Bauprojektmanagement
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Hochkomplex: Bauprojektmanagement im öffentlichen Sektor

Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Frage stellt sich mehr denn je: Warum gibt es in Bauprojekten des privatwirtschaftlichen und öffentlichen Sektors eigentlich immer wieder deutliche Planabweichungen und Ablaufstörungen? Und warum ist es so schwierig, aus solchen Fällen die entsprechenden „Learnings“, also Verbesserungen für Nachfolgeprojekte zu destillieren?

Die Gründe sind vielfältig und entstammen zum Großteil aus den typischen Charakteristika der Baupraxis, und zwar angefangen von der Bauidee, der frühen Konzeptphase bis zur Endabnahme eines Bauwerks. Kurz gesagt: Projekte  der Bauwirtschaft sind komplexe, risikobehaftete Vorhaben, an deren Initiierung, Planung, Steuerung, Durchführung und Überwachung in der Regel eine Vielzahl wechselnder Akteure beteiligt ist. Mit dieser komplexen Praxis erfolgreich umzugehen, stellt hohe Anforderungen an alle Leitungsebenen.

Charakteristika von Bauprojekten

Trennung von Konzeption, Konstruktion und Produktion des Bauwerks

Den Startpunkt setzen die Initiatoren, die üblicherweise über die ökonomische Werte verfügen und deren Vorstellungen – in mehr oder minder ausgereiften Konzepten – die Projektziele maßgeblich bestimmen.

Darauf aufbauend schaffen Planer auf Basis der technischen, funktionalen und gestalterischen Aspekte die Grundvoraussetzung, um das Bauprojekt entsprechend der gesetzlichen Anforderungen zu realisieren.

Die Umsetzung obliegt meist mehreren Bauunternehmen, um das Bauprojekt zu verwirklichen.

Prozess mit vielfältigen technischen, organisatorischen und vertraglichen Schnittstellen

Die Abwicklung komplexer Bauvorhaben erfordert ein Höchstmaß an aufbau- und ablauf­organisatorischen Regelungen, um mit der notwendigen Interdisziplinarität das gemeinsame Ziel zu erreichen. Aufgrund der Fehleranfälligkeit beim Austausch von relevanten Informationen und einer grundsätzlichen Schnittstellenproblematik ist eine funktionierende Kommunikation entscheidend für eine erfolgreiche Abwicklung des Bauvorhabens.

Bauwerke sind Kontraktgüter

Bei der Projektabwicklung in der Bauwirtschaft müssen die branchentypischen Vertragsarten berücksichtigt werden. Grundsätzlich gelten Bauwerke als Kontraktgut, die zum Zeitpunkt des Vertrags als Planungsvorgaben und Leistungsbeschreibungen existieren und erst später umgesetzt werden.  Änderungen bzw. Komplettierungen der Anforderungen nach Vertragsschluss sind daher wahrscheinlich, ebenso, dass Planungsfehler zu beheben sind, die zwangsläufig zu aufwändigen Korrekturen führen.

Baubegleitende Planung und Veränderungen der gesetzlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

Laut einer Untersuchung der Universität Dortmund werden bei 60 Prozent der Hochbaumaßnahmen in Deutschland mit der Produktion des Bauwerks begonnen, obwohl die Planungen nicht in Gänze abgeschlossen sind. Die Hauptgründe dafür sind

  • die im Projektverlauf späte Berücksichtigung aller erforderlichen Planungen und Ressourcen
  • die technische oder gestalterische Komplexität des Bauwerks
  • die Länge des Fertigstellungsprozesses und den damit verbundenen Änderungen, die sich aus zusätzlichen Anforderungen oder notwendigen Änderungen ergeben, die im schlimmsten Fall bei der Freigabe des Baugesuchs offensichtlich werden. 

Sobald Teilplanungen abgeschlossen sind, wird die Produktion dieser Abschnitte oder Bauteile begonnen, um die Projektlaufzeit zu verkürzen und somit Vorteile bei der Finanzierung (Verringerung der Zinslast sowie frühestmögliche Erträge) zu erzielen. Dabei besteht das Risiko, dass die fortschreitende Planung frühere Fehlplanungen offenlegt, die in letzter Konsequenz zum Abriss von bereits produzierten Bauteilen führen können. Die Langzeitfertigung führt zudem dazu, dass über die mitunter Jahre andauernde Projektlaufzeit Veränderungen der gesetzlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auftreten können, die trotz bereits geschlossener Verträge je nach Fall berücksichtigt werden müssen. 

