Von der Schwierigkeit, nur scheinbar klare Begriffe juristisch zu erfassen
Die Klartext!-Kolumne des Rechtsexperten Wolfgang Bosbach
Der Tatvorwurf: Ein (damals/zum Tatzeitpunkt) 20-jähriger Fahrer hatte im Februar des vergangenen Jahres in Heilbronn mit seinem 300 PS starken Wagen bei einem Tempo von etwa 100 km/h die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren – mit fatalen Folgen. Er kollidierte mit einem anderen Kraftfahrzeug, dessen Fahrer - ein 42jähriger Familienvater- noch an der Unfallstelle starb. Seine Frau wurde schwer, die beiden Kinder Gott sei Dank nur leicht verletzt.
Die zuständige Staatsanwaltschaft brachte den Fall zur Anklage und plädierte zunächst - das macht den Fall juristisch so interessant – auf Totschlag (bedingter Vorsatz) gemäß § 212 StGB. Im Verlauf der Verhandlung hatte die zweite große Jugendkammer, vor der verhandelt wurde, allerdings den rechtlichen Hinweis erteilt, dass ihrer Meinung nach auch eine Verurteilung wegen Mordes gemäß § 211 StGB in Betracht käme – wenn das Mordmerkmal „Heimtücke“ bejaht werden könne. Die Anwältin der Witwe des Getöteten plädierte für eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht und forderte lebenslange Haft wegen Mordes. Die Verteidigung ging von nur fahrlässiger Tötung und dreifacher fahrlässiger Körperverletzung aus - so unterschiedlich können die juristischen Wertungen für ein und dieselbe Tat ausfallen.
Das Urteil: Verurteilung wegen Mord und versuchtem Mord in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von neun Jahren. Dieses Urteil ist noch NICHT rechtskräftig, die Verteidigung hat Revision zum BGH angekündigt. Dabei wird es wohl nicht ausschließlich – aber zumindest auch und nicht zuletzt – um die Beantwortung der Frage gehen, ob tatsächlich ein sog. „Mordmerkmal“ erfüllt ist. Hier eben das der „Heimtücke“. Eine gängige Argumentation lautet: Heimtückisch handelt, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat eines Angriffes nicht versieht, also die Vorstellung hat, vor einem Angriff sicher zu sein. Im Straßenverkehr kann man sich zwar nie sicher sein, nicht doch in eine verkehrstypische Unfallsituation verwickelt zu werden – aber dazu gehört ganz zweifellos nicht, Opfer eines illegalen Rennens zu werden, auch wenn der Täter „nur“ ein Rennen „gegen sich selbst“ veranstaltet.
Im konkreten Fall kommt wohl erschwerend hinzu, dass eine Fußgängerin kurz vor der Kollision nur mit Mühe einer latent tödlichen Kollision mit dem Fahrer ausweichen konnte. Spätestens ab diesem Moment muss dem Angeklagten klar gewesen sein, welche Folgen seine Raserei haben könnte. Das aber führte nicht dazu, dass er sein Fahrverhalten änderte. Bleibt abzuwarten, wie der BGH den Fall juristisch bewertet, dem soll hier nicht vorgegriffen werden.
Eine rechtskräftige Verurteilung wegen Mordes wäre allerdings keine Sensation. Bekannt sein dürfte der Fall zweier Männer, die sich 2016 auf dem Berliner Kurfürstendamm ein Rennen geliefert hatten, bei dem ein Rentner sein Leben verlor.
Der eine Fahrer wurde wegen Mordes, der andere wegen versuchten Mordes verurteilt.
Unabhängig von diesen Fällen gilt generell, dass die Bejahung der sog. Mordmerkmale viel schwieriger ist, als landläufig vermutet. Das gilt namentlich für die vielzitierten „Niedrigen Beweggründe“, vgl. § 211 II StGB, 4. Beispiel: die vorsätzliche Tötung eines Menschen aus Eifersucht. Niedriger Beweggrund? Prima facie ja – aber vorstellbar sind ja zwei ganz verschiedene Varianten: Der „Lover“ tötet den Ehemann, weil er dessen Frau ganz allein für sich haben will! Da dürfte es einfacher sein dieses Mordmerkmal zu bejahen als in der umgekehrten Konstellation: Der Ehemann tötet den Nebenbuhler, weil er seine Frau nicht verlieren möchte. Niedriger Beweggrund?
Wie würden SIE entscheiden?
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
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