Wie Politik und Verwaltung für Frauen attraktiver werden
Ist-Zustand und Maßnahmen für Bund, Länder und Kommunen
Auf Bundesebene seien vor allem Parteikultur, Nominierungspraxis und Netzwerke neben den festgefahrenen Rollenbildern für den niedrigen Frauenanteil in Führungspositionen verantwortlich, erklärt Frau Dr. Helga Lukoschat, Vorstandvorsitzende des Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft e.V. Berlin (EAF). Die Mitbegründerin des Vereins berät Unternehmen und Institutionen rund um Diversity Leadership und fördert die Partizipation von Frauen in Politik und Gesellschaft.
Unterrepräsentation durch Parteikultur
Der sinkende Frauenanteil der Bundespositionen sei dem Einzug der AfD und der FDP in den Bundestag geschuldet. Beide Parteien lehnen eine Frauenquote ab, auch die CDU /CSU habe lediglich eine weiche Quote für Listenplätze, schildert die EAF-Vorstandsvorsitzende: „Die Listen ziehen kaum noch und die Direktmandate sind tendenziell männlich.“
Der Frauenanteil des bisherigen Spitzenreiters Sachsen-Anhalt ist mit dem AfD-Einzug in das Landesparlament von über 40 Prozent auf 22 Prozent gesunken.
Auch auf Landesebene sei Gleichstellung ein Parteienproblem. Der Frauenanteil des bisherigen Spitzenreiters Sachsen-Anhalt ist mit dem AfD-Einzug in das Landesparlament von über 40 Prozent auf 22 Prozent gesunken. Auf kommunaler Ebene ergeben sich noch weitere strukturelle Probleme für Frauen.
Nur 10 Prozent der Bürgermeister sind weiblich
Oft muss man sich erst ehrenamtlich in Parteien engagieren, um politisch aufzusteigen. Auch Jugendorganisationen seien oft ein Sprungbrett. Durch den benötigten Zeitaufwand würden hier Frauen oft doppelt oder gar dreifach belastet, betont die Diversity-Expertin. Kommunalverwaltungen hätten außerdem oft ein kulturelles Problem. Es fehle an guten Umgangsformen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Toleranz. Parteien nominieren Frauen nur selten, Personalämter bereiten sie kaum auf Verwaltungsmanagement-Positionen vor. In Deutschland sind nur etwa zehn Prozent der Stadtoberhäupter Frauen - eine davon: Charlotte Britz. Sie ist seit 14 Jahren Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken und damit die einzige Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt. Alle weiteren 15 Ämter sind durch Männer bestückt.
65 Prozent der Amtsleitungen in Saarbrücken männlich
Die Stadt wurde mehrfach für ihre familienfreundliche Personalpolitik ausgezeichnet. Auf die rund 178.000 Einwohner kommen über 2.700 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Die Landeshauptstadt will die Nachteile für Frauen immer weiter ausgleichen und so Unterrepräsentanzen reduzieren. Etwa 55 Prozent der Beschäftigten der Stadt Saarbrücken sind weiblich, allerdings bleiben 65 Prozent der Amtsleitungen mit Männern besetzt.
Neben ihrer Ausgestaltung eines familienfreundlichen, flexiblen Arbeitsplatzes hat die Stadt einen Frauenförderplan von 2017 bis 2020 aufgestellt. Saarbrücken will die Nachteile für Frauen immer weiter ausgleichen und so Unterrepräsentanzen reduzieren.
Ist-Analyse und stetige Zielüberprüfung
„Wir verfolgen konsequent die strukturelle Frauenförderung im Konzern Stadt, dazu gehören auch unsere Eigenbetriebe und Gesellschaften mit Mehrheitsbeteiligung“, erklärt Josephine Kretschmer aus dem Büro der Oberbürgermeisterin. Die Landeshauptstadt hat eine Ist-Analyse der Beschäftigungsstrukturen nach Geschlecht, Besoldungs-, Entgelt- und Leistungspositionen durchgeführt. Außerdem berücksichtigt wurden neueigenstellte Mitarbeiter, Vertragsbefristungen und Teilzeitbeschäftigung.
Frauenförderpläne sind eine gute Grundlage, werden aber häufig zu bürokratisch abgehandelt.
