Die "Cloudifizierung" der digitalen Verwaltung
Interview mit Johannes Rosenboom und mit Robert Knapp von Materna Information & Communications SE
Einordnung
Als Materna-Gruppe realisiert das Unternehmen nachhaltige IT- und Digitalisierungsprojekte für die Zieplgruppe öffentliche Verwaltung, Industrie und Mittelstand. Weltweit beschäftigt Materna mittlerweile über 4.400 Mitarbeitende. In Deutschland liegt ein großer Schwerpunkt auf Projekten im öffentlichen Sektor.
Verwaltung der Zukunft: Wie differenzieren Sie sich auf dem Markt von Ihren Mitbewerbern? Was sind Ihre Alleinstellungsmerkmale (USPs)?
Wir sind einer der größten IT-Dienstleister in der Bundes- und Landesverwaltung sowie in Bereichen wie Innere und Äußere Sicherheit, öffentliche Verkehrssteuerung und Finanz- und Justizverwaltung.
Johannes Rosenboom: Wir kombinieren Beratungs- und Konzeptions-Know-how mit technischer Implementierungsstärke und haben jahrzehntelange Erfahrung in der Verwaltungsdigitalisierung. Bei uns arbeiten über 1.200 spezialisierte Mitarbeitende und wir haben Hunderte Digitalisierungsprojekte erfolgreich umgesetzt. Unsere Kunden bekommen praxistaugliche IT- und Digitalisierungslösungen, die echten Mehrwert bringen, besonders in komplexen und unternehmenskritischen Projekten. Unsere Expertise liegt darin, konkrete und tragfähige Lösungen zu realisieren, unterstützt durch neueste Technologien wie Fachverfahrensentwicklung, Souveräne Cloud, Datenökonomie und Generative KI. Wir sind somit einer der größten IT-Dienstleister in der Bundes- und Landesverwaltung sowie in Bereichen wie Innere und Äußere Sicherheit, öffentliche Verkehrssteuerung und Finanz- und Justizverwaltung.
VdZ: Können Sie unseren Leser*innen von erfolgreichen Projekten und Best Practices berichten?
JR: Ich kann Ihnen gerne drei Beispiele nennen:
- Ein spannendes Projekt ist Mobidrom. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW hat die NRW.Mobidrom GmbH gegründet, um die Digitalisierung im Verkehrssektor zu beschleunigen. Gemeinsam mit Materna entwickelt Mobidrom seit Anfang 2024 eine cloudbasierte Mobilitätsdatenplattform. Diese Plattform nimmt Mobilitätsdaten entgegen, vereinheitlicht sie und stellt sie gebündelt bereit. Sie basiert auf einer modernen, serviceorientierten Systemarchitektur mit Open-Source-Komponenten wie Kubernetes und wird in einer Cloud-Umgebung von IONOS in Deutschland betrieben. Die Plattform bietet integrierte Schnittstellen und ist erweiterbar, um zukünftige APIs zu unterstützen. Ab 2025 soll sie für alle Akteure in NRW einsatzbereit sein.
- Zudem sind wir Konsortialpartner des SmartLivingNEXT Leitprojekts, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Ziel dieses Projekts ist der Aufbau eines universellen, KI-basierten Ökosystems für Smart Living-Dienste. Ein Schwerpunkt liegt auf dem sicheren und einfachen Datenaustausch. Wir arbeiten im Rahmen des Use Case „Energieeffizienz“ an digitalen Anwendungen zur Verbesserung der Energieeffizienz. Dazu gehört die Entwicklung eines Energieeffizienzdatenportals, das als nationaler Zugangspunkt für energierelevante Daten dient. Materna entwickelt hierfür die technologischen Grundlagen, einschließlich einer souveränen Kubernetes Cloud-Infrastruktur, die für die Integration und Interoperabilität der verschiedenen Datenquellen und Anwendungen notwendig ist.
- Das Projekt FreiburgRESIST durften wir beim diesjährigen Digital Gipfel vorstellen. Hier entwickeln wir ein Resilienz-Management-System, um die öffentliche Sicherheit bei Großveranstaltungen in Freiburg zu verbessern. Dieses System unterstützt Sicherheitsbehörden wie Polizei und Feuerwehr bei der Planung, Bewältigung und Nachbereitung von Krisensituationen. Eine zentrale Komponente des Projekts ist eine cloudbasierte Plattform, die eine umfassende, webbasierte Lösung bietet und es ermöglicht, die aktuelle Lage zu überwachen und auf Basis zuvor definierter Szenarien Handlungsempfehlungen zu erhalten. Die Plattform basiert auf einer modernen, serviceorientierten Systemarchitektur und nutzt Open-Source-Komponenten wie Kubernetes. Sie wird in einer sicheren Cloud-Umgebung von IONOS betrieben, um Datensicherheit, Performance und Verfügbarkeit zu gewährleisten. Wir sind der Hauptumsetzungspartner und verantwortlich für die Koordination, Entwicklung und Integration der Daten-Infrastruktur, GIS-Komponenten sowie Partnersysteme.