HOAI und VOB

Im Bausektor haben sich in den letzten Dekaden insbesondere zwei Regelwerke, die „Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen“ (HOAI) und die „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“ (VOB) etabliert. Beide Regelwerke sind für den öffentlichen Sektor bindend. 

Der reguläre Planungs- und Bauablauf richtet sich nach den Vorgaben der Leistungsbilder der HOAI.  Nicht nur das abzurechnende Honorar der Architekten oder Fachplaner, sondern insbesondere die zu vereinbarende Leistung ist in der Verordnung klar definiert. Jede einzelne der Leistungsphasen (LP) nach HOAI § 34 „Leistungsbild Gebäude und Innenräume“, Anlage 10, baut auf einander auf und kann in drei Hauptbereiche gegliedert werden:


01 Konzept- und Entwurfsphase 

  • LP 1: Grundlagenermittlung.
  • LP 2: Vorplanung.
  • LP 3: Entwurfsplanung.
  • LP 4: Genehmigungsplanung

02 Konkretisierung der Planung, Konstruktion und Ausführungsart

  • LP 5: Ausführungsplanung.
  • LP 6: Vorbereitung der Vergabe.
  • LP 7: Mitwirkung bei der Vergabe.

03 Bauausführung und Fertigstellung

  • LP 8: Objektüberwachung. 
  • LP 9: Objektbetreuung.

 

Parallel entstand die vom „Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen“ (DVA), einem Gremium aus Auftraggeber und Auftragnehmer-Vertretern mit Sitz in Berlin, die „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“ (VOB), die in drei Teile gegliedert und für die Ausführung der Bau-Leistungen herangezogen wird und stetiger Aktualisierungen unterworfen ist: 

  • VOB/A: Im Teil A werden die Pflichten des öffentlichen Auftraggebers bei Ausschreibungen und der Vergabe von Bauleistungen geregelt. 
  • VOB/B:  Im Teil B werden vom Grundsatz her die allgemeinen Geschäftsbedingungen zwischen den Vertragsparteien, Bauherr und ausführendes Bauunternehmen, geregelt. Hierbei ist in Gänze die Ausführung der Bauleistungen einschließlich Gewährleistungsansprüche zu nennen. Unter anderem werden Mehrvergütungs- und Mengenvergütungsansprüche bzw. Zahlungs-Modalitäten oder aber auch im wesentlichen Vertrags- und Zwischenvertragsfristen und vieles mehr geregelt. 
  • VOB/C: Im Teil C werden die technischen Bedingungen, die als Basis für die Ausführung von Bauleistungen beschrieben werden, aufgeführt.  

Diese beiden wesentlichen Regelwerke, die die Planungsleistungen und Ausführungsleistungen im Bausektor behandeln, schaffen Sicherheit und Stabilität, gehen jedoch damit auch mit Einschränkungen von Flexibilität und Reaktionsfähigkeit einher.
 

Herausforderungen für Bauprojekte im öffentlichen Sektor

Die branchentypischen Herausforderungen bei Bauprojekten verstärken sich im öffentlichen Sektor durch die geltenden Rahmenbedingungen.

Hierarchische Organisationsstruktur und informelle Kommunikation

Die öffentliche Hand ist organisatorisch hierarchisch aufgebaut mit klar abgegrenzten Aufgabenbereichen. Der Bürgermeister zum Beispiel einer Stadt als oberster Dienstherr verantwortet mehrere Dezernate, diese wiederum verantworten Ämter, Abteilungen und Sachgebiete.   

Die offizielle Verwaltungsstruktur legt nahe, dass so in sich geschlossene Aufgabenbereiche bearbeitet werden. Dies ist bei einigen Organisationseinheiten wie etwa dem Straßenverkehrsamt und dem Amt für Verbraucherschutz überwiegend gegeben.
 

