Wahlen ohne Identitätsnachweis
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Wählen in München – Eine Gefährdung der Demokratie?

Wie man ohne Identitätsnachweis problemlos wählen kann

In Deutschland gilt der Wahlakt als grundlegender Pfeiler der Demokratie, doch die aktuellen Regelungen werfen Fragen zur Sicherheit und Integrität der Wahlprozesse auf. Besonders in München zeigt sich, dass Wählen oft ohne Identitätsnachweis möglich ist, was Zweifel an der Sicherheit der Stimmabgabe aufkommen lässt. Dieser Artikel beleuchtet die gesetzlichen Hintergründe und vergleicht die deutschen Praktiken mit internationalen Best Practices, um die potenziellen Gefahren für die Demokratie zu diskutieren.

Hintergrund: Europaparlamentswahl 9. Juni 2024

Zwar seit nunmehr fast 27 Jahren in Deutschland lebend, verwundert und erstaunt es den Autor immer wieder, wie sehr der Wahlakt – auch das „Hochamt der Demokratie“ genannt – hierzulande vergleichsweise auf die leichte Schulter genommen wird.

Mit Erstaunen wurde – wieder einmal – der Griff zur Brieftasche, in der sich der Personalausweis befindet, von einem Mitglied der Wahlkommission des Wahllokals Pestalozzi-Gymnasium mit einem bayerisch-jovialen „Brauch ma net“ abgeblockt und, wie so oft, die Wahlbenachrichtigung als ausreichend empfunden. Die Ehefrau, deutsche Staatsangehörige, erwiderte mit einem „Trifft sich gut, ich hab meinen Perso in der anderen Jacke“ – auch sie durfte wählen, nur durch die Wahlbenachrichtigung „ausgewiesen“.

„Brauch ma net“? Das Ausweisen bei Wahlen wird unterschiedlich gehandhabt.
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Rechtliche Zulässigkeit

In Deutschland regelt das Europawahlgesetz (EuWG) gemeinsam mit der Europawahlordnung (EuWO) diese Wahl. Während das EuWG im § 16 die Stimmabgabe eher minimalistisch mit „Der Wähler gibt seine Stimme in der Weise ab, daß er durch ein auf den Stimmzettel gesetztes Kreuz oder auf andere Weise eindeutig kenntlich macht, welchem Wahlvorschlag sie gelten soll. Der Wähler faltet daraufhin den Stimmzettel in der Weise, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist, und wirft ihn in die Wahlurne“ regelt, ist die EuWO ausführlicher.

Sie verzichtet im § 49 genau genommen sogar auf die Vorlage der Wahlbenachrichtigung, Zitat „Der Wahlvorstand kann anordnen, dass er hierzu seine Wahlbenachrichtigung vorzeigt“. Eine eventuelle Ausweispflicht hingegen ist die völlig rare Ausnahme, Zitat: „Der Wahlvorstand hat einen Wähler zurückzuweisen, der [..] sich auf Verlangen des Wahlvorstandes nicht ausweisen kann oder die zur Feststellung der Identität erforderlichen Mitwirkungshandlungen verweigert“.

Das heißt, innerhalb der BRD ist die Vorlage der Wahlbenachrichtigung, die stets mit einfacher Post in nicht besonders gesicherte Briefkästen zugestellt wird, fakultativ und die Frage nach einem Ausweis liegt völlig im Ermessen des Wahlvorstands.

Sinnhaftigkeit der deutschen Regulierungen – Best practices in Europa

Gehen die Wahlbenachrichtigungen sicher in den Herrschaftsbereich des vorbestimmten Empfängers über?

Wohl kaum. Die Briefkästen, die in fast 27 Jahren hierzulande gesehen und benutzt wurden, ermöglichten allesamt problemlos die unbemerkte und risikolose Entnahme einer „zugestellten“ Sendung. Das kommt auch durchaus vor, wie Berichte über aus dem Briefkasten gestohlene Glückwunschkarten oder Geldbriefsendungen belegen. Besonders in Wahlzeiten dürfte es kein Problem sein, solche Wahlbenachrichtigungen für Wahlbetrugszwecke zu sammeln.

In Österreich hingegen müssen nach § 34 Postmarktgesetz (PMG) Briefkästen Mindestanforderungen in Bezug auf die Sicherheit der zugestellten Sendung erfüllen: „Der Hausbriefkasten muss so beschaffen sein, dass [...] die Postsendungen durch einen geeigneten Eingriffsschutz vor dem Zugriff Dritter geschützt sind“. Eine vergleichbare Norm fehlt hierzulande trotz der ansonsten sehr hohen Regulierungsdichte.

Was den Identitätsnachweis des Wählers bei Präsenzwahl im Wahllokal betrifft – über die Unzulänglichkeit der Briefwahl in Deutschland wurde bereits ausführlich in VdZ berichtet - , so ist es z. B. in Österreich verpflichtend, sich im Wahllokal auszuweisen. Die Europawahlordnung (EuWO) regelt im § 53 Identitätsfeststellung wie folgt:

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Briefwahl; e-voting; Bayern; Müller-Török; Verwaltung; Recht

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  1. „Jeder Wähler tritt vor die Wahlbehörde, nennt seinen Namen, gibt seine Wohnadresse an und legt eine Urkunde oder eine sonstige amtliche Bescheinigung vor, aus der seine Identität einwandfrei ersichtlich ist.
  2. Als Urkunden oder amtliche Bescheinigungen zur Feststellung der Identität kommen insbesondere in Betracht: Personalausweise, Pässe und Führerscheine, überhaupt alle amtlichen Lichtbildausweise.
  3. Besitzt der Wähler eine Urkunde oder Bescheinigung der in Abs. 2 bezeichneten Art nicht, so ist er dennoch zur Stimmabgabe zuzulassen, wenn er der Mehrheit der Mitglieder der Wahlbehörde persönlich bekannt ist und kein Einspruch gemäß § 57 Abs. 1 erhoben wird. Dieser Umstand ist in der Niederschrift über den Wahlvorgang ausdrücklich zu vermerken.“

Das heißt, jedermann muss sich im Wahllokal ausweisen. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand mit einer fremden Wahlbenachrichtigung wählt, auf ein absolutes Minimum reduziert.

Auch im Vereinigten Königreich wurde nun 2024 erstmals die Pflicht zum Identitätsnachweis vorgeschrieben, in einem Land ohne Personalausweise und Meldepflicht auf einem anderen Weg: Neben Reisepässen und Führerscheinen und Dienstausweisen sind auch Behindertenausweise und sogar bestimmte ÖPNV-Jahreskarten akzeptiert. Sogar der ehemalige Premierminister Boris Johnson wurde wieder nach Hause geschickt, als er bei den Kommunalwahlen im Mai 2024 keinen Identitätsnachweis vorweisen konnte.

Dies deckt sich auch mit den Vorgaben des Europarats. In vielen Dokumenten wird klargestellt, dass die Identifikation und Authentifizierung des Wählers entscheidend für die Integrität der Wahlen sind, so z. B. in „REPORT ON ELECTORAL LAW AND ELECTORAL ADMINISTRATION IN EUROPE - Synthesis study on recurrent challenges and problematic issues“:

„Voter identification

The process of voter identification is of paramount importance for the overall integrity of the electoral process. Before voting, voters are required to prove their identity, usually through identity or specific voters’ documents. It is important that the electoral legislation and instructions by the electoral management bodies clearly specify what kind of identity document is valid for the purpose of voter identification.“ (Hervorhebungen des Autors)

„Wähleridentifikation
Der Prozess der Wähleridentifikation ist von größter Bedeutung für die allgemeine Integrität des Wahlprozesses. Vor der Stimmabgabe müssen Wähler ihre Identität nachweisen, in der Regel durch Ausweisdokumente oder spezielle Wählerdokumente. Es ist wichtig, dass die Wahlgesetze und Anweisungen der Wahlverwaltungsbehörden klar festlegen, welche Art von Ausweisdokument für die Wähleridentifikation gültig ist."

Man sollte sich keiner Illusion hingeben: Eine Wahlbenachrichtigung aus einem Briefkasten zu stehlen und sich selbst im Wahllokal damit „auszuweisen“, ist in Deutschland kein Problem und nur mit geringem Risiko behaftet. Notfalls hilft ein „Oh, jetzt hab ich meinen Ausweis vergessen, ich hol ihn schnell“, um unerkannt wieder zu entkommen.

Das mag in Zeiten, als die Mehrheiten deutlich und glasklar waren, akzeptabel gewesen sein. In Zeiten, in denen z. B. fünf Stimmen über den Einzug oder Nichteinzug der FDP in den Thüringer Landtag entscheiden, 23 Stimmen Vorsprung bei Bürgermeisterwahlen Normalität sind, ist das von Bedeutung. Zudem ist eine immer stärkere Polarisierung des politischen Raums erkennbar. Damit steigt auch die Bereitschaft bei „Aktivisten“, ihrer Seite mit illegalen Mitteln Vorteile zu verschaffen.

Fazit

In einer funktionierenden Demokratie sollte es selbstverständlich sein, dass sich ein Wähler im Wahllokal ausweist. Gerade in Zeiten politischer Radikalisierung ist es wichtig, dass die Integrität der Wahl gegeben ist. In Deutschland, wo sowohl Meldepflicht als auch Personalausweispflicht gegeben ist, sollte dies kein Problem sein. Die bisherige Praxis, die es ermöglicht, mit aus einem Briefkasten gefischten Wahlbenachrichtigungen zumindest zu wählen zu versuchen, erscheint in diesem Lichte unseriös und gefährdet die Glaubwürdigkeit unserer Demokratie.

Nachtrag: Bei einer britischen Unterhauswahl in Glasgow ist nun exakt der beschriebene Fall eingetreten. Am 4. Juli unterbrachen Polizeibeamte die Auszählung der Parlamentswahl wegen Betrugsverdachts, nachdem Bedenken wegen möglicher Identitätserschleichung bei mehreren Stimmzetteln aufkamen. Es wurde anscheinend versucht, mit einer vorgetäuschten Identität abzustimmen.