Geld
© pixabay.com / moerschy

Seid verschlungen, Milliarden.

Kritischer Blick auf die öffentliche Beschaffung in Deutschland

Liest man aktuelle Ausschreibungen der öffentlichen Hand aus Deutschland, so verwundert den wirtschaftlich gebildeten Leser, wie die öffentliche Hand bei Beschaffungen agiert: Völlig unwirtschaftlich.

So schrieb das Polizeipräsidium Bielefeld jüngst die Beschaffung von 180.000 Litern Diesel und 36.000 Litern Super Plus zur Belieferung einer behördeneigenen Tankstelle für ein Jahr europaweit aus. Einer behördeneigenen Tankstelle. Wohlgemerkt: Eine normale, dem Wettbewerb ausgesetzte freie Tankstelle verkauft pro Jahr durchschnittlich 3,7 Mio. Liter – also das 17-fache. Die Bielefelder Polizei garantiert dem Bieter nicht einmal die Abnahme der ausgeschriebenen Menge. Somit trägt er das volle Abnahmerisiko. Dass hier keine wettbewerbsfähigen Preise angeboten werden können, sondern vermutlich ein Preis mit hohem Sicherheitsaufschlag, ist offensichtlich.

Die öffentliche Beschaffung handelt unwirtschaftlich: Ob bei der Betankung von Dienstfahrzeugen oder der Lieferung von Diesel an eine Tankstelle.
© pixabay / ResoneTIC

Die Polizei NRW verfügt über wenigstens 2.200 Streifenwagen, hat aber wohl bis zu 10.000 Fahrzeuge im Fuhrpark. Dass der Gesamtbedarf an Diesel und Super Plus bei Bündelung wohl erheblich größer wäre, ist evident. Abgesehen davon gibt es für die Betankung von Dienstfahrzeugen intelligentere Lösungen wie z. B. Tankkarten, bei denen direkt zwischen der Tankstelle und der öffentlichen Hand elektronisch verrechnet wird. Solche Karten sind in den USA seit dem Federal Acquisition Streamlining Act of 1994 gebräuchlich, so u.a. im Bundesstaat Georgia oder beim gesamten US-Militär. Aber auch in anderen deutschen Bundesländern, so schrieb das Land BW für seine Polizei Tankkarten mit einem Volumen von 16,8 Mio. Liter Diesel Mindestabnahmemenge aus und nutzte so seine Marktmacht.

Noch unwirtschaftlicher agierte die Deutsche Rentenversicherung für ihre Dienstgebäude in Berlin, Gera, Stralsund und Würzburg. Sie schrieb deren Heizölbedarf in Lose aufgeteilt aus, wobei das kleinste Los 500 Liter pro Jahr auf vier Jahre umfasst, also 2.000 Liter Heizöl. So viel verbraucht ein Einfamilienhaus – ohne EU-weite Ausschreibung. Dass es hierfür dann keine Angebote von Bietern gab, verwundert angesichts des administrativen Aufwands nicht.

Auch das Landratsamt Neu-Ulm in Bayern beschafft unwirtschaftlich: So wurden 37 Notebooks ausgeschrieben und auch zugeschlagen. Ohne dem erfolgreichen Bieter nahetreten zu wollen, ist offensichtlich, dass bei auch nur landesweitem Rahmenvertrag ein erheblich besserer Preis zu erzielen gewesen wäre.

Die zentralen, bis heute ungelösten Probleme der öffentlichen Beschaffung in Deutschland

Die öffentliche Beschaffung in Deutschland ist gegenwärtig gekennzeichnet durch

1. Eine in kleine und kleinste Lose aufgesplitterte Beschaffung, die

  • so wesentliche Preiseffekte durch Bündelung der Bedarfe vergibt
  • hohe Prozesskosten verursacht, da viele Stellen für sich Ausschreibungen machen, ohne klassische Lern- und Mengeneffekte zu erzielen
  • Verfahren bei Vergabekammern generieren, da die schiere Masse ausschreibender Stellen mehr Fehler produzieren muss als eine professionell agierende zentrale Beschaffungsagentur der öffentlichen Hand

2. Das Fehlen einer zentralen, Bundes- oder Landes- Beschaffungsagentur: Diese ist möglich, so enthält die aktuelle EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU die Wortfolge „zentrale Beschaffungsstelle“ insgesamt 23 Mal. Bereits in Richtlinie 2004/18/EG war eine solche ermöglicht (vgl. Art 11). Der Erwägungsgrund 69 in 2014/24/EU ist hier von besonderem Interesse, er lautet: „In den meisten Mitgliedstaaten kommen zunehmend zentralisierte Vergabeverfahren zum Einsatz. Zentrale Beschaffungsstellen haben die Aufgabe, entgeltlich oder unentgeltlich für andere öffentliche Auftraggeber Ankäufe zu tätigen, dynamische Beschaffungssysteme zu verwalten oder öffentliche Aufträge zu vergeben beziehungsweise Rahmenvereinbarungen zu schließen. [..]In Anbetracht der großen Mengen, die beschafft werden, können diese Verfahren zur Verbesserung des Wettbewerbs beitragen und sollten dazu beitragen, das öffentliche Auftragswesen zu professionalisieren“.