Typologie der Organisationsstruktur einer Verwaltung
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Die Mehrzahl von Dienststellen ist auf Grund gesetzlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen für zu projektierende Aufgaben untereinander vernetzt. Dies hat zu Folge, dass eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn die Situation dies fordert und die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten nicht klar definiert sind oder aus Effizienzgründen einen Vorgang nicht zwingend über den Vorgesetzten auf den Weg bringen.  

Bei Bauprojekten sind mehrere Ämter involviert, die meist in unterschiedlichen Dezernaten angesiedelt sind. Hierarchisch und formal bedingt sind Vorgänge und Korrespondenzen über den Dienstvorgesetzten für ämterübergreifende Abläufe durchzuführen. Dies hat zu Folge, dass Vorgänge meist lange Bearbeitungszeiten haben. Um dies zu beschleunigen, bedient man sich in der öffentlichen Verwaltung in vielen Fällen informeller Kommunikationsstrukturen.

Beteiligung vieler Organisationseinheiten mit teilweise konkurrierenden Zielen

Bauvorhaben werden, wie oben beschrieben, stark arbeitsteilig erstellt. Dies bedeutet beispielsweise, dass das Amt für Vergaben (VGS), das Rechnungsprüfungsamt (RPA) als überwachende Stelle und das Rechtsamt (RA) als juristische Beratungsstelle zusammenarbeiten, jedoch in einigen Fällen konkurrierende Ziele verfolgen.

  •  Der Projektleiter des Auftraggebers ist bestrebt, die vereinbarten Verträge für die Realisierung des Projektes einzuhalten und einen termingerechten Abschluss zu gewährleisten. 
  • Das RPA, als absolut unabhängige Instanz, ist gesetzlich verpflichtet, objektiv revisionstechnische Überprüfungen vorzunehmen, um Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen und Risiken aufzuzeigen. 
  • Die Vergabestelle ist gesetzlich verpflichtet, die diskriminierungsfreie Gleichbehandlung aller Bieter zu gewährleisten.
  • Das Rechtsamt ist gesetzlich verpflichtet, juristisch einwandfreie Empfehlung auszusprechen. 

Dies führt dazu, dass auf Grund der diffizilen Gesetzeslage, ämterübergreifend divergierende Rechtsauffassungen zu einem Fall vorliegen können und der Projektleiter des Auftraggebers die Gewichtung zu beurteilen versucht. In seiner verbindenden Stellung ist der Projektleiter des Auftraggebers gefordert, zum einen die internen Belange formaljuristisch auszuführen bzw. als Bauherrenvertreter alle beauftragten externen Planer und Bauunternehmen zu koordinieren. Dies führt ebenfalls dazu, dass immer wieder zeitintensive Abstimmungen stattfinden, bis ein endgültiges von allen Stakeholdern tragbares Ergebnis vorliegt.
 

Der Projektleiter übernimmt eine Mittlerfunktion gegenüber allen Projektbeteiligten
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Kalkulatorische Risiken aufgrund von Nachträgen

Kalkulatorische Basis bilden bei Bauaufträgen grundsätzlich die vertraglichen Regelungen, das heißt „Was ist vertraglich zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbart?“ 

Ist eine Leistung im Leistungsverzeichnis interpretationsfähig beschrieben, können sowohl der Preis als auch die entsprechenden Vorarbeiten nur vage vom Bieter kalkuliert und angeboten werden. Dadurch entstehen für den Bieter und den Auftraggeber kalkulatorische Risiken.

Ist der Preis das Hauptkriterium für den Zuschlag, sind Nachträge häufig vorprogrammiert. Insbesondere bei Großprojekten mit unterschiedlichen Auftraggebern und späteren Nutzern sowie deren individuellen Anforderungen.  Mitunter wird erst im Verlauf der Bauausführung festgestellt, dass diverse Funktionsbereiche und Ausführungsarten im Vorfeld nicht bedacht wurden. Die daraus resultierenden Folgen auf Grund der eingereichten Zusatz- bzw. Leistungsänderungen (Nachträge) vom Auftragnehmer könnten gravierende Auswirkungen haben. Steigerung der Bauzeit und der Baukosten, meist einhergehend mit der Einbindung von zusätzlichen Ressourcen, die es zu koordinieren gilt. 

