ein wichtiges Thema ist die frühe Beteiligung in der Gesetzgebung. Die Bundesregierung plant ein zentrales Gesetzgebungsportal. Alle Rechtsetzungsprojekte sollen bereits in einer sehr frühen Phase sichtbar und zugänglich sein.
Derzeit erfolgt die Beteiligung meist über Verbände und andere Intermediäre. Doch es sollen auch Formate entstehen, in denen die Zivilgesellschaft direkt Input geben kann, wie es etwa auf EU-Ebene mit dem Portal 'Have Your Say' bereits möglich ist. Ein Problem dabei ist jedoch die effiziente Auswertung großer Mengen an Feedback: Wenn etwa tausende E-Mails zu einem Vorschlag eingehen, stellt sich auch die Frage nach der Effizienz einer solchen breiten Partizipation.
Frühe Beteiligung und Transparenz sind jedoch entscheidend, um ein besseres Verständnis für die Probleme zu entwickeln, die gelöst werden sollen. Das 'Zentrum für Legistik' sieht es ebenfalls als Kernaufgabe, mehr Zeit in die Problemerkundung zu investieren, da oft zu schnell nach Lösungen gesucht wird, ohne das Problem vollständig verstanden zu haben.
VdZ: Welche Fähigkeiten sollten Nachwuchskräfte und künftige Jurist*innen entwickeln, um den Anforderungen an moderne und digitalisierte Rechtsetzung gerecht zu werden?
Schmid: Wenn man sich überlegt, was Regulierung im Kern ist, dann geht es um das Verstehen und das kreative Lösen komplexer Probleme: Wie geht man klug mit Komplexität um? Im Grunde brauchen wir ein anderes Mindset, um diese sehr dynamischen Systeme zu verstehen, die wir heute und in Zukunft regulieren müssen. Zugleich ist wichtig, sich der eigenen Beschränkungen bewusst zu sein: Wir bringen alle unsere Wahrnehmungsverzerrungen (Biases) mit, wenn wir Lebenssituationen betrachten. Daniel Kahneman beschreibt in "Schnelles Denken, langsames Denken" diese Verzerrungen und erklärt, dass man sie nicht einfach ablegen kann, aber bewusster damit umgehen kann, um Denkfallen und Kurzschlüsse zu vermeiden.
Dies und systemisches Denken sind ein wesentlicher Bestandteil der künftigen Qualifizierung, um komplexe Probleme besser zu lösen. Entscheidend ist neben dem Fachwissen also, klug denken zu können, Strukturen zu erkennen und verständlich zu kommunizieren. Dafür gibt es Methoden und Werkzeuge aus vielen Wissensdomänen, die wir für eine Bessere Rechtsetzung nutzbar machen können.
📅 Matthias Schmid auf dem 3. Digital Justice Summit
25. November 16:45 - 17:45: Werkstatt I.III.2
Rechtssetzung der Zukunft: Das Projekt "Zentrum für Legistik" und die neuen Potentiale der KI
3. Digital Justice Summit - Deutschlands Justiz gemeinsam moderner machen!
-
25.–26. November
-
Kongresscenter im Hotel de Rome
Das Digital Justice Summit begleitet den Transformationsprozess aller Institutionen und Akteure im Umfeld der Judikative einschließlich europäischer Entwicklungen. Der Kongress vernetzt also ebenenübergreifend Entscheidungsträger/innen und alle beteiligten Akteure/innen im Umfeld der Justiz bzw. des Justizwesens: die Gerichte der verschiedenen Gerichtsbarkeiten, die Staatsanwaltschaften, den Justizvollzug, die sozialen Dienste der Strafrechtspflege, die Justizverwaltung, das Notariat sowie die Rechtsberatung. Ebenso die Digitalwirtschaft, die Legal Tech-Szene, die Versicherungswirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie die Zivilgesellschaft. Die Veranstaltung schafft eine Plattform für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, um gemeinsam die volle Bandbreite der Themen der Modernisierung und Digitalisierung des Justizsektors zu diskutieren und neue Lösungsansätze zu entwickeln.