Bosbach/ Wegweiser

Wenn es frühmorgens klingelt – und weder die Zeitung noch frische Brötchen geliefert werden

... dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass eine Hausdurchsuchung folgt.

Der Fall hat Schlagzeilen gemacht und war wieder einmal ein "schönes" Beispiel dafür, dass man zunächst den kompletten Sachverhalt kennen sollte, bevor man sich öffentlich dazu äußert.

Auch dann, wenn nur eine einzige Information fehlt, ein kleines Detail, kann der Fall ein ganz anderer sein, als zunächst vermutet und man dann behauptet. Deshalb hat es sich auch bewährt, dass in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens zuerst der Sachverhalt  so weit wie möglich aufgeklärt wird und ein Gericht erst danach sein Urteil fällt. Da aber anno 2024 nicht nur, aber ganz besonders bei den Medien Tempo Trumpf ist, kommt es immer häufiger vor, dass zunächst ein vermeintliches Skandälchen zu einem Skandal aufgepumpt wird, bis anschließend nach Kenntnis des ganzen Sachverhaltes die Luft ruckartig wieder entweicht. Hauptsache, in der Zwischenzeit haben wir uns aufgeregt, aber so richtig! 

Was war passiert? Irgendjemand, der entweder mit dem falschen Bein aufgestanden war, die Grünen prinzipiell nicht besonders mag und Robert Habeck schon gar nicht, oder der ganz grundsätzlich lieber mit dem sprachlichen Morgenstern als mit der feinen Klinge unterwegs ist, hatte doch den Bundeswirtschaftsminister tatsächlich als "Schwachkopf" bezeichnet. Genauer gesagt als "Schwachkopf Professional" in Anlehnung an die bekannte Werbung, in der es allerdings "Schwarzkopf Professionell" heißt. Durchaus möglich, dies als strafbare Beleidigung gemäß § 185 StGB zu werten, aber zwingend? Nun denn, das kann hier dahinstehen, darauf kommt es im Moment nicht an. 

Jedenfalls ist Beleidigung gemäß § 194 StGB ein Delikt, das nur auf Antrag verfolgt wird auf Antrag des Geschädigten. Nun sollten Politiker "eigentlich" ein dickes Fell haben. Aber wie der geschätzte Kunde des Handwerkers weiß: Wenn dieser konstatiert, "eigentlich müsste es jetzt funktionieren", ist die Chance groß, dass der Defekt noch nicht komplett beseitigt ist. So ähnlich ist es auch mit dem berühmten "dicken Fell", das auch nicht so dick sein sollte, dass man ohne Rückgrat stehen kann. Stand Ende November 2024 soll Robert Habeck in sagenhaften 805 Fällen Strafanzeige erstattet und/oder Strafantrag gestellt haben, noch mehr als die Bundesaußenministerin. Beide zusammen sollen für 93% aller Anzeigen von Bundesministern im Zeitraum September 2021 bis August 2024 verantwortlich sein. Härter im Nehmen waren da offenbar die Innenministerin Nancy Faeser und Gesundheitsminister Karl Lauterbach  oder aber sie hatten Wichtigeres zu tun, als die Strafjustiz zu bemühen. 

Dass der Schwachkopf-Fall Schlagzeilen machte, lag dann aber weniger am Delikt selber (es gibt nun wirklich schlimmere Vokabeln) als an den zeitlich (!) nachfolgenden Exekutivmaßnahmen der Justiz. Der rüstige Rentner, in Justizsprache: der Beschuldigte, sah sich plötzlich mit einer Hausdurchsuchung konfrontiert. Hausdurchsuchung wegen "Schwachkopf"? Da stellte sich nicht nur Volljuristen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, da mutmaßten auch juristische Laien, dass hier mit Kanonen auf Spatzen gefeuert wurde. 

Entsprechend groß war der Aufschrei in Teilen der Presse; bis ein "kleines" Detail bekannt wurde, das den Fall zunächst in einem neuen Licht erscheinen ließ: Die Hausdurchsuchung sei nicht die juristische Folge des Schwachkopf-Falles, sie sei nur zeitlich nach dem entsprechenden Strafantrag erfolgt. Der Grund für die Maßnahme beruhe auf einem zweiten ganz anderen Fall und dem Vorwurf der Volksverhetzung nach § 130 StGB. Der Streitgegenstand hier war wohl eine Bild-Text-Datei antisemitischen Inhalts so jedenfalls wurde berichtet. Allerdings gilt auch hier: ohne richterlichen Beschluss grundsätzlich keine Hausdurchsuchung. Und in diesem Beschluss soll als Grund für die Durchsuchung nicht der behauptete antisemitische Post gewesen sein. Hä? 

Allerspätestens jetzt stellt sich dann doch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und ob die Justiz ähnlich rigoros auch dann agiert, wenn "Otto Normalverbraucher" in ähnlicher Weise angegangen wird. Und komme jetzt bitte niemand mit § 188 StGB, denn dass der Schwachkopf-Post geeignet war, das "öffentliche Wirken [des Wirtschaftsministers] erheblich zu erschweren", wird noch nicht einmal Robert Habeck selber glauben. Da war der mediale Rummel um seine Strafanzeige und ihre Folgen wohl das größere Problem. 

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.