Bis die Nachträge (NT) genehmigt und frei gegeben werden, durchlaufen diese mehrere Prozessschritte: 
 

Die langwierige Bearbeitung der einzelnen Prozessschritte sowie der Zeitpunkt des Nachtrags können in der Folge zu Mahnverfahren und Behinderungsanzeigen sowie zu Bauverzögerungen und bis zum Baustillstand führen.

Störungen in Folge von Nachträgen innerhalb eines Bauzeitenplans
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Umfangreiche Vergabeordnung

Aus Wettbewerbsgründen können auf Basis des § 47 UVgO (Unterschwellenvergabeordnung) weitere Bieter (Vergabeverfahren) zur Angebotsabgabe von Bauleistungen (Nachtrag) herangezogen werden. Das ist dann möglich, wenn sich die zusätzlichen Leistungen vom ursprünglichen Auftrag ohne fachliche oder wirtschaftliche Nachteile trennen lassen oder der bestehende Auftrag wesentlich geändert wird.

In vielen Fällen wird unter anderem aus vertragstechnischen bzw. aus Gewährleistungsgründen und in den meisten Fällen aus Zeitgründen, um den Baufortschritt nicht weiter zu behindern, davon Abstand genommen. Daher ist die Wirtschaftlichkeit des Nachtragsangebotes unbedingt zu prüfen und dies nachvollziehbar und plausibel darzustellen. Ein bloßes Abhaken der Einheitspreise mit dem gestempelten und unterzeichneten Hinweis, dass die Rechnung sachlich, fachlich und rechnerisch vom externen Fachplaner und vom Projektleiter des Auftraggebers geprüft worden sei, wird in der Regel von den Rechnungsprüfungsämtern zurecht nicht akzeptiert.  

Daher ist von Baufirmen und Fachplanern, die für die öffentliche Hand Leistungen erbringen, insbesondere bei Nachträgen darauf zu achten, dass alle relevanten Kriterien nachvollziehbar dargestellt sind. 

Informelle Beauftragungen

Bauleistungen dürfen erst ausgeführt werden, wenn die Beauftragung beim Auftragnehmer vorliegt.  Da es sich in vielen Fällen um Nachtragsarbeiten handelt, die unmittelbar während der Ausführung umgesetzt werden, kann es – falls der Auftrag nicht vorliegen sollte – zu Behinderungsanzeigen von Nachfolgegewerken und Zeitverzögerungen während der Ausführung kommen.  Das Mahnverfahren beginnt und kann von einer Bauverzögerung bis hin zum Baustillstand führen. Daher kommt es vor, dass Projektleiter vor dem Hintergrund der Situation entgegen der Vorgaben Entscheidungen treffen und Beauftragungen durchführen, die rechtskonform einer vorherigen offiziellen Beauftragung bedurft hätten, um hierbei zumindest das Risiko einer Bauverzögerung, etwa bei Baumaßnahmen an Schulen in den Schulferien, zu minimieren. 

Geringe Ressourcenverfügbarkeit – intern, Fachkräfte, Baumaterial

Der öffentliche Auftraggeber wird zukünftig zunehmend Projekte ausschreiben. Damit wird dem Sanierungs- und Baustau aus den vergangenen Krisenjahren und den wachsenden Bedarfen im infrastrukturellen und schulischen Bereich Rechnung getragen. 

Für das Scheitern von Projekten werden bei Umfragen häufig zu geringe personelle Ressourcen verantwortlich gemacht. Geringe Personalressourcen führen dazu, dass Aufgaben auf die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt werden. Eine Überlastung ist mitunter die Folge und damit verbunden krankheitsbedingten Fehltage. Dies hat wiederum die Folge, dass Vorgänge liegen bleiben und die Kommunikation, falls die Vertretung nicht ausreichend im Projekt involviert ist, ausgesetzt wird.     

Eine weitere Ressourcenknappheit erwächst aus dem andauernden Mangel an ausführenden Firmen, Fachkräften und Baumaterial. Die Corona-Pandemie hat die Produktionsketten zudem empfindlich gestört und streckenweise bis zum Erliegen gebracht. 

