Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Doppelstaatlern wegen der Begehung von Straftaten?
Skandal! Oder doch nicht?
Vor diesem Hintergrund war es auch kein Wunder, dass der Vorstoß von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit (StA) bei Doppelstaatlern wegen der Begehung von Straftaten sofort sehr laut und – natürlich – kontrovers diskutiert wurde. Kritik gab es hierbei von beiden Seiten! Die einen fragten "Warum erst bei zwei Straftaten?", die anderen "Wäre das nicht eklatant verfassungswidrig?" Daher dieser kleine Beitrag zur Aufklärung und auch zur Beruhigung der erhitzten Gemüter: Nein, die – unjuristisch formulierte – Aberkennung der dt. StA ist verfassungsrechtlich keineswegs ausgeschlossen, ganz im Gegenteil. Verboten ist gemäß Art. 16 I GG lediglich der "Entzug" der dt. StA, nicht aber der "Verlust". So oder so – auf keinen Fall darf aber die Staatenlosigkeit deren Folge sein. Daher die Konzentration auf die sogenannten Doppelstaatler.
Worin aber liegt der Unterschied zwischen Entzug und Verlust?
"Entziehung" bedeutet grundsätzlich jeder Hoheitsakt, der den Wegfall der StA ohne oder gegen den Willen der Betroffenen zur Folge hat. Anders formuliert: Der Betroffene selbst (!) hat in seinem Verhalten keinerlei Anlass gegeben, ihm die StA zu entziehen. Ganz anders hingegen beim "Verlust" der StA. Er ist keineswegs verfassungsrechtlich ausgeschlossen, sofern er gesetzlich geregelt ist, vgl. Art. 16 I Satz 2. Gemeint ist hier ein einfaches förmliches Parlamentsgesetz. Konkret das StaatsangehörigkeitsG in der Fassung vom 22.3.2024. Wer hier blättert, stößt auf eine weitere Preziose des Rechts, nämlich die Formulierung, die StA "kann verloren gehen", aber das soll hier nicht weiter vertieft werden. Interessanter ist der § 17, dort sind die Verlusttatbestände aufgeführt.
Gerne wurde in diesem Zusammenhang auch die Frage gestellt, ob zur Realisierung des Vorschlags nicht zunächst die Verfassung geändert werden müsse – was doch wegen der "Ewigkeitsgarantie" der Grundrechte ausgeschlossen sei. Abgesehen davon, dass die Verfassung gar nicht geändert werden müsste (siehe oben), gibt es hier einen weiteren Irrtum: Die Ewigkeitsgarantie bezieht sich auf die Art. 1 und 20 GG, gerne wird aber behauptet Art. 1 bis 20 GG. Ein "kleiner" Unterschied. Dennoch gilt: Grundrechte dürfen nie in ihrem "Wesensgehalt" angetastet werden.
Fazit
Bleibt die Frage, ob der Vorstoß möglicherweise mit einer anderen Säule unserer Rechtsordnung kollidieren könnte: dem sog. "Übermaßverbot", abgeleitet aus Art. 20,28 I GG. Eine gewisse Schwere müssten die Straftaten wohl haben, um nicht hiermit zu kollidieren. Zweimal Ladendiebstahl oder zweimal Schwarzfahren allein (!) und schon ist die dt. StA in Gefahr, könnte unverhältnismäßig sein. Andererseits: Wieso bei Verbrechen auf die nächste Straftat warten? Das zu erörtern bleibt jedoch ruhigeren Zeiten vorbehalten.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.