Real-Labore mitten in der Stadt
Sabine Meigel: Vieles in Ulm auch auf kleinere Kommunen übertragbar und skalierbar / Interview
Verwaltung der Zukunft: Was sind die Ingredienzen für eine erfolgreiche Umsetzung einer stadtweiten Digitalisierungskampagne wie bei Ihnen in Ulm?
Meigel: Wichtig ist es zuerst einmal, jemanden an der Spitze der Stadtverwaltung zu haben, der hinter der Idee steht. Es geht darum, ein paar offizielle Räume zu schaffen, in denen ein bisschen „Kontrollverlust“ zugelassen wird. Anders als bei manch früherem Projekt können digitale Projekte nicht top-down geplant und dann genauso auch umgesetzt werden – es muss frei ausprobiert werden dürfen!
Es geht darum, ein paar offizielle Räume zu schaffen, in denen ein bisschen „Kontrollverlust“ zugelassen wird.
Darüber hinaus hat sich in Ulm sicherlich positiv ausgewirkt, dass die Stadtverwaltung mit dem „Verschwörhaus“ zentrale Flächen für ein solches Ausprobieren, für Innovation und Rumwerkeln bezahlt und zur Verfügung stellt. Schließlich braucht es aber auch die „richtigen“ Leute, die sich engagieren und daraus auch etwas machen!
VdZ: Was zeichnet denn „richtige Leute“ bei Ihnen aus?
Meigel: Bei uns ist es so, dass wir wirklich einfach einen Riesenspaß daran haben, Probleme zu lösen! Wir wollen die Stadt für die Bürger besser machen, also echte Probleme von echten Menschen lösen – dieser "Common Sense" prägt das gesamte Team der digitalen Agenda und ist mittlerweile in relativ weiten Kreisen der Community verbreitet.
Wir wollen die Stadt für die Bürger besser machen, also echte Probleme von echten Menschen lösen.
VdZ: Und wie finanzieren Sie das alles?
Meigel: Die Grundstruktur – wie etwa unser Verschwörhaus – ist durch die Stadt finanziert. Wir bewerben uns zudem um Fördergelder, vor allem aus Ausschreibungen des Landes Baden-Württemberg und auf Bundesförderungen. Momentan werden viele Förderaufrufe ausgeschrieben, dass es möglich ist, aus dieser Fülle das Passende für jede Stadt auszuwählen.
VdZ: Von welchen Fördergeldern konnten Sie profitieren?
Meigel: In der Vergangenheit haben wir mehrere Ausschreibungen gewonnen, die größte Auszeichnung war Anfang November der Zuschlag der Jury im Wettbewerb „Zukunftsstadt 2030“. Wir haben hier in der ersten Phase als eine von 50 Städten angefangen Ideen mit der Bürgerschaft zur Digitalisierung zu entwickeln. 2016 wurde Ulm dann eine von 23 Städten, die ein Umsetzungskonzept entwickeln konnte. Jetzt sind wir eine von sieben Kommunen, die das Umsetzungskonzept mit einer Millionen-Förderung in den nächsten drei Jahren konkret mit Reallaboren in den Stadtraum bringen kann. Im Übrigen die einzige Kommune in Süddeutschland.
Wir konzentrieren unsere unterschiedlichen Bemühungen rund um die Digitalisierung also mitten in der Stadt.
VdZ: Da ist aber noch mehr…
Meigel: Ja, im Mai 2018 sind wir als eine von fünf Leuchtturmstädten der digitalen "Zukunftskommunen@ bw" ausgewählt worden. Mit der Förderung setzen wir Services im Stadtquartier um; das Motto ist hier: Innovation aus der Stadt für die Stadt. Darüber hinaus haben wir 2017 eine Ausschreibung für ein regionales „Digital Hub“ hier in der Region Ulm, Alb-Donau, Biberach gewonnen. Es geht darum, die digitale Transformation in der Wirtschaft zu begleiten. Diese Einrichtung zieht nun Anfang kommenden Jahres in das besagte Ulmer Verschwörhaus ein – wir konzentrieren unsere unterschiedlichen Bemühungen rund um die Digitalisierung also mitten in der Stadt.