Bei einer Vielzahl von Ausschreibungen des öffentlichen Sektors gehen wenige, in manchen Fällen sogar überhaupt keine Angebote ein. Bauprojekte können nicht begonnen oder nur verspätet realisiert werden. Baumaterialpreissteigerungen führen dazu, dass monetäre Risiken vermieden werden und Baufirmen an Ausschreibungen nicht teilnehmen. Um dem zu begegnen, ergänzen öffentliche Auftraggeber die Ausschreibungen um Preisgleitklauseln – mit der Folge, dass Bauprojekte erheblich teurer werden können.

Zeitdruck und öffentlicher Druck

Bauprojekte werden auf der politischen Ebene beschlossen. Speziell bei Großprojekten wird oftmals in Legislaturperioden gedacht. Die damit verbundene Erwartungshaltung der Politik und der hohe Druck der Öffentlichkeit, das Bauprojekt fristgerecht abzuschließen, sind daher hoch.  Für die Umsetzung werden häufig Prioritäten neu gesetzt, was zu Engpassen bei anderen Vorhaben führen kann.

Lösungsansätze

Systematisches Multiprojektmanagement

Das gesamte Potenzial des Projektmanagements entfaltet sich erst durch ein systematisches Management, das in der Lage ist, die einzelnen Steuerungsebenen miteinander wirksam zu vernetzen. Hier ist also ein „Multiprojektmanagement“ gefordert in Form von Portfolio- und Programm Management, um Projekte zu modularisieren oder zu clustern und damit Komplexität zu reduzieren.

Organisationsweites Projektmanagement
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Multiprojektmanagement ermöglicht es, Prioritäten zu setzen, die Projekte an den Oberzielen der Organisation auszurichten und Ressourcen zu allokieren sowie im Bedarfsfall zu reallokieren. Die Gesamtheit der Ressourcen wird ersichtlich und damit auch offenbart, wenn Projekte zwar (politisch) gewollt, aber kapazitativ unmöglich sind.

Die Einführung von Multiprojektmanagementsystemen in Organisationen des öffentlichen Sektors beschleunigt teilweise die Ressourcenverfügbarkeit und schafft wenigstens Transparenz über vorhandene Ressourcen.

Koordination und Schnittstellenmanagement

Bauprojekte weisen wie oben beschrieben eine Vielzahl von Schnittstellen auf. Ein differenziertes Schnittstellenmanagement zeigt Zusammenhänge zwischen Projektteilen auf und damit auch Folgeeffekte bei Änderungen. Es wird erkennbar, wo die Ursachen von Verzögerungen liegen, was weniger für Schuldzuweisungen als für Lösungen genutzt werden sollte.

Meist wird bei Bauprojekten ausschließlich der Leistungsfortschritt überwacht, dabei wäre häufig der Schnittstellenstatus deutlich aufschlussreicher.

Schnittstellenleiste
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Bei einem Bauprojekt ist jeder Projektbeteiligte mit den in seine Zuständigkeit fallenden Schnittstellen beschäftigt. In der Realität lastet die Koordination der Schnittstellen meist ausschließlich auf den Schultern des Projektleiters, was bedeutet, die Netzstruktur und die damit einhergehenden Abhängigkeiten aller Akteure in der Gesamtheit zu betrachten, um annährend den Bearbeitungsumfang von Vorgängen abschätzen zu können. Deutlich effizienter und weniger fehleranfällig wäre an dieser Stelle ein dezentrales Schnittstellenmanagement, bei dem der Projektleiter nur die Aktualität überwachen und unterstützen müsste.

Das Thema Schnittstellenmanagement ist ebenfalls für externe Auftragnehmer relevant, um sicher in der arbeitsteilig gegliederten Organisation aus Ämtern und Abteilungen zu navigieren.

Dadurch könnte in Abstimmung mit dem Auftraggeber, der Zeitfaktor, die Qualität und die Anzahl der Schnittstellen für eine effizientere Bearbeitung eines Vorgangs wie etwa der einer Abschlagsrechnung oder eines Nachtrages positiv beeinflusst werden. Zeitintensive Verfahren können reduziert sowie Rechnungen zeitnah beglichen und dadurch Mahnungen vermieden werden. 

Systematisches Risikomanagement und Wissensmanagement

Beim Management von Bauprojekten gibt es eine Reihe von bekannten Problemen, die selten offen angesprochen und diskutiert werden. Diese resultieren meist aus einer geringen Fehlertoleranz und demzufolge vorsichtigen Entscheidungen innerhalb des öffentlichen Sektors.

