BKWD Umfragen
© Simone M. Neumann

Deutsche Sicherheitspolitik im Wandel: Ein Stimmungsbarometer

Dr. Zink im Interview zu Meinungsumfragen und ihrer Wirkung

Dr. Wolfgang Zink moderierte den Best-Practice-Dialog zum Thema „Umfragen zwischen Meinungsmache, Tabus und Pulsmesser“ beim 6. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie. Dort stellte er eine aktuelle PwC-Umfrage zum Sicherheitsempfinden der Bevölkerung vor. In unserem Interview erläutert er die Ergebnisse und gibt Einblicke in die sich wandelnde Haltung der deutschen Bevölkerung zu sicherheitspolitischen Fragen.

Verwaltung der Zukunft: Herr Dr. Zink, Sie moderierten den Best-Practice-Dialog zum Thema “Umfragen zwischen Meinungsmache, Tabus und Pulsmesser”.  Dabei stellten Sie auch eine aktuelle Umfrage zum Stimmungsbild der Bevölkerung hinsichtlich sicherheitspolitischer Fragen vor. Können Sie diese Befragung hier kurz vorstellen?

Dr. Wolfgang Zink: Der Impuls beim Kongress basierte auf einer Bevölkerungsbefragung im Mai 2024, die Teil einer Reihe ähnlicher Erhebungen ist, die im April 2022 und im Januar 2024 stattfanden. Thema war das Meinungsbild der deutschen Bevölkerung zur aktuellen Bedrohungslage. Alle Umfragen wurden repräsentativ durchgeführt, basierend auf demografischen Merkmalen wie Region, Alter, Geschlecht und Bildungsstand, um ein ausgewogenes Bild zu erhalten. Die erste Erhebung 2022 erfolgte unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine. Anfang 2024 wurde die Umfrage erneut durchgeführt, um Veränderungen in der Wahrnehmung der Bedrohungslage festzustellen, rechtzeitig zur Münchner Sicherheitskonferenz. Im Mai 2024 wurde die Umfrage nochmals aktualisiert, um neue Entwicklungen zu berücksichtigen, wie z.B. die Diskussion über die Lieferung des Taurus-Waffensystems und die Unterstützung der Ukraine.

Alle diese Zeitpunkte waren gekennzeichnet durch verschiedene Debatten, die sehr kontrovers geführt wurden. Die Befragungen wurden in Zusammenarbeit mit Umfrageinstituten durchgeführt, die Ergebnisse interpretieren wir selbst.

VdZ: Haben Sie an der Vorgehensweise zwischen den verschiedenen Umfragen etwas geändert?

Herr Dr. Zink bei der Moderation auf dem 6. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie.
© Simone M. Neumann

Dr. Zink: Die Fragen haben wir jeweils zum Teil exakt beibehalten und zum Teil etwas angepasst, um die Entwicklungen in der Tagespolitik zu berücksichtigen. 2022 ging es vor allem um die Reaktion der Bevölkerung auf den Angriffskrieg und die Einschätzung der eigenen Bedrohungslage sowie das Verhältnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu Waffenlieferungen. In der Diskussion auf dem Kongress hat Dr. Timo Graf vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr seine Perspektive aus den Ergebnissen der letzten Dekaden ergänzt und auch in langen Linien eingeordnet, wie sich die Haltung der Bevölkerung grundsätzlich verändert hat. Das zeigte sich bei uns in den Kurz-Intervallen 2022-2024 wiederum sehr akut und konkret: Themen wie der Einsatz bewaffneter Drohnen, der lange kontrovers war, wurden plötzlich als essenziell angesehen. Auch die Zustimmung zu Waffenexporten in Kriegsgebiete, wie die Ukraine, war hoch.

Allerdings ergab sich bei der Frage nach persönlichen Beiträgen, wie der Akzeptanz von Einschränkungen oder einem stärkeren öffentlichen Auftreten der Bundeswehr, weniger Zustimmung. Besonders niedrig war die Akzeptanz für die Wiedereinführung der Wehrpflicht in der alten Form, während eine erweiterte Wehrpflicht, die auch Frauen einschließt, eine höhere Zustimmung fand. Noch beliebter war die Idee eines freiwilligen sozialen Dienstjahrs, das auch zivile Organisationen umfasst.