Dahingehend entwickelte die Stadt einen Maßnahmenkatalog, Instrumente und ein gezieltes Controlling für die nächsten vier Jahre. Darin wird Frauenförderung im Sinne von Gleichstellung als Gemeinschaftsaufgabe sowie als Auftrag für die Führungsebene betrachtet. Angestrebt ist ein Frauenanteil von 50 Prozent. Beim Wegfall von Stellen will sich die Stadt bemühen, den Frauenanteil zu erhalten. Nach 2 Jahren ist eine Analyse der Fortschritte geplant und eine entsprechende Weiterentwicklung der Instrumente, um die Zielvorgaben für die jeweiligen Abteilungen zu erreichen. Sollten die Ziele unerreicht bleiben, wird ein weiter Frauenförderungsplan ausgearbeitet.
Frauenförderpläne seien eine gute Grundlage, würden aber oft zu bürokratisch abgehandelt, mahnt die EAF-Vorstandsvorsitzende.
Frauenförderung mit Personalentwicklung koppeln
Man dürfe den Förderplan nicht als schickes „Add On“ betrachten, sondern müsse ihn mit der Personalentwicklung verknüpfen. Um Gleichstellung zu schaffen, brauche es eine höhere Verbindlichkeit dieser Papiere. Wichtig sei es Frauen frühzeitig und nachhaltig zu fördern, erklärt Lukoschat: „Man darf nicht erst suchen, wenn die Kommunalwahlen anstehen.“ Durch Werbung in Schulen für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst und auf Frauen zugeschnittene Mentoring-Programme könnten Kommunalverwaltungen weibliche Talente entdecken und fortbilden. Die EAF-Mitbegründerin empfiehlt auch einen Blick in Umweltverbände, Kirchen oder andere ehrenamtliche Träger zu werfen und dort Frauen für Führungspositionen gewinnen. Zudem müssten sich Netzwerke und Parteien stärker auf Frauen fokussieren.
Man darf nicht erst suchen, wenn die Kommunalwahlen anstehen.
Saarbrücken setzt sich gemeinsam mit einem großen Netzwerk für die Frauen der Kommune ein. Das Frauenbüro organisiert rund um den internationalen Frauentag und "FrauenThemenMonat November" Veranstaltung um Gleichstellungsthemen.
„Außerdem gibt es in Saarbrücken mehrere Institutionen, die sich für Frauen einsetzen, wie die FrauenGenderBibliothek, das Projekt MiNET (MentoringNetzwerk für Migrantinnen), den Frauenrat und das FrauenForum.“, so Kretschmer.
Mit Arbeitgeberattraktivität zur Gleichstellung
In der Arbeitgeberbroschüre beschreibt sich Saarbrücken „als verantwortungsbewusste Arbeitgeberin“, welche sich zu Gesundheits- und Arbeitsschutz „sowie einer zukunftsorientierten Personalentwicklungspolitik mit Perspektiven in der Fort- und Ausbildung verpflichtet“. Besondere Stellung nimmt die Familienpolitik ein, mit welcher die Stadtverwaltung Vorbild für andere Unternehmen der Region sein möchte.
„Die Landeshauptstadt bietet neben einer hohen Arbeitsplatzsicherheit mit Kündigungsfristen, die weit über die gesetzlichen Mindestfristen hinausgehen, auch eine zusätzliche Altersvorsorge an“, erklärt Kretschmer.
Saarbrücken bietet ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine variable Arbeitszeitgestaltung mit Gleitzeit sowie flexiblen Arbeits- und Teilzeitmodellen, der Möglichkeit zu Homeoffice sowie Ausstieg auf Zeit (Pflegeauszeit, Sabbatjahr). „Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, hält die Stadtverwaltung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den städtischen Kitas Belegplätze vor“, ergänzt Kretschmer.
Die Stadtverwaltung Saarbrücken behält für ihre Belegschaft Kita-Plätze vor.
Hinzu kommt ein umfangreiches Betriebliches Gesundheitsmanagement mit eigener internen Ansprechpartnerin. Eine Kooperation mit in- und externen Partnern und der Stabstelle für medizinischen, technischen und sozialen Arbeitsschutz organisiert Workshops, Betriebssportsgruppe, Ernährungsseminare sowie eine betriebliche Sozialberatung. Um neben der Privatwirtschaft zu bestehen, müsse der öffentliche Dienst Frauen Aufstiegschancen, auch bei Teilzeit, Sicherheit und eine bessere Bezahlung bieten, unterstreicht Lukoschat. Außerdem sei eine gute Kommunikationskultur sowie Transparenz ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Keine gleiche Eignung in praktischen Einstellungsverfahren
Nur "(m/w)" hinter eine Stellenbeschreibung zu schreiben, ist noch lange keine geschlechtergerechte Ansprache.
