Wer zahlt den Preis für unseren Wohlstand?
Falko Droßmann, Verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, im Interview
Falko Droßmann ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Oktober 2024 verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Zudem ist der Oberstleutnant der Luftwaffe Obmann des Verteidigungsausschusses im Bundestag sowie queerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Zuvor leitete Droßmann von 2016 bis 2021 das Bezirksamt Hamburg-Mitte. Geboren 1973 in Wipperfürth, trat er 2001 in die SPD ein.
Verwaltung der Zukunft: Können Sie zu Beginn bitte die wichtigsten Bausteine für die Äußere Sicherheit im Wahlprogramm der SPD darlegen?
Falko Droßmann: Im Bereich der Äußeren Sicherheit ist ein wesentlicher Punkt das Bekenntnis zur NATO. Auch die Unterstützung der Ukraine steht für uns ganz klar, wenngleich wir in letzter Zeit viele Veränderungen in der internationalen Solidarität wahrnehmen mussten. Deutschland muss außerdem seiner Rolle als Drehscheibe für internationale Logistik und europäische Verteidigung gerecht werden, was auch Loyalität und den Zusammenhalt in der NATO und Europa erfordert. Deshalb hat ebenfalls die Brigade Litauen für uns eine sehr hohe Priorität, um zu zeigen, dass diese Wirtschaftsgemeinschaft zu ihren Werten steht. Meine größte Sorge gilt allerdings der Personalsituation in der Bundeswehr, die dringend verbessert werden muss, um die Lücken zu schließen und die notwendige Infrastruktur voranzutreiben.
VdZ: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Nutzung des Sondervermögens für die Bundeswehr und welche Prioritäten sollten bei der Modernisierung der Streitkräfte gesetzt werden?
Falko Droßmann: Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist mittlerweile weitgehend aufgebraucht, mit nur noch wenigen Milliarden, die zurückgeflossen sind, da aus dem Kernhaushalt Mittel genommen werden konnten, um Zinsen zu sparen. Aus meiner Empfindung haben wir die Bundeswehr nicht aufgerüstet, wie es oft gesagt wird, sondern wir haben Lücken geschlossen, die in den letzten Jahrzehnten gerissen wurden, bei den Basisfähigkeiten einer Armee.
Wir müssen eine ganz andere Finanzierung der Streitkräfte sicherstellen und die darf sich nicht am laufenden Haushalt orientieren. Die Planung war bislang ineffizient, etwa bei den Käufen einzelner Puma-Panzer, die so viele Jahre auseinanderlagen, dass am Ende der neuste mit dem ältesten Panzer gar nicht mehr funken konnte. Und das ist Unsinn. Stattdessen muss beschlossen werden: Wir kaufen jetzt 100 Stück und das kostet so und so viel. Und dann müssen wir auch zusehen, wo das Geld herkommt. Wir geben stattdessen ganz viel Geld dafür aus, die erste Generation kompatibel mit der letzten Generation zu machen.
Bitte erlauben Sie mir, dass ich jetzt nicht auch noch irgendeine wilde Zahl in den Raum schmeiße, wie viele zig Milliarden wir pro Jahr brauchen. Das muss uns die Bundeswehr sagen, das müssen uns die Streitkräfte sagen. Es ist doch genau das Problem, dass die Politik immer bestimmt, was wir haben. Die Streitkräfte müssen uns stattdessen sagen, was sie brauchen. Dann müssen wir uns fragen: Können wir das Geld auftreiben? Schaffen wir das? Können wir das nicht, müssen wir den Auftrag anpassen.
Wir müssen eine ganz andere Finanzierung der Streitkräfte sicherstellen und die darf sich nicht am laufenden Haushalt orientieren.
VdZ: Würde hier eine stärkere Konzentration auf den EU-Binnenmarkt und eine Verringerung von Rüstungsexporten aus den USA helfen?
Falko Droßmann: Die USA sind unser wichtigster Partner in fast allen Waffensystemen, und es wäre illusorisch, diese Zusammenarbeit in Frage zu stellen, da viele Systeme gemeinsam mit den USA entwickelt wurden. Wir sind auf einem guten Weg, was den EU-Binnenmarkt angeht. Die Zusammenarbeit mit Skandinavien und den Niederlanden läuft wirklich hervorragend – mit Frankreich gibt es noch Verbesserungspotenzial, was beispielsweise das Main Ground Combat System (MGCS) angeht. Auch Großbritannien, obwohl nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts, ist ein wichtiger Partner in diesem Bereich.
