Dabei wird gerne übersehen: Wer hinter den Fahnen der AfD herläuft, ihnen bei Umfragen zuneigt oder gar in der Wahlkabine dort sein Kreuz macht, der unterstützt selbstverständlich auch – ob gewollt oder nicht – das Höcke-Lager.
Das wiederum ändert nichts daran, dass sich die AfD in der Bundesrepublik längst als relevante politische Kraft etabliert hat.
Die Prophezeiung des damaligen CDU-Generalsekretärs aus dem Jahre 2014 („Ich glaube, dass sie (die AfD) auf Dauer den Weg der Piraten gehen und verschwinden wird”) hat sich jedenfalls bislang nicht so richtig bestätigt. Die Piraten sind tatsächlich in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden, obwohl sie vermutlich besser als die politische Konkurrenz mit Rechnern aller Art virtuos umgehen konnten. Politik verlangt halt doch etwas mehr als nur individuelle, digitale Kompetenz.
In den neuen Ländern (wann endlich hören wir auf, diese Formulierung zu benutzen?) ist die AfD noch deutlich stärker als im Westen der Republik. Besonders stark ist die Partei in Thüringen, obwohl – oder weil? – der dortige Landesverband vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch” eingestuft wird.
Kein Wunder, dass sich bei dieser Lage viele Menschen ernsthafte Sorgen um den Bestand unserer Demokratie machen. Vor diesem Hintergrund wird seit Monaten öffentlich über ein mögliches Verbot der AfD diskutiert und spekuliert. Diese Debatte wird wohl anhalten, auch wenn aktuell kein einziges antragsberechtigtes Verfassungsorgan ernsthaft darüber nachdenkt, zeitnah einen Antrag in Karlsruhe einzureichen.
Relativ neu im Waffenarsenal der Gegner rechtsextremistischer Umtriebe ist hingegen die Idee, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen. Ganz sicher auch mit dem Gedanken, dass er bei einem Verbot des passiven Wahlrechts nicht mehr die Möglichkeit hätte, nach den Landtagswahlen in Thüringen dort Ministerpräsident zu werden. Mittlerweile ist diesbezüglich schon ein Petitionsverfahren initiiert worden – obwohl natürlich niemandem per Petition Grundrechte entzogen werden können. Über eine Millionen Menschen haben diese Petition bereits mitgezeichnet. Ziel ist es, die Bundesregierung zu motivieren, einen entsprechenden Antrag beim BVerfG einzureichen.
Gemäß Art. 18 Satz 2 GG kann „die Verwirkung (der Grundrechte) und ihr Ausmaß nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen” werden.
Dieser Artikel ist „ein Novum im deutschen Verfassungsrecht” ¹ und „eine bewusste Antwort auf die verfassungsrechtlichen Ausfallerscheinungen der Vergangenheit”, so Hofmann in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG.
Vielfach wird argumentiert, die Grundrechtsverwirkung sei schneller und einfacher zu erreichen als ein Partieverbot, schließlich müsse man „nur” das verfassungswidrige und systemumstürzlerische Agieren einzelner Personen nachweisen.
Man könne „einzelne Personen aus dem Spiel nehmen”, das sei einfacher als eine ganze Partei zu verbieten, so die Verfassungsrechtlerin Gertrude Lübbe-Wolff.
Das mag grundsätzlich richtig sein, aber dennoch sind die Hürden hoch! Es würde NICHT genügen, als Beweismittel auf die einschlägigen Berichte des Verfassungsschutzes zu verweisen, denn die Gefährlichkeit eines potentiellen Antragsgegners Höcke müsste stichhaltig nachgewiesen werden.
Mit anderen Worten: Der Ausgang eines solchen Verfahrens wäre ungewiss. Gewiss wäre allenfalls die Länge eines solchen Verfahrens – möglicherweise Jahre. Auf keinen Fall wäre ein derartiges Verfahren vor dem Urnengang 2024 in Thüringen beendet. Davon dürften selbst die Antragsbefürworter ausgehen.
Das Wort „Ausmaß” in Art. 18 Satz 2 GG stellt außerdem klar, dass es dem Gericht frei steht darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche Grundrechte „verwirkt" sind, da hat das Gericht einen weiten Ermessensspielraum.
Interessant ist: Es wurden schon mehrere Anträge auf Feststellung der Verwirkung von Grundrechten gestellt, aber in keinem einzigen Fall (!) hatte ein Antrag Erfolg.
Vermutlich für die potenziellen Antragsteller ein nicht unwichtiger Grund, keinen Antrag zu stellen. Auch nicht in der Causa Höcke. Ob ihm ein solcher Antrag politisch überhaupt schaden würde? Abschließend schwer zu beurteilen. Gut möglich, dass er ihn bundesweit noch bekannter und in einschlägigen rechtsextremistischen Kreisen noch populärer machen würde.
Deshalb gilt auch hier: ... et respice finem.
Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestags und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.