Mit dem Servicegedanken und der Kundenzentrierung, die in die Verwaltung vorgedrungen sind, kommt die Forderung mit der Zeit zu gehen und sich ständig weiterzuentwickeln. Behörden müssen zu lernenden Organisationen werden, in Forschung investieren, ihre Arbeitsorganisation überdenken und alte Verhaltensmuster aufbrechen.
Behörden als lernende Organisationen
Die Stadt Wien hat mit der Strategie „Innovatives Wien 2020“ eine Leitlinie entwickelt, um eine Innovationskultur in der Stadtverwaltung zu schaffen. Mit internen Veranstaltungsformaten wie „Innovations Inside“ oder der Wiener Innovationskonferenz werden erfolgreiche Projekte sichtbar gemacht und zum Nachahmen angeregt. Die Ämter sollen voneinander lernen und sich weiterentwickeln.
Doch was zeichnet eine lernende Organisation aus? Eine zentrale Eigenschaft ist, wie die Stadt Wien bereits erkannt hat, das Experimentieren mit neuen Methoden. Dies schließt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und die Durchführung von Demonstrationsprojekten ein. Des Weiteren zeichnet Reflektion, das Lernen von eigenen sowie den Projekten anderer, eine lernende Organisation aus. Damit einhergehen Feedback-Schleifen, die Auswertung von Projekten und daraus gewonnene Erkenntnisse und ein entsprechendes Wissensmanagement.
Es gibt verschiedene Methoden, um festgefahrene Arbeitsweisen aufzubrechen und neue Anreize zu schaffen. Sogenannte „Workhacks“ können helfen, Blockaden und alte Muster zu lösen.
Zwei Beispiele:
„Why Talk“: Teammitglieder hinterfragen die eigene Motivation durch „Warum-Fragen“
Biography Sharing: Teammitglieder gehen 20 Minuten auf die eigene Person ein, echte Bindung stärkt Team-Zusammenhalt und fördert Verständnis für die zukünftige Zusammenarbeit.
„Behavioral Turn“ in der Verwaltung
Im Rahmen der Innovation sind die weichen Faktoren entscheidend. Alte Verhaltensmuster müssen gebrochen werden, um Neues zu erschließen. Auf der einen Seite ist die Innovationsfähigkeit und die damit einhergehenden Kompetenzen zu fördern und zu trainieren. Dazu gehören u.a. Anpassungsfähigkeit, Vorstellungskraft, emotionale Intelligenz, Systemverständnis, Zeitgeist, Autonomie, Agilität und Teamfähigkeit. Eigenschaften wie Kreativität, Empathie und Intuition gewinnen immer mehr an Bedeutung. Die Strukturen der Verwaltung müssen entsprechend geöffnet werden, um Raum für kreative Arbeitsprozesse und Eigeninitiative zu bieten. Die hierarchischen Strukturen, festen Zuständigkeiten und routinierten Arbeitsabläufe hemmen einen für Innovation notwendigen Verhaltenswandel („Behaviorial Turn“). Die Führungsebene muss die Prozesse und das Arbeitsumfeld überdenken und ggf. verändern und die Entwicklung neuer Verhaltensmuster bestmöglich unterstützen. Das bedeutet, Grenzen in der Arbeitswelt zu öffnen, motivierten Mitarbeitenden möglichst wenig Hürden in den Weg zu legen bzw. Hürden abzubauen sowie Organisation und Prozesse nicht in kleinteiligen Abschnitten, sondern als Ganzes zu begreifen.
Eine Innovation ist nie allzeit gültig
Um sich beständig weiterzuentwickeln, braucht es eine gewisse Grundskepsis gegenüber bestehenden Abläufen: eine kontinuierliche Selbsterneuerung und Verbesserung sowie eine Achtsamkeit für neue Entwicklungen, ständige Selbstreflektion und Auswertung. Das Team muss sich vom Gedanken trennen, dass wenn eine neue Lösung gefunden wurde, das Problem abgehakt werden kann. Die „produktive Unruhe“ muss bestehen bleiben. Lebendigkeit entstehe nur aus der Akzeptanz des Unverfügbaren, so Soziologe Hartmut Rosa. Projektablauf und Ergebnis stehen nie zuvor fest, die Innovation ist nie perfekt und allzeit gültig.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Innovationsfähigkeit einer Organisation und ihrer Mitarbeiterschaft zu steigern. Die Werte der Behörde sind auf das Lernen und Weiterentwicklung auszulegen. Die Führung muss Innovation vorleben, neue Modelle und Arbeitsweisen testen und fördern. Projekte sind in diversen Teams zu lösen, denen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Initiative muss belohnt werden, es sind Anreizsysteme zu schaffen. Auch die Anerkennung und Wertschätzung von Innovationsfähigkeit von Mitarbeitenden, eine Risikokultur und ein angstfreies, motivierendes Arbeitsklima tragen dazu bei, eine Innovationskultur zu etablieren.
„IQ – Einführung einer innovativen Querstruktur“ in der Stadtverwaltung Karlsruhe
Das IQ-Projekt der Stadt Karlsruhe hat es sich zur Aufgabe gemacht, agile, kreativitäts- und innovationsfördernde Arbeitsweisen in der Stadtverwaltung zu etablieren und eine Quervernetzung über Fach- und Hierarchiegrenzen hinweg zu erzielen. Die Stadtgesellschaft soll intensiver in die Arbeits- und Entscheidungsprozesse eingebunden, die Qualität der Prozesse und Produkte dadurch verbessert werden. Die Stadt Karlsruhe hat sechs Korridorthemen definiert, in denen verwaltungsinterne und externe Akteure zusammenarbeiten: Zukunft Innenstadt, Moderne Verwaltung, soziale Stadt, Wirtschaft, Wissenschaft & Mobilität.