VdZ: Wie soll die Finanzierung der äußeren Sicherheit in der nächsten Wahlperiode konkret sichergestellt werden?
Falko Droßmann: Die in München im Rahmen der MSC getätigten Aussagen von Kommissionspräsidentin von der Leyen, den erst im April 2024 reformierten EU-Stabilitätspakt hinsichtlich höherer Rüstungsausgaben auszusetzen, begrüße ich sehr. Frieden und Sicherheit in Europa stehen auf dem Spiel. Deshalb bin ich offen für Ausnahmen für alle Investitionen in Verteidigungsgüter.
VdZ: Wie sehen Sie die wiederholten Forderungen von Donald Trump an europäische NATO-Mitglieder, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen, und welche Auswirkungen hat dies auf die deutsche Sicherheitspolitik sowie auf die transatlantischen Beziehungen?
Falko Droßmann: Wir müssen ausreichend Finanzierung bereitstellen, aber ich lehne diesen Tanz um das Goldene Kalb "Prozent vom BIP" ab, da dieser variabel ist und keine Planungssicherheit bietet. Die Streitkräfte brauchen das, was sie zur Erfüllung ihres Auftrags benötigen, unabhängig vom Prozentsatz des BIP, auch wenn das in einem Jahr 4,9 Prozent und im nächsten nur 1,9 Prozent sein kann. Wichtig ist, dass wir nicht nach Kassenlage einkaufen, was in der Vergangenheit viele Probleme verursacht hat.
Wir haben uns bislang immer sehr auf die USA verlassen, aber diese erwarten nun mehr Engagement von uns. Und ich möchte kurz sagen, das ist nicht nur etwas, was jetzt Präsident Trump eingefallen wäre, ich hätte das nicht anders bei einer anderen Präsidentin erwartet, weil der Fokus der USA sicherlich nicht mehr auf Europa liegt. Wir müssen uns mehr selbst einbringen und das ist ein dickes Brett, was wir da bohren müssen.
VdZ: Wie bewerten Sie die bestehende nationale Sicherheitsstrategie und wie sollte diese weiterentwickelt werden?
Falko Droßmann: Zunächst möchte ich betonen, dass es die erste Nationale Sicherheitsstrategie ist, die wir überhaupt haben. Die kann man den ganzen Tag kritisieren, was ich im Übrigen auch tue, und sie muss auf jeden Fall weiterentwickelt werden. Das Wichtigste sind dabei die drei Säulen – Wehrhaftigkeit, Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Wir haben hier unendlich viel zu tun, was auch unserem Föderalismus geschuldet ist. Kann denn wirklich jede Landespolizei mit der Bundeswehr funken? Kann denn wirklich jede Bundeswehr mit der Bundespolizei funken? Gibt es die Möglichkeit des bundesweit sicheren Austauschs von Datensystemen? Nö, ist alles nicht möglich. Es ist ganz egal, wer an der Regierung ist, so was muss die Nationale Sicherheitsstrategie angehen.
Eine nationale Sicherheitsstrategie muss außerdem humanitäre Fragestellungen einbeziehen, denn viele Fluchtbewegungen sind die Folge von Konflikten und Klimawandel, bei denen Europa nicht immer unbeteiligt ist und war. Ich finde, wir müssen uns dessen bewusst sein. Wir dürfen auch nicht denken, wir können eine nationale Sicherheitsstrategie an unseren Grenzen stoppen oder auch nur an europäischen Grenzen ausrichten. Ich persönlich halte das für zu kurz gedacht. Wir müssen in einer nationalen Sicherheitsstrategie auch humanitäre Fragestellungen einbeziehen.
Um das noch einmal zu verdeutlichen: Unser Wohlstand kommt ja nicht daher, weil wir die sechste Dating-App in einem Co-Working-Space in Berlin entwickeln, sondern weil wir eine Exportnation sind und stabile Länder benötigen, um dorthin zu exportieren. Wenn diese Stabilität wegfällt, fällt auch ein großer Teil unseres Wohlstands weg, was uns wieder mit sozialer und innerer Sicherheit konfrontiert. Es wäre sträflich, nur über Panzer und Raketen zu sprechen, weil das zu kurz gedacht ist und nichts löst.
Unser Wohlstand kommt nicht daher, weil wir die sechste Dating-App in einem Co-Working-Space in Berlin entwickeln, sondern weil wir eine Exportnation sind.
VdZ: Wie stehen Sie zu der Planung eines nationalen Sicherheitsrates seitens der Union?
Falko Droßmann: Sollen sie machen. Also ein Rat ist immer gut. Einen Arbeitskreis können wir auch noch machen. Alles total gut. Für mich ist das übergeordnete Problem das Ressortprinzip der Ministerien, bei dem kein wirklicher Link zwischen den Ministerien abgesehen vom Bundeskanzleramt besteht. Das ist aus meiner Sicht kaum noch richtig, da so weder die Komplexität der Probleme dargestellt noch Lösungen erarbeitet werden können. Wenn ein nationaler Sicherheitsrat das kann, dann gerne. Wenn der nationale Sicherheitsrat allerdings nur bis zu unserer Grenze denkt, ist das vielleicht für zehn Jahre eine tolle Lösung, aber danach nicht mehr. Ein nationaler Sicherheitsrat hilft uns aus meiner Sicht überhaupt nicht, wenn der Bund nicht wieder Durchgriffsmöglichkeiten bis auf die kommunale Ebene hat, wenn es um nationale Angelegenheiten geht, wie beispielsweise den Bau einer Kaserne. Heute kann jeder Gemeinderat sagen: Nö, machen wir nicht. Es ist also bestimmt klug und richtig, was die Union da vorschlägt. Ich glaube aber, dass es wie üblich unterkomplex gedacht ist.
VdZ: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen China und Deutschland in Bezug auf die wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen?
Falko Droßmann: Wenn Sie mich als Hamburger fragen, dann ist für mich klar, dass China einer der größten Nutzer im Hafen ist und wir an China sehr viel Geld verdienen. Insofern ist China Partner, ist Wettbewerber, aber ist auch Systemrivale, mit einer klaren außenpolitischen Agenda, die sie ohne Rücksicht auf andere verfolgen. Ein Beispiel: Wir haben 14 Militärbeobachter in Südsudan, ein Land mit Ölvorkommen – China ist nicht mit 14 Leuten da, sondern bald mit 2.000. Die sind auch nicht auf dem UN-Compound, sondern die haben ihre eigene Kaserne gebaut. So kann Außenpolitik auch sein. Und China benennt seine wirtschaftlichen Interessen ganz klar. Die machen uns ja nichts vor.
Wir haben genauso wie China wirtschaftliche Interessen. Ich wäre sehr froh, wenn unser Interesse nicht immer zu Lasten der Menschen in anderen Ländern geht, das unterscheidet uns dann vielleicht von den Chinesen, aber dass wir Interessen haben, das müssen wir aussprechen. Ich erwarte – und das kann auch die junge Generation von uns erwarten –, dass wir offener besprechen, wer den Preis für unseren Wohlstand zahlt und welche Verantwortung da auch mit einhergeht, aber dass es auch völlig berechtigt ist, dass wir unseren Wohlstand halten wollen. Dafür müssen wir uns überhaupt nicht schämen. Aber ja, das hat auch ganz viel mit der Volksrepublik China zu tun.
Ich erwarte, dass wir offener besprechen, wer den Preis für unseren Wohlstand zahlt und welche Verantwortung damit einhergeht, aber dass es auch völlig berechtigt ist, dass wir unseren Wohlstand halten wollen.
VdZ: Wie sollte Deutschland seine Strategie im Umgang mit Russland angesichts des anhaltenden Krieges und der aggressiven Außenpolitik Russlands in den kommenden Jahren ausrichten?
Falko Droßmann: Ich war oft in der Ukraine, nicht nur in Kiew, sondern auch wirklich weit vorne an Orten der Gefechte und habe gesehen, dass die Menschen dort nicht russisch werden wollen. Stattdessen kämpfen sie, und viele verlieren dabei ihr Leben – das macht es für mich schwer, auf politischer Ebene einfach zu urteilen. Wir dürfen Deutschland nicht in den Krieg führen, aber wir müssen die Ukraine mit allem unterstützen, was wir haben. Ich werde außerdem immer dafür werben, dass es keine Verhandlungen ohne die Ukraine gibt. Auch wenn sich im Augenblick anbahnt, dass Präsident Trump und Präsident Putin irgendwelche Lösungen über die Köpfe der Ukraine und der EU hinweg erarbeiten. Die Ukrainer wollen unser Leben leben, sie wollen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte – wir dürfen und wir werden sie nicht im Stich lassen.