Die originäre Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ist es, Stabilität zu gewährleisten und diese zu sichern. Fehler schwächen diese Stabilität. Daher sind Fehler im Rahmen der öffentlichen Verwaltung vom Grundgedanken her unerwünscht, da sie als destabilisierend und letztendlich schädlich angesehen werden. Die Denkweise, die sich mit der Entwicklung der „Wissensgesellschaft“ gebildet hat, Fehler in Erfahrungen umzudeuten und darin einen Nutzen zu erkennen, liegt der öffentlichen Verwaltung größtenteils fern. Eine „Lessons-Learned-Kultur“ etabliert sich nur zögerlich, weil retrospektive Betrachtungen noch verbreitet als „Suche nach den Schuldigen“ missdeutet werden.

Der Wunsch, Fehler zu vermeiden, führt zwangsläufig zu genauer Prüfung und umfassender, zeitintensiver Analyse, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Mitunter kann dies auch dazu führen, dass Verantwortungsübernahmen vermieden werden. Daher werden in der öffentlichen Verwaltung tendenziell vorsichtigere Entscheidungen getroffen, nicht zuletzt zur Gewährleistung der Rechtssicherheit. Projekte haben demgegenüber häufig einen experimentellen Charakter und sind dank ihrer Neuartigkeit stets mit Unsicherheiten und Risiken behaftet.

Ein systematisches Risikomanagement kann an dieser Stelle die Probleme einer sachlichen Diskussion zuführen und letztendlich dazu führen, dass relevante Fragen vor Projektbeginn oder wenigstens frühzeitig geklärt werden, wie

  1. Liegt eine Planung vor, aus der Schnittstellen und Entscheidungsläufe geregelt sind?
  2. Gibt es ein Entscheidungs- und Eskalationsgremium, das regelmäßig tagt und Entscheidungen verantwortet?
  3. Wie werden Nachträge genehmigt und freigegeben?
  4. Welche Kriterien werden für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit eines Nachtrages herangezogen?
  5. Welche validen Gründe führen zu einem Nachtrag?
  6. Wie werden Entscheider im Genehmigungsprozess eingebunden?
  7. Welche Folgeeffekte haben Nachträge?

Fazit und Ausblick

Bauprojekte sind typischerweise sehr komplexe Vorhaben mit hohem Risk-Inventar (strukturelle Fehlermöglichkeiten), einem ebenfalls hohen Risk-Potenzial (statistische Fehler-Wahrscheinlichkeit), an deren Initiierung, Planung, Steuerung, Durchführung und Überwachung in der Regel eine Vielzahl wechselnder Akteure beteiligt ist. Die Durchführung öffentlicher Bauprojekte erfolgt in einem Umfeld, das heute organisatorisch (noch) nicht ausreichend  auf interdisziplinäre, übergreifende Zusammenarbeit vorbereitet ist. Aufbau- und ablauforganisatorische Strukturen sind – wenig überraschend und auch historisch bedingt auf Stabilität ausgerichtet, unpassender Weise auch an den Stellen, wo Projekte organisatorische Flexibilität und passende Managementtools zwingend benötigen.

Eine umfassende Lösung, einen „Generalschlüssel“ für alle oben genannten Herausforderungen, gibt es derzeit nicht. Ein systematisches Multiprojektmanagement schafft jedoch Abhilfe in vielfältiger Weise, wie bei der Reduktion von Komplexität, der Priorisierung und Ausrichtung an Zielen einer Organisation sowie der Transparenz von Schnittstellen und Folgeeffekten. Dem Schnittstellenmanagement kommt sowohl im Bauprojektmanagement als auch im öffentlichen Sektor eine besondere Bedeutung zu. Erkenntnisse aus der Risikoanalyse können weiterhin Störungen im Projekt frühzeitig abbilden.

Mit diesen Maßnahmen könnten viele Herausforderungen proaktiv behandelt werden und für die Schwierigkeiten, die trotz guter Vorbereitung und Berücksichtigung aller bekannten Faktoren auftreten, Transparenz und – fast noch wichtiger – Verständnis geschaffen werden.

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