Infografik der Mitglieder der GDEKK in der EKK plus im Überblick
© gdekk.de

Es gibt auch in Deutschland (wenige) Beispiele für erfolgreich tätige zentrale Beschaffungsstellen unter dem geltenden Vergaberecht. So bündelt die GDEKK seit über 20 Jahren als zentrale Beschaffung für 65 Mitglieder mit über 150 zumeist kommunalen Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen mit insgesamt ca. 65.000 Betten deren Bedarf und hat 650 Rahmenvertragspartner, 1,2 Mio. Artikel und einen Umsatz (Beschaffungsvolumen) von 1,2 Mrd. Euro im Jahr.

3. Einen so entstehenden Schaden (zu hohe Einkaufspreise plus entgangene Prozesskostenersparnis), der von den Autoren auf Basis der Erfahrungen aus dem vergleichbaren Österreich konservativ auf eine Größenordnung von ca. 50 Mrd. Euro jährlich geschätzt wird.

Die österreichische Lösung seit 2001: Die Bundesbeschaffung GmbH (BBG)

Eine wesentliche Voraussetzung für eine zentralisierte und effektive Beschaffung ist das Vorhandensein einer Finanzbuchhaltung und zumindest elementaren Materialwirtschaft. Kennt z. B. die NRW-Polizei ihren eigenen Dieselbedarf nicht oder nur auf Basis von Schätzungen, die auf an Polizeipräsidien per E-Mail verschickten Excel-Dateien basieren, so kann sie nicht wirtschaftlich einkaufen, da für das Ausverhandeln zentraler Rahmenverträge zumindest ein grobes von-bis-Mengengerüst bekannt sein muss.

Die Webseite der Bundesbeschaffung in Österreich.
© bbg.gv.at

Darum wurde 1998 in Österreich die Haushaltsverrechnung des Bundes auf Basis SAP R/3 eingeführt. Diese wurde in weiterer Folge um eine grundlegende Materialwirtschaft erweitert, die dann laufend ausgebaut wurde – bis hin zur verpflichtenden Doppik und Kostenrechnung (Bundeshaushaltsgesetz 2013).

2001 wurde dann die BBG mit eigenem Gesetz gegründet. Bundesdienststellen sind verpflichtet, über die als Agentur konzipierte BBG zu beschaffen, andere öffentliche Stellen, wie Länder und Gemeinden sind dazu berechtigt. Der Bundesfinanzminister ist ermächtigt, per Verordnung festzulegen, welche Güter und Dienstleistungen verpflichtend über die BBG zu beschaffen sind. Die BBG erhielt 2009 den e-Government Award der Europäischen Kommission.

Per 2023 ist die BBG gekennzeichnet durch

  • 2,9 Mrd. Euro Vergabevolumen, dabei reine Preisersparnis 543 Mio. Euro pro Jahr ggü. Einzelbeschaffung (18 %)
  • Hohe Prozesskostenersparnis durch einen e-Shop, der aus rechtskräftig zugeschlagenen Rahmenverträgen gespeist wird
  • Rechtssicherheit durch hochprofessionelle Beschaffung
  • 42 % Anteil Bund und Bundesdienststellen (verpflichtet) und 58 % Länder, Gemeinden, öffentlicher Gesundheitssektor (freiwillig)

Die Finanzierung erfolgt durch eine Service Charge der Dienststelle (zweistelliger Eurobetrag pro Nutzer pro Jahr) sowie eine Verwaltungscharge von bis zu 3 % vom Lieferanten.

