Bosbach

Die „Aufklärungsquote“ – Ein klarer Begriff?

Die Klartext!-Kolumne des Rechtsexperten Wolfgang Bosbach

Erfahrene „Tatort“-Fans wissen: So verworren der Sachverhalt auch sein mag, so verschlungen die Wege zur Aufklärung des Falles auch sind und selbst dann, wenn jeder Weg eine Sackgasse zu sein scheint - spätestens um 21.40 Uhr ist die ruchlose Tat aufgeklärt! Die Beweise sind erdrückend, vielleicht legen Täter oder Täterin sogar ein formvollendetes Geständnis ab und ermattet von unermüdlicher Ermittlungsarbeit reiten die Kommissare der untergehenden Sonne entgegen.

Okay, das eher in einem Western als in einem „Tatort“ - aber so oder so kann sich die treue TV-Gemeinde zur Ruhe begeben, denn der Rechtsstaat hat wieder einmal vorbildlich funktioniert.

Aber - Achtung - hier lauert schon die erste Falle: Denn vor einer rechtskräftigen Verurteilung gilt ja bekanntlich die berühmte „Unschuldsvermutung". Da aber jeder „Tatort“ nun mal spätestens um 21.45 Uhr enden muss, kann der Rest der Geschichte leider nie erzählt werden. Auch ohne rechtskräftige Verurteilung geht der treue GEZ-Kunde natürlich davon aus, dass die Schurken nicht ungeschoren davonkommen.

Das allerdings kommt im richtigen Leben häufiger vor als vermutet, und zwar auch dann, wenn Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik als „aufgeklärt“ gelten. Als aufgeklärt gelten statistisch Taten schon dann, wenn „mindestens ein namentlich bekannter Tatverdächtiger ermittelt werden konnte“. Ein Beispiel: Nach einem Einbruchdiebstahl werden zwei DNA-Spuren gesichert und ausgewertet, die beide nur von den Tätern stammen können. Alle anderen denkbaren Varianten konnten ausgeschlossen werden. Eine Spur konnte einer namentlich bekannten Person zugeordnet werden, die bereits eine DNA-Probe abgeben musste, vielleicht sogar einschlägig vorbestraft. Die zweite Spur konnte jedoch keiner konkreten Person zugeordnet werden. Der Aufenthaltsort beider Personen - auch der namentlich bekannten - konnte nicht ermittelt werden, und weil weitere Ermittlungsansätze nicht gegeben waren, musste die Akte letztendlich geschlossen und weggelegt werden. Tat dennoch aufgeklärt? Statistisch ja! Obwohl für beide - nach wie vor - die Unschuldsvermutung gilt, obwohl beide nie vor Gericht standen und nie verurteilt wurden? Statistisch ja!

Interessant ist auch, dass es Fallgestaltungen gibt, bei denen die Aufklärung einer Tat und die Überführung der Täter fast zwangsläufig zusammenfallen. Beispiel: Ladendiebstahl. Wird ein Ladendieb gestellt, wird in einem Akt die Straftat festgestellt und gleichzeitig die Person des Täters oder der Täterin ermittelt. Natürlich mag es Fälle geben, in denen erst die wahre Identität der Person ermittelt werden muss oder in denen Täter oder Täterin festgehalten werden können und fliehen, aber das sind eher seltene Ausnahmen.

Beispiel: Beförderungserschleichung, „Schwarzfahren“. Hier gilt das zuvor Gesagte analog. Allenfalls theoretisch denkbar, dass ein Busfahrer am Ende seiner Dienstzeit „Strafanzeige gegen Unbekannt“ erstattet, weil er das Gefühl hatte, dass heute Passagiere ohne gültigen Fahrausweis mit an Bord waren.

Deshalb: Je mehr Fälle von Ladendiebstählen und Schwarzfahrten aufgeklärt werden konnten, desto beeindruckender ist die Aufklärungsquote. Statistisch.

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

7. Berliner Kongress wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt

🗓️ 16. bis 17. Juni 2024