Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung
Wie kann die Transformation zur modernsten Gesundheitskasse Europas gelingen?
Verwaltung der Zukunft: Könnten Sie zu Beginn kurz darlegen, wie es zur Etablierung der ÖGK kam? Was waren dabei die wichtigsten Schritte?
Bernhard Wurzer: Es war ein Mammutprojekt! Immerhin war es eine der größten Fusionen in der österreichischen Geschichte. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Unser Ziel war es, allen Versicherten vom Bodensee bis zum Neusiedler See die gleichen Leistungen zu bieten. Dafür mussten wir aus neun Länderkassen mit unterschiedlichen Regelungen, Leistungskatalogen und eigenen Verwaltungskörpern ein großes Ganzes schaffen. So können wir nun Synergien in der Verwaltung nutzen und die Versorgungsstrukturen optimieren.
Heute sind wir die größte soziale Krankenversicherung Österreichs und eine der drei größten Krankenkassen Europas.
Der wichtigste Schritt dabei war, die IT-Infrastruktur und die stufenweise Harmonisierung der Leistungen umzustellen und zu vereinheitlichen. Bis zum 1. Jänner 2020 – der Geburtsstunde der ÖGK – ist uns das reibungslos gelungen. Noch im selben Jahr wurden wir mit der Corona-Pandemie vor eine Zerreißprobe gestellt. Doch wir haben bewiesen, dass eine Gesundheitskasse weit besser reagieren kann als neun einzelne Krankenkassen. Heute sind wir die größte soziale Krankenversicherung Österreichs und eine der drei größten Krankenkassen Europas.
VdZ: Was genau bedeutet es für die ÖGK, die „modernste Gesundheitskasse Europas“ zu werden? Welche konkreten Ziele und Meilensteine haben Sie dabei definiert?
Wurzer: Wir machen die ÖGK fit für die Herausforderungen von morgen. Dazu nutzen wir das Potenzial der Digitalisierung und treiben die Modernisierung und den Ausbau unserer Gesundheitsversorgung zügig voran. Mit der App „Meine ÖGK“ haben unsere Versicherten die ÖGK immer und überall mit dabei. Viele unserer wichtigsten Leistungen sind über das Smartphone abrufbar. So lässt sich zum Beispiel eine Wahlarztrechnung einfach und unterwegs einreichen oder ein Impftermin in unseren Gesundheitszentren buchen.
Das App-Angebot wird gut angenommen und laufend nach dem Motto „digital vor ambulant vor stationär“ ausgebaut. Das berücksichtigen wir auch bei der Gesundheitsberatung unter der Rufnummer 1450. Rund um die Uhr erhält man digital und telefonisch eine erste Auskunft. Aber auch der Ausbau der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) war ein Meilenstein für uns. Durch ELGA können wir unsere Gesundheitsstrategie mit anonymisierten Patientendaten effizienter weiterentwickeln.
Eines unserer aktuellsten Pilotprojekte in der Verwaltung ist die Prozessautomatisierung im Versicherungsservice. Ein Software-Roboter prüft täglich über 1.200 Protokolle und versendet sie an die zuständigen Gruppen. Derzeit wird seine Arbeit noch überprüft, aber wir haben eine klare Vision: Je weniger Zeit Mitarbeitende für Administratives aufwenden, desto mehr Zeit haben sie für unsere Versicherten.
Wir haben eine klare Vision: Je weniger Zeit Mitarbeitende für Administratives aufwenden, desto mehr Zeit haben sie für unsere Versicherten.
VdZ: Wie wurde sichergestellt, dass die Versicherten nach der Fusion weiterhin alle ihre Leistungen gleich erhalten konnten? Gab es Veränderungen im Leistungsangebot?
Wurzer: Wir sind jetzt eine Solidargemeinschaft von 7,6 Millionen Versicherten. Das ist ein großer Vorteil! Vor der Fusion konnten beispielsweise nicht alle Bundesländer Ergotherapie auf Kassenkosten anbieten. Als österreichweite Gesundheitskasse ist uns das aber gelungen.
Heute können alle ÖGK-Versicherten, egal ob in Vorarlberg oder im Burgenland, eine Ergotherapie bei unseren Vertragspartnern in Anspruch nehmen. Das gilt übrigens auch für die Bereiche Physiotherapie, Logopädie und die Hebammenversorgung. Wir wollten ein einheitliches Leistungsangebot aus den besten Elementen schaffen. Das ist uns gelungen.
VdZ: Inwiefern kann sich die ÖGK in Bezug auf Effizienz und Servicequalität mit privaten Krankenversicherungen messen?
Wurzer: Wir stellen die optimale medizinische Versorgung von 7,6 Millionen Versicherten in Österreich sicher. Bei uns zählt der Mensch. Wir begleiten ihn in allen Lebenssituationen, von der Geburt bis ins hohe Alter. Das ist ganz ohne Risikoauslese möglich, weil die ÖGK nicht gewinnorientiert ist.
