Bosbach/ Wegweiser

Ist ein "grenzenloses" Europa Vergangenheit?

Stationäre Grenzkontrollen – Schikane oder Notwendigkeit?

"Grenzen sind die Wunden der Vergangenheit" – unter diesem Motto stürmten 1950 gut 300 Studentinnen und Studenten die deutsch-französische Grenze in Sankt Germanshof. Auf beiden Seiten versammelte man sich, um gemeinsam die neu eingerichteten Schlagbäume zu entfernen. Das Ganze war verbunden mit der (damals vielen noch utopisch erscheinenden) Forderung nach den "Vereinigten Staaten von Europa". Nur sie könnten diesem Kontinent dauerhaft Frieden und Freiheit bringen.

Aus der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" wurde später die EWG, mit dem Schwerpunkt freier Handel/Binnenmarkt und schlussendlich die Europäische Union, die sich viel mehr als politisches Projekt sieht, das die Mitgliedsländer und deren Politiken auf ganz verschiedenen Ebenen immer weiter harmonisieren möchte. Vor diesem Hintergrund war der sog. "Schengen-Prozess" fast zwangsläufig. Grenzen sollten an Bedeutung verlieren, "freie Fahrt für freie Bürger" galt damals weniger dem Protest gegen ein Tempolimit auf Autobahnen als der generellen Abschaffung von stationären Grenzkontrollen. Die Zeiten von langen Schlangen an den Grenzübergangsstellen für den Personen- und Warenverkehr sollten ein für alle Mal vorbei sein. 

1985 kam es dann zu einem ersten Vertrag über den schrittweisen Abbau von (stationären) Personenkontrollen an den EU-Binnengrenzen, benannt nach einem kleinen Städtchen in Luxemburg: Schengen. Erst vor wenigen Wochen sind auch Rumänien und Bulgarien diesem Raum beigetreten. Aber: Schon damals gab es nicht unerhebliche Bedenken, ob mit den Grenzbarrieren nicht auch ein Stück Sicherheit abgebaut werden würde. Diese Bedenken waren leider! nicht grundlos.

Die EU zerstreute diese Kritik mit dem Hinweis "Abbau stationärer Grenzkontrollen im Innern, Zug um Zug im Austausch für sichere EU-Außengrenzen". Sicher wogegen? Natürlich gegen illegale Einreisen, illegale Migration. Wogegen auch sonst? Nicht erst ab September 2015 hat sich jedoch mit aller Deutlichkeit herausgestellt, dass die Außengrenzen der EU keineswegs so sicher sind wie ab 1985 permanent versprochen. Es stellt sich angesichts der Länge der EU-Außengrenzen außerdem die Frage, ob deren Sicherheit überhaupt faktisch durchgesetzt werden kann oder ob es sich um einen Fall der "objektiven Unmöglichkeit" handelt. Ein Begriff, dem schon jeder Jura-Student mindestens einmal begegnet ist.

Anders formuliert: Verspricht die EU hier etwas, was sie selbst bei allen denkbaren realistischen Vorkehrungen nicht leisten kann? Und wenn ja – welche Konsequenzen müssten die EU und/oder deren Mitgliedstaaten daraus ziehen? Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1985? Sicherlich kein erstrebenswertes politisches Ziel. Aber achselzuckende Inkaufnahme anhaltend hoher, illegaler Migration ist auch keine vernünftige Haltung  von den politischen Folgen dieser "Politik" ganz abgesehen.

Übrigens: Es ist ein häufig geäußertes Missverständnis, dass durch die Abschaffung der stationären Grenzkontrollen auch die Staatsgrenzen der Mitgliedsstaaten abgeschafft worden seien und somit auch die rechtlichen Voraussetzungen für einen legalen Grenzübertritt. Welche Ergebnisse die bisherigen temporären Kontrollen an den deutschen Außengrenzen gebracht haben, das soll im nächsten Beitrag erläutert werden. 

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.