"Merkelsteuer, das wird teuer!" meets "Wir halten an der Schuldenbremse fest!"
Sind gebrochene Wahlversprechen strafbares Unrecht?
Von 1998 bis 2005 regierte in Bonn und Berlin Rot-Grün, aber schon in der zweiten Wahlperiode kam es zu vorgezogenen Neuwahlen. Am 22. Mai 2005 gab es in NRW nicht nur (reguläre) Neuwahlen, sondern auch einen Regierungswechsel, denn der damalige SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück verlor sein Amt an Jürgen Rüttgers (CDU). Die SPD kam aber nicht nur in NRW unter die Räder, auch bundesweit sanken deren Umfragewerte und die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst sollte diesen Trend stoppen. Für Gerhard Schröder sollte es eine Art Befreiungsschlag werden, stattdessen waren die Wahlen aber der Beginn der 16-jährigen Ära von Kanzlerin Angela Merkel.
Die Union zog damals zur Überraschung vieler mit einer angekündigten Erhöhung (sic!) der Umsatzsteuer in den Wahlkampf (+ 2 %-Punkte), die SPD war strikt dagegen. "Merkelsteuer, das wird teuer!" war deren Slogan. Der Rest ist bekannt: Nach der Wahl einigten sich beide Seiten in einer Großen Koalition sogar auf eine Erhöhung von 3 %-Punkten – von 16 % auf 19 %. Rechnerisch war also 16 plus 0 auf einmal 19 – obwohl es nun wirklich keine Mathematikreform gab ...
Wurden damals gegen die Beteiligten Strafanzeigen wegen Wählertäuschung erstattet? Natürlich nicht! Warum auch? Politisch gab es harte Kritik an der SPD, schließlich war sie in den Augen vieler "umgefallen" – aber strafwürdiges Unrecht? Natürlich nicht.
Ganz anders die aktuelle Lage im Frühling 2025. Diesmal entlädt sich der Zorn an der Union, hat sie doch ein zentrales Wahlversprechen ("An der Schuldenbremse halten wir fest") zugunsten eines großvolumigen "Sondervermögens" nach der Wahl rasch einkassiert. Unterschied zu 2005: Diesmal hagelt es Strafanzeigen wegen Wählertäuschung gemäß § 108a StGB. Weil sich die Rechtslage geändert hat? Nein, hier geht es wohl eher um Strafanzeigen als neue Munition im politischen Meinungskampf als um die juristische Verfolgung von strafbarem Unrecht.
In § 108a StGB geht es darum, dass der Getäuschte bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung bei der Stimmabgabe irrt oder nicht einmal erkennt, dass er wählt oder einen Wahlvorschlag unterschreibt oder einen ungültigen Wahlzettel abgibt. Der Täter muss also die eigene Willensentscheidung des Wählers verhindern. Zu gebrochenen Wahlversprechen schreibt Thomas Fischer in seinem Kommentar zum StGB, 69. Auflage, zu § 108a StGB Rdnr. 2 "Lügnerische Wahlpropaganda, die nur den eigenen Willen des Wählers lenkt, unterfällt § 108a StGB NICHT."
Es ist und bleibt also eine Frage der politischen Moral, des politischen Anstands, wie man derartige Fälle bewertet, justiziabel sind sie nicht. Hierüber zu urteilen, ist demnach nicht Sache der Strafgerichte, sondern der Wählerinnen und Wähler.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.