Datenschutz aus Deutschland will immer besonders gründlich sein
Im Interview: Alexander Müller zur DSGVO und Auswirkungen auf IT-Innovationen
VdZ: Herr Müller, die DSGVO ist nun bald zwei Jahre gültig in Kraft. Bringt sie denn etwas?
Müller: In der Digitalisierung, muss der Umgang mit Daten klar geregelt sein. Allerdings hat die DSGVO in der Umsetzung in erster Linie eine Menge Bürokratie für kleine Unternehmen und Vereine mit sich gebracht. Angesichts des Aufwands habe ich aber Zweifel an der Umsetzung. Für viele Nutzer ist Datenschutz etwas Nerviges geworden, was man weg klicken muss. Das bringt keinem etwas.
VdZ: Hat die DSGVO mehr Verunsicherung gebracht?
Müller: Sie hat definitiv einen enormen Aufwand geschaffen, das kann ich aus eigener Praxis berichten. Ich bin ja selbst Dienstleister für einige datenverarbeitende Unternehmen. Unter anderem habe ich Adressenfilter entwickelt, die große Adressbestände gegeneinander abgleichen können, mit unscharfem Vergleich. Also zum Beispiel zu erkennen, dass „Mayer“ und „Meier“ die gleiche Person ist.
Diese überbordende Bürokratie hat dann zur Folge, dass diese Firmen entweder ihr Geschäft ganz einstellen, oder eben nicht mehr so gut filtern können wie früher – eine Verschlechterung des Datenschutzes also.
Von meinen Kollegen weiß ich es auch, dass jetzt alle Kunden verlangen, Verträge zu unterzeichnen, die über zig Seiten gehen und von professionellen Datenschutz-Anwälten ausgearbeitet wurden. Bei vielen Kunden, die nur einmal im Jahr einen Mini-Auftrag bei mir abarbeiten wollen, lohnt es sich für mich nicht, einen Tag zu investieren, um die Vertragsangelegenheiten umfassend durchzuarbeiten. Folglich lehne ich solche Aufträge jetzt ab. Kollegen von mir machen das genauso. Diese überbordende Bürokratie hat dann zur Folge, dass diese Firmen entweder ihr Geschäft ganz einstellen, oder eben nicht mehr so gut filtern können wie früher – eine Verschlechterung des Datenschutzes also.
Zudem verlangen diese Verträge häufig Dinge, die viele Freiberufler und kleine Unternehmen nicht erfüllen können. Etwa eine elektronische Zutrittskontrolle ins Büro und ständige Aufsicht. Das ist nur weniges von dem was sich geändert hat. Die Kunden haben enorme Angst durch die abschreckenden hohen Bußgelder.
VdZ: Sie haben auch eine ganze Zeit lang Kommunalpolitik gemacht. Verändert der Druck beim Datenschutz die Politik im kleinen Kommunalen; oder vielleicht auch auf der hohen Ebene im Bund? Ich denke auch an Bürgerinformationsmails oder ähnliches.
Müller: Früher haben wir Serienbriefe mit Microsoft Access-Datenbanken umgesetzt. Das ist heute nicht mehr möglich. Aber der Aufwand dafür ist beherrschbar, und auch noch im Verhältnis zum Nutzen und dem Plus an Sicherheit.
VdZ: Denken Sie, dass man mit der 1-zu-1-Umsetzung der Verordnung in Deutschland über das Ziel hinausgeschossen ist, also hätte man nicht eher nationale Anpassungen machen sollen?
Müller: Wir haben wie immer noch einen Goldrand außen rum geschaffen. Deutschland will beim Datenschutz immer besonders gründlich sein. Ich verweise nur auf die drakonischen Strafen, die wir jetzt verhängen. Nehmen Sie den Fall der Firma 1&1 aus dem letzten Dezember: Eine Ex-Ehefrau meldete sich bei der Hotline und wollte die neue Handynummer ihres geschiedenen Gatten bekommen. Wobei unklar ist, ob der CallCenter-Mitarbeiter von der Trennung der beiden wusste.
Für dieses Vergehen wurden der Firma 9,55 Millionen Euro Strafe aufgebrummt. Ich will das Vergehen nicht herunter spielen, aber eine dermaßen drastische Strafe für solch einen Vorgang finde ich unverhältnismäßig. Wenn Sie sich als Firma künftig davor schützen möchten, müssen Sie Authentifizierungs-Regeln implementieren, die bei jedem Anruf mehrere Minuten in Anspruch nehmen. Das ist doch weltfremd.
VdZ: So viel hat sich aber gar nicht geändert, oder? Deutsches Recht ist nun EU Recht und jeder hat es mitbekommen.
Müller: Das stimmt schon, aber auch hier wird wieder mit der Bürokratie-Keule enorm viel Aufwand erzeugt, der viele Firmen auf Dauer zum Aufgeben zwingen wird. Und Behörden und staatliche Stellen praktisch unbehelligt lässt.
VdZ: Dreht Deutschland den Datenschutz zu weit und hat ein europäisches Innovationshemmnis für digitale Ideen geschaffen?
Müller: Es ist nicht alles schlecht an der DSGVO, aber wir sind über’s Ziel hinaus geschossen.
VdZ: Ist es eine gute Entscheidung, den Staat im Prinzip von Sanktionen auszunehmen? Das war doch eigentlich mal der Grundgedanke: Sich vor den Möglichkeiten des Saates zu bewahren.
Es ist nicht alles schlecht an der DSGVO, aber wir sind über’s Ziel hinaus geschossen.
Müller: Nein! Hier wäre echter Datenschutz oder der Schutz der Privatsphäre angesagt. Der Staat darf fast unverändert weitermachen wie bisher. Ich hatte als Selbstständiger in den letzten 20 Jahren drei Steuerprüfungen. Ich war immer wieder überrascht, was das Finanzamt alles über mich weiß, über meine Lebensumstände, über Hobbys und Neigungen, über Kennverhältnisse, in Gesprächen mit den Steuerprüfern fiel mir immer wieder die Kinnlade herunter. Ich weiß nicht, woher die ihre Informationen bekommen, oder wie sie sie kombinieren. Aber angesichts deren Wissen über uns erscheint der Aufwand, den man von der Privatwirtschaft verlangt, einfach völlig überzogen.
Man muss einmal überdenken, wenn man denn den Schutz unserer Daten wirklich will, an welcher Stelle man wesentlich mehr erreichen könnte. Dazu muss man auch mal über die angekauften Steuer CDs nachdenken. Das sind illegal beschaffte Daten. Schon alleine dieser Vorgang pervertiert doch jeglichen Datenschutz: Wozu brauchen wir eine DSGVO, wenn so etwas ungestraft in Deutschland möglich ist? Der Gute Zweck Steuergerechtigkeit herzustellen, heiligt nicht jedes Mittel.
VdZ: Herr Müller, denken Sie zunächst einmal an sich und dann ein bisschen weiter, an Freunde und Kollegen: Machen die strengen Neuerungen eher gleichgültig in Bezug auf den Datenschutz?
Ich denke, meine Kinder müssen im Zeitalter von Instagram und TikTok sehr stark sensibilisiert werden, ihr Privatleben nicht allzusehr heraus zu stellen. Weil es jeder macht, ist ein gewisser Gruppenzwang da; das sehe ich eher als drängendes Problem, als die Ehefrau, die die Handynummer ihre Ex-Mannes erfragen kann.