VdZ: Warum sind Sie Partner der Cloud-Studie?
Robert Knapp: Die Studienergebnisse und ihre Einordnung haben uns sehr gut gezeigt, dass es noch viel Aufklärungsbedarf hinsichtlich des Cloud-Themas gibt. Wir möchten daran mitarbeiten, bestehende Vorbehalte zu entkräften und das Potenzial der Cloud-Nutzung im öffentlichen Sektor weiter hervorzuheben. Als Teil dieser Studie möchten wir einen fundierten Leitfaden mitgeben und klare Handlungsoptionen für den Einsatz von Cloud-Technologien aufzeigen.
VdZ: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich Einfluss, Wirkungsgrad und Veränderung an eine Studie dieser Art?
JR: Idealerweise hat diese Studie einen Impact darauf, dass mehr Bewegung in die Akzeptanz sowie in die Transformationsgeschwindigkeit bezüglich Cloud-Umsetzungen kommt. Insgesamt schaffen Studien, die eine empirische Relevanz haben, immer einen wichtigen Beitrag zu laufenden Diskussionen. Gerade bei komplexen Themen, wie das der Cloud – die viele Interdependenzen nach sich ziehen – sind gut aufbereitete und aktuelle Studiendaten ein wertvoller Impuls zur weiteren Entscheidungs- und Strategiefindung.
VdZ: Welche Erkenntnisse aus der Studie haben Sie – positiv/negativ – überrascht?
RK: Die Tiefe und Detaillierung der Studie hat uns positiv überrascht. Wir waren sehr davon angetan, dass das Konzept der Deutschen Verwaltungscloud ein hohes Vertrauen genießt. Das Vorhaben trifft offensichtlich den Bedarf.
Die geringe Beteiligung aus den Bundesbehörden und den öffentlichen IT-Dienstleistern ist uns leider negativ aufgefallen. Sie sollten eigentlich die Hauptträger der Cloud-Angebote für die öffentliche Verwaltung sein. Die geringe Anzahl dieser Rückmeldungen verzerrt gegebenenfalls die Ergebnisse bzw. macht die Studie nur bedingt für einen ganzheitlichen “Cloud”-Blick über alle Gebietskörperschaften aussagekräftig.
VdZ: Welche Bedeutung kommt der Cloud für die Verwaltungsdigitalisierung zu?
JR: Die Cloudszenarien (egal in welcher Form) mit ihren eindeutigen Skalierungs-, Performance-, Kosten- und Betriebsvorteilen sind für die flächendeckende Digitalisierung der Verwaltung enorm wichtig. Technologische Innovationen wie zum Beispiel die Generative KI, die auch Einzug in die öffentliche Verwaltung halten, sind ohne Cloud auf Dauer nicht sinnvoll umsetzbar.
Aber auch der Kernbereich der staatlichen Verwaltung – die vielfältigen Fachverfahren, über die die Verwaltung ihre Aufgaben abwickelt – sind nur “cloudifiziert” zukunftsfähig. In den Fachbereichen schlummert eine Fülle an Fachverfahren, die modernisiert und in die Cloud transferiert werden müssen. Wir müssen die Cloud als Ort betrachten, aber auch als Technologie, die ortsunabhängig ist. Auch in den größeren Rechenzentren der Verwaltung lässt sich eine Cloud einrichten. Noch sind viele Applikationen in der Verwaltung nicht wirklich cloud-ready. Wir als Materna helfen dabei, den Reifegrad zu erhöhen und den Workload für die Cloud zu optimieren, vorzubereiten und abzusichern.
Wir müssen die Cloud als Ort betrachten, aber auch als Technologie, die ortsunabhängig ist.
VdZ: Wie schätzen Sie die Durchdringung der Digitalisierung in der Verwaltung ein?
JR: Die diversen nationalen und internationalen Studien zum Stand der Dinge im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland sind hinlänglich bekannt - siehe beispielsweise den eGovernment Monitor 2024 von der Initiative D21. Genauso wie die bescheidenen Evaluierungsergebnisse der OZG-Umsetzung und des damit verbundenen EfA-/Nachnutzungskonzepts oder die Einschätzung des Bundesrechnungshofes zur Betriebs- und Dienstekonsolidierung. Ohne Zweifel hat die Legislative und Exekutive in nahezu allen Bereichen noch einiges aufzuholen, will sie die öffentliche Verwaltung ertüchtigen, Ende-zu-Ende durchgängig digitalisierte Services sowohl für Unternehmen, Bürgerinnen und letztendlich auch für sich selbst anzubieten. Aber, es gibt auch erfolgreiche Ansätze und Projekte! Einige sind bereits genannt worden: vernetzte Verbund-Lösungen, die aufgrund von Datenmodellen übergreifende digitale Mehrwerte und Wertschöpfungen ermöglichen.