Wir arbeiten aus Prinzip oft mit offenen Daten und Open Source, das sind Dinge, bei denen Sie nicht unbedingt immer viel Geld oder ein großes Unternehmen dahinter benötigen.
VdZ: Ulm hat 120.000 Einwohner. Gemeinsam mit Neu-Ulm nebenan liegen Sie bei rund 170.000 Menschen – können auch kleinere Kommunen leisten, was Sie als Stadt vormachen?
Meigel: Es kommt sicherlich auch auf die Einwohnerzahl an, genauso wie auf die Eigenheiten und individuellen Voraussetzungen vor Ort. Auch in Ulm können wir leider nicht alle Dinge und Ideen umsetzen, die vielleicht aus Köln und Hamburg an uns herangetragen werden. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden. Ich denke deshalb, dass vieles, was wir gerade bei uns machen, auch auf kleinere Kommunen übertragbar und runter zu skalieren ist. Wir arbeiten aus Prinzip oft mit offenen Daten und Open Source, das sind Dinge, bei denen Sie nicht unbedingt immer viel Geld oder ein großes Unternehmen dahinter benötigen.
Zudem gilt es, zu kooperieren – gerade mit den Nachbarn und der Region. Ulm und Neu-Ulm tun das seit Jahren, obwohl dazwischen sogar eine Landesgrenze liegt: Es gibt zum Beispiel für beide Städte nur ein Freizeitbad und eine große Multifunktionshalle.
VdZ: Hatten Sie denn schon Besucher aus anderen Gemeinden, die sich für Ihre Projekte und Strategie interessiert haben?
Meigel: Wir hatten Vertreter kleiner ländlicher Räume, die sich etwa unser Long Range Wide Area Network, kurz LoRaWAN, angeguckt haben. Unseren Erfahrungen nach ist es möglich, eine Fläche der Stadt Ulm für etwa 25.000 Euro komplett mit entsprechen Gateways zu versorgen. Damit wäre ein Netz aufzubauen, das als Grundlage Dinge über weite Strecken mit geringen Datenmengen verbinden kann. Das könnte also auch für den Aufbau smarter Infrastrukturen in weitläufigeren Ortschaften interessant sein.
Unseren Erfahrungen nach ist es möglich, eine Fläche der Stadt Ulm für etwa 25.000 Euro komplett mit LoRaWAN-Gateways zu versorgen.
VdZ: Wie sieht es bei Ihnen innerstädtisch aus, inwiefern arbeiten die unterschiedlichen Einrichtungen zusammen?
Meigel: Wir versuchen grundsätzlich vieles durch Kooperationen zu gestalten. Dazu sitzen neben Bürgern auch Vertreter etwa aus unserer Familienbildungsstätte, aus der Volkshochschule oder der Stadtbücherei mit am Tisch. Wenn wir Jugendangebote machen, dann gemeinsam mit dem Stadtjugendring, der zum Beispiel Kurse zu Robotik in den Räumlichkeiten unseres Verschwörhauses anbieten kann, die sie selbst sonst nicht zur Verfügung hätten. Davon profitieren beide Seiten!
Ich finde es gut, wenn sich andere Einrichtungen ebenso auf den Weg machen und die Dinge vorantreiben. Es geht dabei nicht um Konkurrenz, sondern darum, sich abzustimmen, zu kooperieren und zu ergänzen.
VdZ: Also keine Konkurrenz zwischen einzelnen Institutionen?
Meigel: Eines ist klar: Aus der Stadtverwaltung heraus können wir nicht alles selber machen. Ich finde es deshalb gut, wenn sich andere Einrichtungen ebenso auf den Weg machen und die Dinge vorantreiben. Es geht dabei nicht um Konkurrenz, sondern darum, sich abzustimmen, zu kooperieren und zu ergänzen. So sind wir auch mit unserer Hochschule und der Universität, die nicht im Stadtzentrum liegt, im Gespräch, wie wir die Wissenschaft stärker in die Aktivitäten im Zentrum der Stadt einbinden. Schön wäre es, wenn wir Forschungsergebnisse in unserem Verschwörhaus möglichst vielen Leuten publik machen könnten. Denn davon würden sicherlich auch unsere eigenen Projekte ganz praktisch profitieren.
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