Rechtliche Gründe für das in Deutschland praktizierte Beschaffungswesen

Auch in Deutschland könnten die Auftraggeber von einer Zentralisierung der Beschaffungsstellen profitieren. Ein Manko bliebe dennoch: Aufgrund des für den Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts geltenden § 97 Abs. 4 GWB sind alle deutschen Auftraggeber verpflichtet, Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Der deutsche Bundesgesetzgeber hat – anders als die meisten EU-Mitgliedsstaaten – mit dieser Regelung die in Erwägungsgrund 78 der EU-Vergaberichtlinie eröffnete Möglichkeit genutzt, die losweise Vergabe verpflichtend auszugestalten und darüber hinaus sogar durch Vergabekammern und
-senate überprüfen zu lassen. Die grundsätzliche Pflicht zur losweisen Vergabe gilt darüber hinaus auch im Anwendungsbereich der VOB/A und der UVgO, also der im sog. Haushaltsvergaberecht zumeist anzuwendenden Vergabeordnungen.

Die klein- und mittelständischen Unternehmen gelten als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Doch ist fraglich, ob sie den Anforderungen in den Ausschreibungen in den meisten Fällen auch gerecht werden können.
© pixabay / geralt

Von der Verpflichtung zur losweisen Aufteilung eines Auftrags dürfen Auftraggeber nur dann absehen, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dagegensprechen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung beispielsweise der Fall, wenn unverhältnismäßige Kostennachteile, starke Verzögerungen des Vorhabens, ein unverhältnismäßig hoher Koordinierungsaufwand oder eine unwirtschaftliche Zersplitterung drohen; der Auftraggeber muss das Unterlassen einer losweisen Vergabe begründen und befürchten, dass seine Entscheidung angegriffen wird – was wiederum zu Verzögerungen bei der Beschaffung führt.

Dieser in der Vergabepraxis auf Auftraggeberseite zu Rechtsunsicherheit und ganz erheblichem Mehraufwand führende Ansatz soll den Interessen der klein- und mittelständischen Unternehmen, der sog. KMU, dienen. Als KMU gelten laut Definition der Europäischen Union Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen. Die KMU gelten zwar gemeinhin als Rückgrat der deutschen Wirtschaft: 99 % aller Unternehmen sind KMU, sie stellen etwa 55 % aller Arbeitsplätze und erwirtschaften etwa ein Drittel aller Umsätze. Es darf allerdings schon hinterfragt werden, ob die Mehrkosten und -aufwände der öffentlichen Hand eine solche Subvention der KMU rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als die Leistungen vieler Aufträge, die oberhalb (und wohl aller Aufträge, die unterhalb) der Schwellenwerte ausgeschrieben werden, auch ungeteilt von KMU erfüllt werden könnten.

Ein Schlusswort zu den eForms

Die Neuerungen der eForms auf einen Blick
Nun also in eForm(s)
Digitaler Einkauf

Nun also in eForm(s)

Was sich für die öffentliche Beschaffung verändert hat

Die jüngst eingeführten und als entscheidende Innovation bezeichneten eForms lösen dieses grundlegende Problem der Beschaffung nicht. Sie bieten lediglich eine medienbruchfreie Eingabe der Daten einer Ausschreibung im Oberschwellenbereich in das Tenders Electronic Daily (TED-) System, also eForms statt PDF-Datei. An der Tatsache, dass nicht gebündelt wird und dass damit die Vorteile zentraler Beschaffung in Bezug auf Preis und Rechtssicherheit nicht genutzt werden, ändert dies nichts.

So lobenswert der Übergang zu einer medienbruchfreien IT-Abwicklung auch sein mag, es zeigt sich hier leider wiederum ein grundlegendes Missverständnis, was Digitalisierung ist. Diese ist nicht bloß die Ablöse einer Technologie durch eine andere bei gleichbleibendem Prozess, also etwa „vom Fax zum PDF per eMail zum eForm“. Digitalisierung ist die Nutzung der Digitaltechnik für ein komplettes Redesign des Prozesses oder gar des gesamten Geschäfts-(Verwaltungs-)modells, um Potentiale zu nutzen, die ohne Digitaltechnik nicht nutzbar wären.

Fazit

Deutschland als führende Industrienation beschafft jährlich für die öffentliche Hand Waren und Dienstleistungen im Volumen von bis zu einer halben Billion Euro. Diese Beschaffung erfolgt kleinstteilig, ohne die Potenziale einer Bündelung von Bedarfen im Hinblick auf billigere Einkaufspreise, aber auch auf Prozesskostensenkungen zu realisieren. Mittels einfachgesetzlicher Änderungen innerhalb Deutschlands – denn die EU-Vergaberichtlinie erlaubt zentrale Beschaffungsagenturen – wären hier leicht ca. 50 Mrd. Euro Ersparnis pro Jahr realisierbar. Die Vorbilder hierfür existieren in Europa teilweise bereits seit Jahrzehnten, wie z. B. die OECD zu Central Purchasing Bodies zeigt.