„Lean Coffee“ beschreibt ein kurzes Meeting ohne Tagesordnung und ohne Teilnahmepflicht. Es erfolgt eine Einladung zu einem grob umrissenen Themenkomplex. Während des Meetings wird eine Tabelle mit drei Spalten geführt: „zu diskutieren“, „in Diskussion“ und „diskutiert“. Alle Fragen der Teilnehmer werden auf Post Its gesammelt und der ersten Spalte zugeordnet. Die Themen werden priorisiert und sortiert. Es wird eine einheitliche Diskussionszeit pro Thema festgelegt. Die Frage wird durch einen Moderator des Meetings in die Spalte „in Diskussion“ gesetzt, der Fragensteller gibt kurze Hintergrundinformationen und stößt die Diskussion an.
Der Moderator trägt Sorge, dass der Zeitrahmen eingehalten wird. Ist dieser abgelaufen, wird abgestimmt, ob das Thema weiterhin diskutiert werden soll. Ist dies der Fall, gibt es eine weitere Verlängerung. Ist nach dieser weiterhin Diskussionsbedarf, wird dieser in ein anderes Meeting vertagt. Die Frage wird dann in die dritte Spalte gesetzt, ein neues Thema wird diskutiert.
Neue Arbeitsmethoden zur Anregung neuer Verhaltensmuster
„Man darf nicht mit zu großen Erwartungen an die Sache herangehen. Die Stadtverwaltung bleibt weiterhin eine klassisch hierarchisch geprägte Organisation“, erklärt Dr. Björn Appelmann, Leiter des IQ-Projekts. Trotzdem habe das Einführen und Begleiten agiler Arbeitsmethoden einen kulturellen Wandel mit sich gebracht. Den Mitarbeitenden, die bereits Initiative zeigen wollten, wurden Werkzeuge an die Hand gegeben, die „Hands On-Mentalität“ gestärkt. Außerdem sei die Arbeit lebendiger und transparenter geworden. Das zeige sich laut Dr. Appelmann an Artefakten wie beispielsweise einem Kanban-Board im Büro. „Der Raum ist der zweite Lehrer“. Stück für Stück versuche sich die Stadtverwaltung an neuen Raumkonzepten. Seit 2019 gibt es in Karlsruhe ein Zukunftslabor und ein Digital Lab.
Man gehe außerdem achtsamer mit der Zeit des anderen um. Diese Verhaltensweise wurde durch Methoden wie „Lean Coffee“ bzw. „Time boxing“ gestärkt.
Methoden wie SCRUM und Stand Ups sowie die Gestaltung von Workshop Formaten haben positiv dazu beigetragen, dass sich die verschiedenen Fachbereiche und die Interessengruppen der Stadtgesellschaft mehr austauschen und vernetzen. Das Verständnis füreinander sei gewachsen.
Autonomie für Projektgruppen
Auch zuvor hätte es fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppen gegeben, die gemeinsam Lösungen entwickelt haben, jedoch blieb das Silodenken bestehen. Die letzte Entscheidung lag beim jeweiligen Amtsleiter. Durch die Hierarchiestrukturen waren kurzfristige Lösungen kaum möglich: „Die Arbeitsgruppe braucht ein eigenes Mandat“, so Dr. Appelmann. Die heutigen Aktionskreise bestehen aus Führungskräften und Mitarbeitern verschiedener Bereiche sowie Stakeholdern der Stadtgesellschaft. Mit entsprechender Vorwegdefinition des Anliegens können Entscheidungen ohne einen Lauf durch das Dezernat getroffen werden.
Die Arbeitsgruppe braucht ein eigenes Mandat.
Wichtig wäre es auch, dass nicht jeder Schritt des Projektes an eine Steuerungsgruppe berichtet werden muss. Besser sei hier einen Beirat oder ein Info-Treffen mit den Amtsleitungen einzuberufen, wo gesammelt der Status Quo zusammengefasst würde. Dr. Appelmanns Team beschäftigt sich kontinuierlich mit den Projektstrukturen, Gremien und den verschiedenen Rollen. Nicht immer sei der Input von oben notwendig, die Präsentation des Projektstandes mit Mehrarbeit verbunden.
Innovation für das Gemeinwohl
„Der Nutzen der Stadtgesellschaft definiert die Innovation“, erklärt Dr. Appelmann, „eine Innovation ist auch immer ein Sprung.“ Um Innovation in der Stadtverwaltung voranzutreiben, brauche es also eine Orientierung am Kunden sowie Offenheit und Mut, Sachverhalte neu zu denken. Die Stadt habe bereits ein hohes Innovationspotenzial durch die Expertise und den Antrieb in der Stadtgesellschaft. Die Stadt müsse diese nur richtig nutzen.
Karlsruhe bemühe sich sehr darum, die Initiativen ihrer Bürger bestmöglich zu unterstützen und ihre Vorhaben so zu beschleunigen. Als Beispiel nennt der Dr. Appelmann die „Kulturküche“. Das Projekt wird durch einen Verein getragen und bringt Geflüchtete und Studierende zusammen. Die Begegnungsstätte ist auf der einen Seite eine Kantine, auf der anderen ein Raum für Kulturveranstaltungen aller Art: „An Projekten wie diesen lässt sich besonders gut die Quervernetzung erkennen, die es mittlerweile in Karlsruhe gibt.“