"Frauen sind bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern.", so heißt es in den Gleichstellungsgesetzen. Nichtsdestotrotz sind Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert, auch im öffentlichen Sektor. Zu der „gleichen Eignung“ kommt es in der Praxis nur bedingt. Die Bewertungsmaßstäbe werden so lange differenziert, bis sich unweigerlich eine Reihung der Bewerber ergibt. Die "Ausschärfung" der Leistungsmerkmale nimmt dem Gesetz seine Wirkung. Oft werden Ausschreibungen gerade zu auf einen Bewerber zugeschnitten, kritisiert Lukoschat. „Nur '(m/w)' hinter eine Stellenbeschreibung zu schreiben, ist noch lange keine geschlechtergerechte Ansprache“, so die Diversity-Expertin. Auch bei der interkulturellen Öffnung sieht Lukoschat noch Nachholbedarf. Man müsse außerdem die Besetzung der Auswahlgremien genauer unter die Lupe nehmen. Wenn es dort schon an Frauen fehle, wirke sich dies auch auf die Ausschreibungsverfahren aus.
Öffentliche Betriebe noch stark durch alte Rollenbilder geprägt
Neben Verwaltung und Politik seinen besonders öffentliche Betriebe stärker in den Blick nehmen. Ob Schwimmbäder, Abfallwirtschaft oder Stadtwerke – die Karriereleiter unterliege hier besonders traditionellen Maßstäben, so Lukoschat. Die Studie „Frauen in Top-Managementorganen öffentlicher Unternehmen – ein deutschlandweiter Städtevergleich“ der Zeppelin-Universität ergab: nur 412 der insgesamt 2.286 untersuchten Top-Managementpositionen sind durch Frauen besetzt. Damit hat sich der Frauenanteil im Vergleich zu April 2015 zwar um zwei Prozent erhöht, liegt jedoch trotzdem bei lediglich 18 Prozent. Von April bis Mai 2018 wurden 1.529 öffentliche Unternehmen in 69 Städten untersucht.
Ost-Städte haben mehr weibliches Führungspersonal
Am besten schneiden Städte im Osten ab: in Gera, Greifswald, Gotha und Rostock ist etwa jede dritte Führungsposition mit einer Frau besetzt. Das entspricht in etwa dem Landesdurchschnitt. Im Bundesländervergleich schlossen Nordrhein-Westfalen mit einem Frauenanteil von elf Prozent, Rheinland-Pfalz mit 8,9 Prozent und Schleswig-Holstein mit 7,8 Prozent am schlechtesten ab. Die Untersuchung stellt außerdem fest, dass Frauen vor allem in schlechter bezahlten Managementposition sind. So wird eine Führungsposition im Bereich Soziales, eine Abteilung mit hoher Frauenrepräsentation mit etwa 88.000 Euro Jahresgehalt vergütet, die Stadtwerke, mit deutlich höheren Männeranteil, zahlen ihrem Top-Management hingegen bis zu 228.000 Euro im Jahr.
Job-Sharing im Bundeskanzleramt
In Frankreich ist es gesetzlich festgelegt, dass für Department-Räte, das entspricht in etwa der Position deutscher Landräte, jeweils eine Frau und ein Mann gegeneinander antreten müssen. Aktuell diskutiert der Brandenburger Landesverband der Grünen ein ähnliches Modell. Die Fraktion will ein sogenanntes Parité-Gesetz in den Landtag einbringen, welches verpflichtet, dass die Landeslisten aller Parteien gleich viele Männer und gleich viele Frauen enthalten. Das Parité-Gesetz verstoße jedoch gegen das Wahlrecht, da dieses auch die freie Nominierung umfasse.
Noch nie war eine Frau Innenministerin.
Mit gutem Beispiel voran geht nach der Ansicht von Lukoschat das Bundesfrauenministerium. Aber auch das Bundeskanzleramt sei vorbildlich: hier ist es möglich, die Referate im Job-Sharing-Modell zu leiten. Ganz anders sei das im Innenministerium: „Noch nie war eine Frau Innenministerin“, unterstreicht Lukoschat, “die Staatssekretäre sind durch die Bank weg Männer.“ Als wichtigste Maßnahmen resümiert die Diversity-Expertin drei Aspekte zur Gleichstellung: Nachhaltiges Arbeiten, kultureller Wandel und die Priorisierung von Frauenförderung.