Insgesamt sahen wir im Mai 2024 ein gemischtes Bild: 57 Prozent der Bevölkerung befürworten höhere Verteidigungsausgaben, um das 2-Prozent-Ziel unserer Verpflichtung gegenüber der NATO zu erreichen. 68 Prozent unterstützen den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit. Die Bevölkerung steht also hinter der Bundeswehr und der NATO, aber konkrete individuelle Beiträge sind weniger populär und bedürfen guter Erklärungen. Zu bemerken ist auch, dass 60 Prozent wenig Vertrauen in die Krisenfestigkeit Deutschlands haben - ein klarer Appell an die Politik!

VdZ: Können Sie auch einschätzen, woher die Diskrepanz zwischen Zustimmung einerseits und Scheu vor persönlichen Konsequenzen andererseits kommt?

Dr. Zink: Das Phänomen lässt sich gut mit dem Begriff der Verhaltens-Intentions-Lücke erklären, wie Verhaltensforscher es nennen. Das kennen Sie aus dem Alltag, etwa beim Umweltschutz oder der Gesundheit: Man weiß genau, was gut für einen ist, wie oft man Sport treiben sollte. Doch zwischen Wissen und Handeln klafft oft eine Lücke. Auch beim Umweltschutz: Abstrakt sind alle dafür, aber konkrete persönliche Beiträge wie Verzicht oder aktives Mitwirken zeigen eine Diskrepanz.

In der Politik ist das ähnlich. Es gibt eine allgemeine Zustimmung zu Maßnahmen, aber bei der konkreten Umsetzung, besonders wenn es um persönliche Beiträge geht, fehlt die Deckungsgleichheit. Das erfordert viel Erklärung. Ein anschauliches Beispiel ist der Bundeshaushalt: Jeder Euro, der in die Verteidigung fließt, fehlt bei Renten, Kindergrundsicherung, Umweltschutz, bei anderen wichtigen Themen oder geht bei Schulden in Form von Zinslast zu Lasten künftiger Haushalte.

VdZ: Denken Sie, den Leuten ist während der Umfrage bewusst, dass sie selber diese Verhaltens-Intentions-Lücke haben?

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Nur die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich ausreichend durch die Behörden geschützt, sowohl im Inneren als auch im Äußeren. Das ist besorgniserregend.

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Dr. Zink: Die Bevölkerung darf nicht unterschätzt werden. Auch wenn sie nicht in allen Fragen fachkundig ist, hat sie ein gutes Gespür dafür, ob Dinge in die richtige Richtung gehen. Das zeigt sich in der konstant hohen Zustimmung zum Ausbau der Verteidigungsfähigkeit.

Schwierigkeiten sehen wir jedoch bei der Zuweisung von Kompetenzen. Nur die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich ausreichend durch die Behörden geschützt, sowohl im Inneren als auch im Äußeren. Das ist besorgniserregend. Die Bevölkerung hat einen kritischen Blick und hinterfragt, wofür Geld ausgegeben wird und wie effizient das ist. Besonders im Bereich der inneren Sicherheit, wie bei Migrationsthemen, fühlen sich 76 Prozent der Bevölkerung überfordert. Da zeigt sich, dass hier bessere Erklärungen und Lösungen notwendig sind.

Die aktuelle Nachrichtenlage beeinflusst die öffentliche Meinung stark. In den USA haben Politikwissenschaftler festgestellt, dass akute Bedrohungen, wie die Kuba-Krise oder 9/11, die Zustimmungswerte zu sicherheitspolitischen Fragen verändern. Sobald das Bedrohungsgefühl nachlässt, sinken die Zustimmungswerte wieder. Grundsätzliche Haltungen bei sicherheitspolitischen Fragen sind relativ stabil.