Lediglich zwei Prozent der Versicherungsbeiträge fließen in die Verwaltung, die übrigen 98 Prozent setzen wir für Gesundheitsleistungen ein.
Selbstverständlich gehen wir trotzdem sorgsam mit unserem Budget um. Lediglich zwei Prozent der Versicherungsbeiträge fließen in die Verwaltung, die übrigen 98 Prozent setzen wir für Gesundheitsleistungen ein. Damit sind nicht nur Spitals- oder Arztkosten gemeint. Wir holen die Menschen ab, bevor sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. Mit breitgefächerten Vorsorgeleistungen unterstützen wir gesundes Altern.
VdZ: Digitalisierung bringt auch Herausforderungen mit sich, wie etwa Datenschutz und Cybersicherheit. Wie stellt die ÖGK sicher, dass die sensiblen Daten der Versicherten ausreichend geschützt sind?
Wurzer: In Zeiten zunehmender Cyberkriminalität sind wir uns der Herausforderungen bewusst. Zwei Bereiche sind dabei für uns besonders relevant: Der erste ist die Aufklärung unserer Versicherten über die Gefahren von Falschmeldungen. Erst im Sommer waren Phishing-Mails zu angeblichen Rückerstattungen und doppelt bezahlten Rechnungen im Umlauf. In solchen Fällen senden wir umgehend Betrugswarnungen aus.
Der zweite Bereich ist der Schutz der sensiblen Daten unserer Versicherten. Dafür haben wir klare Richtlinien eingeführt, die den Umgang mit personenbezogenen Daten regeln. Moderne Sicherheitsmaßnahmen wie Verschlüsselungstechnologien, Firewalls und sichere Server verhindern unbefugten Zugriff auf unsere Daten. Für all diese Maßnahmen braucht es vor allem ein Bewusstsein unserer Mitarbeitenden. Das stellen wir durch regelmäßige Schulungen sicher.
VdZ: Wie schätzen Sie das Gesundheitssystem in Deutschland ein und wo sehen Sie das dringenste Verbesserungspotenzial?
Wurzer: Im internationalen Vergleich haben Deutschland und Österreich ausgezeichnete Gesundheitssysteme. Aber kein System ist perfekt und muss flexibel auf Herausforderungen, wie den Fachärztemangel, reagieren. Ich bin aber zuversichtlich, dass unsere beiden Länder weiterhin die notwendigen Maßnahmen für eine optimale medizinische Versorgung setzen. Luft nach oben gibt es immer. Wir werden aber bestimmt führend im internationalen Vergleich bleiben.
VdZ: Wie sehen Sie die Zukunft der Gesundheitskassen im Allgemeinen? Werden sie in den kommenden Jahren noch stärker auf digitale und datenbasierte Lösungen setzen, und wie wird sich das auf die Beziehung zu den Versicherten auswirken?
Wurzer: Wir fokussieren uns schon jetzt darauf, unseren Versicherten schnelleren Zugriff auf Informationen und Dienstleistungen zu ermöglichen. Das gelingt uns durch digitale Lösungen, wie Online-Portale, mobile Apps oder Online-Coachings. So sind Gesundheitsdaten, Terminbuchungen und Leistungsanfragen viel leichter zugänglich.
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz können wir außerdem auf die individuellen Bedürfnisse der Versicherten eingehen. Ist etwa ein Brustkrebsscreening oder ein Besuch beim Urologen ausständig, wird man durch automatisierte Benachrichtigungen daran erinnert. Das erhöht die Eigenverantwortung und ermutigt die Versicherten dazu, aktiver an ihrer Gesundheit zu arbeiten. So bleibt die ÖGK weiterhin der verlässlichste Partner für die Gesundheit der Menschen in Österreich und gestaltet die Zukunft des Gesundheitswesens.
📅 Mag. Bernhard Wurzer auf dem 3. ZuKo Sozialversicherungen
27. November 13:55 - 14:15: Lightning Talk 1
Die ÖGK: Von einer reaktiven Krankenkasse zur modernsten Gesundheitskasse Europas
3. ZuKo Sozialversicherungen - Soziale Sicherheit im digitalen Wandel
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27. November
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Kongresscenter im Hotel de Rome
Als Satellit des Zukunftskongresses Staat & Verwaltung findet am 27. November 2024 das 3. ZuKo Sozialversicherungen unter dem Leitmotiv Soziale Sicherheit im digitalen Wandel im Berliner Hotel de Rome statt. Es dient als Ort, die Zukunft des deutschen Sozialversicherungssystems mit seinen fünf Säulen im Lichte des demografischen Wandels, der Digitalisierung, der steigenden Leistungsausgaben bei vergleichsweiser geringer Lebenserwartung sowie der Fachpersonalgewinnung zu adressieren und neue Denk- und Herangehensweisen zu fördern.