Seit rund drei Jahren können mit der App „stadtnavi” Routen über verschiedene Transportmittel verteilt geplant werden, sodass das Auto auch mal stehen bleiben kann. Neben Bus und Bahn zeigt sie z. B. auch Bike- und Carsharing, Parkhausbelegung oder Baustellen an. Ursprünglich war das Projekt dazu gedacht, die Luftschadstoffe in der Region zu reduzieren. Inzwischen ist sie viel mehr als das – Jeden Monat steigen die Zugriffszahlen, andere Städte und Regionen bauen ähnliche Modelle und Open-Source-Nerds basteln fröhlich weiter.
Die App hat zwei große Vorteile: Erstens können sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv in den Gestaltungsprozess einbringen. Feedback wird regelmäßig eingeholt – bequem direkt in der App sowie in Form von aktiven Mitmachaktionen, bei denen sinnvolle Vorschläge gesammelt werden. Zum anderen überzeugt sie durch ihre leichte Bedienbarkeit. Für den vergleichbar kleinen Wirkungskreis Herrenberg ist sie erstaunlich ausgereift, was vor allem an der Tatsache liege, dass sie auf Open-Source basiert. „Die Menschen sind motivierter und sehen Open-Source als Gelegenheit, selbst etwas beizutragen. Wir haben echte stadtnavi-Fans", berichtet Jana Zieger, Projektmanagerin für nachhaltige Mobilität, Datenmanagement und das stadtnavi von Herrenberg.
Förderung einer klimaneutralen Zukunft
Ursprünglich war sie nur als Baustein auf dem Weg hin zur klimafreundlicheren Mobilität gedacht. Im Jahr 2016 ergab eine Untersuchung des Umweltbundesamts, dass die Stickstoffdioxide in vielen Teilen Deutschlands höher als zulässig waren. Deshalb leitete der Bund verschiedene Förderprogramme für Kommunen ein, um umweltschonender zu werden. Herrenberg wurde hier als als eine von mehreren Modellstädten ausgewählt.
Dadurch standen der Stadt ausreichend Mittel zur Verfügung, um verschiedene Pfade auszutesten. Die beiden Hauptverkehrsachsen wurden umgebaut, intelligente Ampeln und neue Geschwindigkeitsregelungen eingeführt sowie das stadtnavi für Herrenberg entwickelt. Die gesamte Förderung für den Baustein der Mobilitäts-App belief sich auf ca. 1,3 Millionen Euro bei einer Förderquote von 95 Prozent.
Aus der Hackerwerkstatt nach Herrenberg
Wie kam es also zum stadtnavi? Mehr oder weniger durch Zufall. Stefan Kraus, Leiter der Technischen Dienste der Stadt, unternahm 2019 einen Ausflug nach Ulm, wo er über das „Verschwörerhaus Ulm“ stolperte – damals ein Hack- und Makespace mit einer engagierten Civic Tech Community.
Dort haben sie aus bloßem Spaß an der Sache die finnische Open-Source-Software „digitransit journey planners” für Ulm anwendbar gemacht. Dort kam sie zwar nie größer zum Einsatz, aber das Zentrum veröffentlichte den Code auf github, wodurch er nachnutzbar wurde.
Stefan Kraus, Holger Bruch (Systemanalyse und IT-Beratung) sowie Jerg Theurer (mhascaro GmbH) machten sich also daran, daraus einen Quellcode für Herrenberg zu basteln. Mit vollem Erfolg: Seit 2020 ist das stadtnavi als Browserversion und seit 2021 auch als App für iOS und Android verfügbar. Doch „ohne die vielen, vor allem ehrenamtlich motivierten Menschen, die Lust hatten, rumzuexperimentieren und der Verwaltung zu helfen, wäre das stadtnavi wohl nicht in Herrenberg gelandet“, betont Zieger.
Eine engagierte (Open-Source-)Gemeinschaft
Das liegt daran, dass die Bundesförderung 2021 auslief. Seitdem steht die App auf eigenen Beinen und hat ein eigenes Budget im Haushalt der Stadt. Nichtsdestotrotz hat sich das stadtnavi-Team für ein weiteres, kleineres Förderprojekt im Jahr 2022 beworben und inzwischen die Förderzusage erhalten. Ziel ist es, die Beteiligung der Open-Source-Community zu stärken, technische Verbesserungen und Weiterentwicklungen vorzunehmen sowie ein Netzwerk mit anderen Städten aufzubauen, die ähnliche Instanzen nutzen.
Eine große Community hinter sich zu haben, gewinnt umso mehr an Bedeutung. Zwar ist der Quellcode lizenzfrei online, aber das macht die App nicht zum Selbstläufer.
Wenn ein Sensor kaputt geht, muss er ersetzt werden. Hinzu kommen die laufenden Personalkosten für die Verwaltung sowie ein externer IT-Dienstleister, der die App technisch betreut.
Doch der wichtigste Baustein des stadtnavis ist die Aktualität der Open Street Map, die auf ehrenamtlicher Arbeit basiert, sowie dem Mitwirken der Nutzenden. Aktuell stehen 19 Live-Features in der App bereit, darunter die beliebte „Nette Toilette", der ÖPNV Fahrplan sowie freie Parkplätze in der Gegend. Diese werden beständig weiterentwickelt und aktualisiert.
Der hohe Nutzen für andere Kommunen
Zudem endet das stadtnavi nicht an den kommunalen Grenzen, sondern ist großflächig nachnutzbar. Die Software ist zugleich eine Open-Source als auch eine White-Label-Lösung. Der Quellcode ist öffentlich verfügbar (Open-Source) und andere Kommunen, Städte und Regionen können die Software unter ihrem eigenen Branding nutzen (White Label). Dadurch ist sowohl eine hohe Transparenz als auch die Möglichkeit zur stetigen Weiterentwicklung durch die Community gewährleistet.
3 Tipps von Jana Zieger
- Förderprogramme anzuschauen lohnt sich
- Gerade für kleine Kommunen, die weniger Mittel haben, ist Open-Source der perfekte Ansatz
- Die Open-Source Gemeinschaft ist extrem hilfsbereit und hat viele motivierte Menschen in ihren Reihen. „In der Szene habe ich alle als extrem offen und hilfsbereit erlebt. Jeder hilft hier jedem gerne, man muss nur fragen!", sagt Zieger.
Mitmachen gewünscht
Herrenberg setzt sich proaktiv für den Erfahrungsaustausch ein. Stellen Sie vertiefende Fragen unter der folgenden E-Mail Adresse: mitmachen@herrenberg.stadtnavi.de
... und noch eine gute Neuigkeit
Zum 1. Januar 2024 wurde nun u.a. in Herrenberg die bestehende Umweltzone sowie das damit verbundene Fahrverbot für Fahrzeuge ohne grüne Plakette aufgehoben. Der Grund: Die Luftqualität hat sich erheblich verbessert.