Ein weiteres Thema ist eine gewisse Müdigkeit gegenüber sicherheitspolitischen Nachrichten und damit verbunden einer Infragestellung des außenpolitischen Kurses. Viele Menschen haben Angst, sich zu verzetteln oder in einen Krieg hineingezogen zu werden. Zudem gibt es das Gefühl, dass Milliarden ausgegeben werden, ohne ausreichende Wirkung, z.B. da sie zu spät kommen, nicht ausreichen oder nicht bedarfsgerecht sind.

VdZ: Eine weitere Kernfrage des Dialogs war, ob Umfragen nur Stimmungen messen, oder selbst Stimmung machen. Was ist Ihre Erkenntnis nach den Diskussionen?

Dr. Zink: Die Quintessenz des Panels war, dass dies differenziert anzusehen ist. Umfragen kommunizieren natürlich eine Botschaft, aber ermöglichen dadurch auch eine weitere Reaktion.

Aufschlussreich war die Aussage der Mitgründerin des Meinungsforschungsinstituts Civey, Janina Mütze. Sie berichtete, dass sie bei ihren direkten Kontakten mit vielen Politiker*innen feststellt, dass diese zwar an Umfragen interessiert seien, aber nicht unmittelbar darauf reagieren, sondern lieber ihrem eigenen politischen Gespür vertrauen.

Ich glaube schon, dass durch die Verdichtung der Umfragen bestimmte Botschaften und Images kreiert werden können, wenn sie entsprechend aufgegriffen und medial unterstützt werden. Also beispielsweise das Image des zögernden Kanzlers, ablesbar an der Berichterstattung zu den Diskussionen und Entscheidungen über die Lieferung diverser Waffensysteme. Da sieht man schon, dass auch in der Presse Umfragen genutzt werden, um gegenüber der Politik eine gewisse Stimmung zu kreieren. Wie stark die Politik darauf reagiert, ist eine andere Frage. Beim Taurus hat sie sich nicht darauf eingelassen, zumindest das Kanzleramt nicht, das ja in der Angelegenheit das letzte Wort hat. Und insofern ist es differenziert zu beurteilen, aber man merkt schon durch die Verdichtung der Vielzahl der Umfragen, dass hier eine bestimmte Stimmung generiert werden kann. Das hat man in der Corona-Krise gesehen, als Dauer-Umfragen kamen zum Thema Corona-Politik und das erleben wir seit 2022 natürlich in sicherheitspolitischer Dimension.

VdZ: Frau Dr. Pietraß führte im Forum an, dass Umfragen gut gemacht sein müssen - ansonsten erfahre man nur, wonach man fragt. Welche Aspekte müssen von Ersteller-Seite bei der Gestaltung beachtet werden?

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Dr. Zink: Beim Design von Surveys ist es heutzutage besonders wichtig, dass man sich die Folgewirkung und die mögliche Rezeption vor Augen führt. Wir leben in einer Zeit der hybriden Kriegsführung und von Desinformationskampagnen, wo bewusst falsche Informationen auch von staatlichen Akteuren, insbesondere von Russland, gestreut werden: etwa um öffentliche Einrichtungen zu diskreditieren, um Zweifel zu säen bezüglich der Funktionsfähigkeit des Parteiensystems, des Staates oder der Demokratie als Ordnungsform insgesamt. Wir müssen also sehr gut überlegen: Wie formulieren wir Fragen, wie gehen wir mit Ergebnissen um und wie setzen wir sie in einen erläuternden Kontext. Wir müssen uns gerade bei sicherheitspolitischen Themen des Risikos bewusst sein, dass Zahlen und Aussagen verkürzt und verfälscht werden, dass daraus irreführende Schlagzeilen gemacht werden und dass Schlüsse aus "Zitaten" nahgelegt werden, die schlicht aus dem Zusammenhang gerissen sind. In dieser Hinsicht ist es wiederum sogar wünschenswert, dass immer wieder Umfrageergebnisse veröffentlicht werden, so dass verzerrende Interpretationen nicht lange unwidersprochen bleiben.