Vergaberecht: Die Direktbeschaffung der „Luca“-App ist zulässig
Die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern bestätigt die rechtmäßige Beschaffung der App „Luca“
Abweichend zu der bisherigen Spruchpraxis anderer Vergabekammern und -senate stützt die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern die Direktvergabe allerdings maßgebend auf das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers sowie auf technische Alleinstellungsmerkmale der App. Dabei konkretisiert die Kammer zugleich die Anforderungen an die Durchführung von Markterkundungen bei Corona-bedingten Beschaffungen.
Sachverhalt
Zu Beginn der sogenannten „Dritten Welle“ der Corona-Pandemie erwarb das Land Mecklenburg-Vorpommern im März 2021 die Lizenzen für die App „Luca“, ohne diese öffentlich ausgeschrieben zu haben. Das Land führte im Vorfeld der Beschaffung lediglich eine kurze Markterkundung im Internet durch, indem es zunächst mit englischen und anschließend deutschen Suchbegriffen nach möglichst kurzfristig einsatzbaren Softwarelösungen zur Kontaktnachverfolgung recherchierte. Bei einem Produktvergleich kam die Vergabestelle letztlich zu der Erkenntnis, dass allein die App „Luca“ über die erforderlichen technischen Spezifikationen und ausreichende Marktreife verfügte. Auf dieser Grundlage erfolgte die Direktvergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb. Der Lizenzvertrag wurde auf 10 Monate befristet und läuft am 31. Dezember 2021 aus.
Ein Marktteilnehmer mit einem vergleichbaren Produkt sah sich vergaberechtswidrig vom Wettbewerb ausgeschlossen und stellte einen Nachprüfungsantrag mit dem Ziel, den Vertrag für nichtig erklären zu lassen. Ohne Erfolg!
Entscheidung der Vergabekammer
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Die De-facto-Vergabe sei gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2b, Abs. 6 VgV gerechtfertigt, wonach eine Direktvergabe ausnahmsweise dann gestattet sei, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist und es für den Beschaffungsbedarf des Auftraggebers keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt.
Dabei befasste sich die Vergabekammer vor allem mit der Frage, ob die vom Auftraggeber im Vorfeld der Direktbeauftragung durchgeführte Markterkundung vergaberechtskonform erfolgte. Der öffentliche Auftraggeber sei frei in der Entscheidung, welche technische Lösung er beschaffe, solange er sich von sachlichen Erwägungen leiten lasse. Habe er sich für eine Lösung entschieden, verlange das Vergaberecht nicht, dass er sich einen Überblick über andere, ebenfalls am Markt existierende Lösungen mit anderen technischen Spezifikationen verschafft. Außerdem seien die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So könne von einem Auftraggeber nicht verlangt werden, bei Beschaffungen mit relativ kurzer Laufzeit – wie hier mit einer Vertragsdauer von nur 10 Monaten – eine umfassende Marktuntersuchung durchzuführen. An die Intensität und Tiefe der Markterkundung seien auch deswegen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, da der Auftraggeber mit Blick auf die Corona-Pandemie unter massivem Zeitdruck gestanden habe.
Aber auch hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise bei der Durchführung der Markterkundung hatte die Vergabekammer keine grundlegenden rechtlichen Bedenken. Die seitens des Landes Mecklenburg-Vorpommern durchgeführte Internetrecherche sei ausreichend gewesen. Dem Vorwurf des Wettbewerbers, eine solche Recherche beruhe auf unrichtigen Behauptungen des Herstellers, folgte die Vergabekammer nicht. Internetrecherchen seien ein zulässiges Instrument der Markterkundung. So sei die Gefahr, hierbei unrichtige Selbstbeschreibungen zu erhalten, nicht höher als etwa bei einem Messebesuch, der als Mittel der Markterkundung in der Rechtsprechung anerkannt sei. Ebenso wenig störte sich die Kammer daran, dass die Recherche zunächst mit englischen Suchbegriffen erfolgte und anschließend nach deutschsprachigen Anwendungen aufgrund ihrer schnelleren Verfügbarkeit gesucht wurde. Die schnellere Verfügbarkeit von technischen Lösungen sei ein nachvollziehbarer objektiver und auftragsbezogener Grund und somit vergaberechtskonform. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Vergabestelle mit acht anderen Anwendungen auseinandergesetzt und die App „Luca“ mit dem Produkt eines Konkurrenten im Einzelnen verglichen habe. Diese sorgfältige Prüfung rechtfertige die Schlussfolgerung des Auftraggebers, dass alleine die App „Luca“ in der Lage sei, das vom Auftraggeber festgelegte Anforderungsprofil in vollem Umfang zu erfüllen. Die Markterkundung und die Vergleiche zwischen den Produkten im Hinblick auf das Anforderungsprofil seien außerdem sorgfältig dokumentiert.
Relativ kurz stellte die Vergabekammer fest, dass weder die Bestimmung des Anforderungsprofils an die zu beschaffende Lösung noch die konkrete Gestaltung des Verfahrens Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Festlegung auf die App „Luca“ oder deren Hersteller enthielten. Im Ergebnis bestätigte die Vergabekammer das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Direktvergabe wegen der technischen Ausschließlichkeit der App „Luca“.