VdZ: Wie sehen Sie mögliche Kooperationen mit Hyperscalern?
RK: Momentan stehen die Zeichen in der öffentlichen Verwaltung gut für eine Kooperation mit den Hyperscalern, gleichwohl sollten die deutschen Anbieter gestärkt werden. Es wird sich zeigen, wie sich der Cloud-Anbieter-Markt – auch nach der US-Wahl – entwickelt und welche Anbieter verstärkt auch unter den politischen Vorgaben nach mehr deutscher und europäischer digitaler Souveränität und Sicherheit in Betracht gezogen werden. Wir begrüßen den Multicloud-Ansatz und bilden dies auch in unserem Portfolio und bei unserer Leistungsfähigkeit ab. Wir arbeiten bereits heute eng sowohl mit internationalen Cloud-Anbietern wie beispielsweise MS Azure oder AWS als auch mit nationalen Hyperscalern wie StackIT oder IONOS zusammen.
VdZ: Welche Rolle spielt Open-Source-Software?
RK: Zu den zentralen Architekturvorgaben der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie gehört der Open-Source-Ansatz mit Kubernetes und Containerisierung. Alle technischen Komponenten einer souveränen Cloud gruppieren sich rund um Kubernetes, das Orchestrierungswerkzeug für Container und quasi das Betriebssystem der Cloud; damit werden Abhängigkeiten vermieden und der Multicloud-Ansatz erst möglich.
VdZ: Was bringt der Blick in die Zukunft? Wie sehen Ihre Pläne aus?
JR: Die Cloud-Technologie wird in der öffentlichen Verwaltung zunehmend wichtiger. Zukünftig werden souveräne Cloud-Umgebungen entwickelt, die Datenschutz und digitale Souveränität gewährleisten. Multicloud-Strategien erhöhen Flexibilität und Skalierbarkeit. Cloud-Services tragen zur Modernisierung, Kostenreduktion und besseren Auslastung der Infrastruktur bei und spielen eine zentrale Rolle in der digitalen Transformation der Verwaltung.
Die Herausforderungen für Deutschland werden dabei allerdings in Zeiten von Kriegen, Krisen, knapper werdenden finanziellen Spielräumen und der politischen Disruption in den USA immens. Deutschland und Europa müssen in allen Belangen souveräner und resilienter werden. Gerade mit Blick auf die protektionistischen und zum Teil “destruktiven” Politiktendenzen in den USA, als größtem Außenhandelspartner und globalen IT-Players – mit einem hohen „Erpressungspotenzial“, insbesondere durch die dominierenden US-amerikanischen Public Cloud-Angebote – bedarf es künftig deutlich mehr Anstrengungen. Vor allem im Bereich der Digitalisierung ist es dringend notwendig, sich in den zukunftsentscheidenden Feldern souveräner und robuster aufzustellen: von Cloud-Services und Cyber Security, über KI und Plattformen bis hin zur Daten- und Prozesshoheit. Dies gilt insbesondere bei der ohnehin schon rückständigen Digitalisierung der staatlichen Verwaltung. Das Heben der (souveränen) digitalen Rendite muss noch entschlossener vorangetrieben werden. Die gute Botschaft lautet: Lösungen „Made in Germany“ gibt es dafür.
Materna verfolgt das Ziel, eine sichere und nachhaltige digitale Welt zu schaffen, indem wir kontinuierlich Innovationen und neue Technologien an die Bedürfnisse unserer Kunden anpassen. Wir sind Bindeglied zwischen Technologie und den spezifischen Herausforderungen der Verwaltung. Vor allem im Bereich Cloud möchten wir die steigende Nachfrage nach IT-Lösungen „Made in Germany“ nutzen, um digitale Souveränität und die notwendige Sicherheit zu fördern. Dabei arbeiten wir eng mit unseren Kunden und Partnern (im Cloud-Bereich z. B. der StackIT, IONOS, Delos) zusammen, um konkrete Anwendungsszenarien für die öffentliche Verwaltung zu entwickeln und umzusetzen.
VdZ: Herr Rosenboom, Herr Knapp, vielen Dank für das angenehme Gespräch.
Die Ergebnisse der neuen Wegweiser-Studie Im Spannungsfeld zwischen Innovation und Souveränität: Cloud und die digitale Zukunft der Verwaltung - Markt, Entwicklungsperspektiven und Entscheidungsstrukturen wurden erstmalig im vollem Umfang auf dem ZuKo Cloud-Spezial am 11.09.2024 vorgestellt und zeigen wegweisende Erkenntnisse für die IT-Strategie des Bundes, der Länder sowie der Kommunen und wie sich der Markt für die Bedarfsträger aufstellen sollte.
Die Studie können Sie hier kostenfrei bestellen: