Baden-Württemberg
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Ziel: Baden-Württemberg als europäische Leitregion des digitalen Wandels

CIO/CDO Stefan Krebs im Interview

Baden-Württemberg will digitale Maßstäbe setzen – doch wie gelingt das? Im Gespräch mit CIO/CDO Stefan Krebs erfahren wir, wie digital.LÄND Wohlstand, Nachhaltigkeit und digitale Souveränität fördern soll und was das Land für die Zukunft plant.
Ministerialdirektor Stefan Krebs wurde 1960 in Neckarsulm geboren. Sein Studium als Diplom-Verwaltungswirt an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg schloss er 1986 ab. Nach mehreren Jahren als Entwickler und Projektleiter bei der Datenzentrale Baden-Württemberg und dem Regionalen Rechenzentrum Franken wechselte er 1990 in den Bankensektor und verantwortete unter anderem das IT-Sicherheitsmanagement der LBBW. Seit 2001 war er in unterschiedlichen Führungspositionen bei der Finanz Informatik, dem IT-Dienstleister der Sparkassen-Finanzgruppe, in Hannover tätig. Am 1. Juli 2015 wurde er zum ersten Beauftragten der Landesregierung für Informationstechnologie ernannt.
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Verwaltung der Zukunft: Die Digitalisierungsstrategie digital.LÄND wurde 2022 beschlossen. Was sind die zentralen Ziele dieser Initiative?

Stefan Krebs: Erfolgreiche Digitalisierung – das geht nur gemeinsam. Gerade auch der Staat muss hier seinen Beitrag leisten. Und Baden-Württemberg geht hier mutig voran: Mit unserer Digitalisierungsstrategie digital.LÄND knüpfen wir gezielt an unseren bisherigen Erfolge an und entwickeln unsere Potenziale konsequent weiter. Wir setzen auf vier Hauptziele: Wohlstand, Nachhaltigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und digitale Souveränität. Im Fokus stehen für uns hierfür die Grundlagen der Digitalisierung – von digitaler Infrastruktur und Cybersicherheit bis hin zur gezielten Förderung von Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz und Blockchain.

VdZ: Welche Fortschritte möchten Sie in den nächsten 5 Jahren im Rahmen von digital.LÄND und in der Modernisierung von Baden-Württemberg sehen?

Krebs: Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen, dass Baden-Württemberg zur Leitregion des digitalen Wandels in Europa wird. Deshalb gestalten wir als Landesregierung die Digitalisierung aktiv mit. In den nächsten fünf Jahren möchten wir Fortschritte erzielen, die nicht nur die Innovationskraft stärken, sondern auch den Wohlstand und die Lebensqualität im Land sichern. Besonders wichtig ist hierbei der flächendeckende Ausbau der Breitbandnetze, damit wirklich jeder davon profitieren kann. Schnelles Internet im ganzen Land ist die unerlässliche Basis für den digitalen Fortschritt. Hier haben wir bereits massiv investiert und fahren diesen erfolgreichen Kurs weiter fort: Für den kommenden Doppelhaushalt 2025/2026 sind im Regierungsentwurf des Landes insgesamt 1,1 Milliarden Euro für die Breitbandförderung vorgesehen. Zum anderen geht es darum, bestehende Systeme zu modernisieren, Prozesse zu automatisieren und dabei die Cybersicherheit immer im Blick zu behalten.

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Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen, dass Baden-Württemberg zur Leitregion des digitalen Wandels in Europa wird.

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VdZ: Gibt es konkrete Projekte, die besonders erfolgreich verlaufen und sogar Vorbildcharakter für andere Bundesländer oder die Bundesebene haben?

Krebs: Ein richtig gutes Beispiel ist unser Projekt MEDI:CUS. Es hat das Potenzial, den
Gesundheitssektor komplett zu verändern und zwar schon bei der klinischen Versorgung. Anstatt auf viele isolierte und teure Einzellösungen zu setzen, entwickeln wir gemeinsam mit unseren Partnern eine universelle und hochsichere cloudbasierte Plattformlösung für den Gesundheitssektor. So brechen wir Datensilos auf, machen Gesundheitsdaten optimal nutzbar und entlasten Fachpersonal vor Ort. Unser Ziel ist es, die richtigen Daten genau dort bereitzustellen, wo sie gebraucht werden, um Spitzenmedizin und Spitzenforschung zu garantieren. Übrigens ist auch das Projektvorgehen selbst in dieser Form wegweisend und bei einem so hochkomplexen Vorhaben auch unbedingt notwendig: Wir bauen mit starken Umsetzungspartnern die Plattform und erste Dienste in einer möglichst agilen Vorgehensweise schnell und vor allem mit intensiver Beteiligung vieler Akteure aus den Kliniken auf. In gemeinsamen Arbeitsgruppen legen wir den Fokus auf ganz konkrete Anwendungsszenarien, die in kurzer Zeit praxistauglich umgesetzt, getestet und weiterentwickelt werden können. Stück für Stück entsteht so unter Koordination des Landes ein ganzes Ökosystem aus Umsetzungspartnern, Anbietern und Nutzenden, das die Plattform auch in Zukunft kontinuierlich und gemeinsam weiterentwickelt. Und das auch ganz klar über Baden-Württemberg hinauswachsen soll. Mit solchen Projekten zeigen wir, dass Baden-Württemberg in Sachen Digitalisierung vorne mitspielt.

VdZ: Wie stellen Sie sicher, dass die Digitalisierungsziele in allen Regionen Baden-Württembergs gleichmäßig umgesetzt werden – besonders in ländlichen und strukturschwächeren Gebieten?

Krebs: Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Digitalisierungsziele überall in Baden-Württemberg, auch in ländlichen Regionen, gleichmäßig umgesetzt werden. So priorisieren wir beispielsweise den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Mit unserer Breitbandförderung setzen wir ein starkes Zeichen, dass bei der Digitalisierung niemand in Baden-Württemberg zurückgelassen wird und unterstützen aktiv den Ausbau des schnellen Internets in Gebieten, wo es sich für Unternehmen alleine nicht lohnt. Seit dem Jahr 2016 wurden für 3.629 Förderprojekte vom Land 2,87 Mrd. Euro und vom Bund weitere 3,51 Mrd. Euro, zusammen rund 6,38 Mrd. Euro, zur Verfügung gestellt. Das macht uns bundesweit zum Spitzenreiter beim geförderten Breitbandausbau. Mit diesem erfolgreichen Vorgehen tragen wir maßgeblich zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in unserem Land bei.

VdZ: Wie nehmen die Bürger und Unternehmen in Baden-Württemberg digital.LÄND an?

Krebs: Die meisten Bürgerinnen und Bürger nehmen unsere Digitalisierungsstrategie ziemlich positiv wahr. Klar, oft hören wir den Wunsch, dass alles schneller gehen könnte – das ist aber wegen der begrenzten Ressourcen nicht immer so einfach. Die Digitalisierung ist ein dynamischer Prozess und eine Daueraufgabe. Deshalb passen wir unser Vorgehen kontinuierlich an.

VdZ: Wie wird sichergestellt, dass auch weniger digital-affine Gruppen oder ältere Bürger an den neuen Angeboten teilhaben können und aktiv zur Nutzung motiviert werden?

Krebs: Die Digitalisierung durchdringt immer stärker alle Lebensbereiche und Lebensphasen der Menschen. Dabei darf niemand abgehängt werden. Hierfür gehen wir die jeweils spezifischen Voraussetzungen und Herausforderungen ganzheitlich an. Es gibt dazu verschiedene Initiativen der Fachressorts. So unterstützt zum Beispiel das Kultusministerium Bildungsprogramme für Seniorinnen und Senioren im Bereich Digitalisierung.

VdZ: Welche innovativen Technologien (z. B. KI, Blockchain) sollen in Zukunft verstärkt eingesetzt werden, um Verwaltungsprozesse weiter zu optimieren und die Effizienz zu steigern?

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Um erfolgreich zu sein, brauchen wir gezielte Investitionen in Weiterbildung und die Gewinnung spezialisierter Fachkräfte. So bleibt die Verwaltung zukunftsfähig und auch als Arbeitgeber attraktiv.