Ob darüber hinaus die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands in § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, vorlagen, ließ die Vergabekammer offen. Nach dieser zum bisherigen Pflichtprüfprogramm der Rechtsprechung bei Corona-Beschaffung gehörenden Vorschrift, darf ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen der regulären Verfahrensarten einzuhalten und wenn die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dem Auftraggeber nicht zuzurechnen waren (sog. Dringlichkeitsvergabe). Diesbezüglich begnügte sich die Vergabekammer mit der Feststellung, dass aufgrund der dauerhaften Steigerung der Inzidenzwerte und des Auftretens neuer hochinfektiöser Coronavirus-Mutationen im Frühjahr 2021 eine äußerste Dringlichkeit bestanden haben könnte. Hinsichtlich der restlichen Voraussetzungen warf die Vergabekammer zwar einzelne Fragen auf, ließ diese aber unbeantwortet.
Schließlich stellte die Vergabekammer fest, dass das Angebot des Wettbewerbers für den Auftraggeber nicht in Betracht gekommen wäre. Der Auftraggeber sei durchaus berechtigt gewesen, eine bereits bestehende IT-Infrastruktur zu fordern, und müsse nicht auf eine neu zu entwickelnde App – wie die des Wettbewerbers – ausweichen. Wesentliche Funktionalitäten, auf die es dem Auftraggeber ankam, hätten beim Produkt des Wettbewerbers gefehlt. Überdies seien angebliche Mängel der App „Luca“ durch die Vergabekammer nicht überprüfbar. Zwar verfüge eines der Gesundheitsämter nicht über die notwendigen Voraussetzungen, um die App zu verwenden, dies sei aber durch zusätzliche Organisationsmaßnahmen des Auftraggebers zu bewältigen. Ob wegen dieser zusätzlichen Maßnahmen die Beschaffung weiterhin als wirtschaftlich anzusehen sei, sei keine Frage des Vergaberechts, sondern unterfiele der Prüfungskompetenz des Landesrechnungshofes.
Die Vergabeentscheidung des Landes sei auch nicht wegen kollusiven Zusammenwirkens der Vergabestelle mit dem Bieter oder wegen Dokumentationsmängeln unzulässig gewesen.
Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung setzt die bundesweite Rechtsprechungsreihe fort, die sich seit dem Sommer 2020 mit diversen Direktvergaben im Kontext der Corona-Pandemie auseinandersetzt (vgl. VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 03.07.2020 – 3 VK 3 /20; BKartA, Beschluss vom 13.08.2020 – VK 1-54/20; BKartA (Vergabesenat), Beschluss vom 28.08.2020 – VK 2-57/20; VK Südbayern, Beschluss vom 21.10.2020 – 3194.Z3-3_01-20-31; OLG Rostock (Vergabesenat), Beschluss vom 09.12.2020 – 17 Verg 4/20).
Während die bisherige Spruchpraxis jedoch bei der Zulässigkeit einer Direktbeschaffung in erster Linie auf die Voraussetzungen der Dringlichkeitsvergabe abstellt, stützt die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern ihre Entscheidung im Kern auf den Ausnahmefall der technischen Ausschließlichkeit. Insofern ist dieser Beschluss sicherlich ein „Ausreißer“. Grund hierfür ist möglicherweise der Umstand, dass die Corona-Pandemie schon seit mehr als einem Jahr präsent ist und insofern nur noch schwer als ein unvorhersehbares Ereignis, welches eine dringliche (Direkt-)Beschaffung rechtfertigen könnte, gewertet werden kann. Die Dringlichkeit mag erst recht dann in Abrede stehen, wenn der Beschaffungsgegenstand keine „lebensrettende“ Funktion – wie etwa bei dem Einkauf von Impfstoffen oder Medikamenten – besitzt, sondern (lediglich) der Wiederherstellung des gesellschaftlichen Zusammenlebens dient.
Fazit
Die Entscheidung der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie weist den Weg, wie das Vergaberecht auch in post-pandemischen Zeiten Beschaffungen schnell und unkompliziert gestattet, deren Notwendigkeit sich weniger aus dem dringlichen Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung ableitet als dem nicht minder wichtigen Ziel der schnellstmöglichen Wiederherstellung eines geordneten gesellschaftlichen Miteinanders.
Andererseits ist der Kammerbeschluss nicht dahingehend zu verstehen, dass das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers als genereller Freifahrtschein für Direktvergaben gewertet werden darf. Die Freiheit des Auftraggebers, über die Eigenschaften des Beschaffungsgegenstands zu bestimmen, steht weiterhin in einem engen Spannungsverhältnis zu dessen Pflicht, einen möglichst großen Wettbewerb herzustellen. Insoweit bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung mit derartigen Beschaffungen in dieser Übergangszeit künftig umgeht. Gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern ist bereits eine sofortige Beschwerde des unterlegenen Wettbewerbers vor dem OLG Rostock anhängig. Dieses hatte in einer Entscheidung vom 9. Dezember 2020 (17 Verg 4/20) in einem vergleichbaren Fall eine Direktvergabe für unzulässig erklärt.