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Krebs: Künstliche Intelligenz (KI) bietet riesiges Potenzial, um unsere Verwaltungsprozesse effizienter zu gestalten und gleichzeitig unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten. KI kann zum Beispiel Dokumente analysieren, Texte automatisch erstellen oder Such- und Übersetzungsfunktionen verbessern. KI-gestützte Chatbots helfen dabei, den Kundenservice und die Bürgerkommunikation zu verbessern. Darüber hinaus ermöglicht KI präzisere Datenanalysen, trägt zur Früherkennung von Cyberangriffen bei und unterstützt in Folge zielgerichtete Entscheidungen. Sie leistet einen wichtigen Beitrag, die Effizienz zu steigern und den Fachkräftemangel zu bewältigen. Gleichzeitig macht der Einsatz moderner Technologien die Verwaltung zu einem attraktiveren Arbeitgeber. Deshalb wollen und werden wir den Landesmitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld anbieten, dass alle Möglichkeiten von KI bietet: Von der Texterstellung über die Bilderkennung und Bildgestaltung bis hin zur Spracherkennung und Sprachausgabe. Mit der Weiterentwicklung unserer Verwaltungs-KI F13 haben wir hierfür bereits den ersten Schritt gemacht. Klar ist dabei auch: Um erfolgreich zu sein, brauchen wir gezielte Investitionen in Weiterbildung und die Gewinnung spezialisierter Fachkräfte. So bleibt die Verwaltung zukunftsfähig und auch als Arbeitgeber attraktiv.

VdZ: Baden-Württemberg plant innovative LoRaWAN-Projekte für Smart Cities und Smart Regions. Wie können diese Projekte gerade ländliche Kommunen unterstützen, und welche konkreten Anwendungsbeispiele gibt es dafür?

Krebs: LoRaWAN ist ein intelligentes Werkzeug für eine smarte digitale Stadt. Die Technologie eröffnet Städten und Gemeinden neue Möglichkeiten. Dieses stromsparende Funknetz ermöglicht eine schnelle und einfache Vernetzung für batteriebetriebene IoT-Anwendungen mit kleinen Datenmengen. Das macht es ideal für kleine Gemeinden im ländlichen Raum, aber auch für Städte. Sie kann den Parkverkehr intelligent steuern, indem sie Autofahrerinnen und Autofahrer zu freien Plätzen führt. Sie kann die Beleuchtung nach Bedarf einstellen und damit entweder Energie sparen oder Plätze besser ausleuchten – und vieles mehr. Solche datenbasierten Entscheidungen verbessern die Lebensqualität, sparen Ressourcen und verringern die Umweltbelastungen. Klar ist: Mit dieser Technologie profitieren die Menschen im Land auf allen Ebenen. Und genau deshalb fördern wir als Landesregierung innovative Projekte, die LoRaWAN praktisch anwenden. Das ist ein echter Gewinn für alle.

VdZ: Welche strukturellen Anpassungen im föderalen System wären aus Ihrer Sicht hilfreich, um die digitale Transformation in Deutschland zu beschleunigen?

Krebs: Eine Bündelung der IT-Kompetenzen und Verwaltungsaufgaben wäre hierfür ein zentraler Hebel. Dies würde Standardisierungen fördern, Reibungsverluste minimieren und eine einheitliche digitale Infrastruktur schaffen. Dezentrale Strukturen, wie die große Anzahl von Kfz-Zulassungsbehörden, sind oft einfach nicht effizient. Zentralisierte Lösungen, wie wir sie in Baden-Württemberg testen, könnten hier viel verbessern. Ein weiteres großes Thema ist der Fachkräftemangel. Studien sagen, dass bis 2030 rund eine Million Fachkräfte im öffentlichen Sektor fehlen könnten. Deshalb ist die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen sehr wichtig. Neben der Nutzung Künstlicher Intelligenz, die Verwaltungstätigkeiten automatisieren und vereinfachen kann, sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen erforderlich, um den Transformationsprozess zu beschleunigen und effektiver zu gestalten.

„Ein optimales Szenario für die föderale Zusammenarbeit würde eine harmonisierte IT-Landschaft beinhalten, bei der wir mit standardisierten Plattformen und offenen Schnittstellen arbeiten.“
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VdZ: Wenn Sie sich ein optimales Szenario für die föderale Zusammenarbeit in der Zukunft vorstellen könnten – wie würde dieses aussehen?

Krebs: Ein optimales Szenario für die föderale Zusammenarbeit würde eine harmonisierte IT-Landschaft beinhalten, bei der wir mit standardisierten Plattformen und offenen Schnittstellen arbeiten. Das würde einen reibungslosen Datenaustausch zwischen den verschiedenen Ebenen ermöglichen. Zentrale IT-Dienste wie Cloud-Infrastrukturen, verbindliche Standards in Datenschutz, IT-Sicherheit und Prozessdigitalisierung sowie der Einsatz moderner Verschlüsselungs- und Authentifizierungstechnologien wären dabei wünschenswert. Der IT-Planungsrat spielt dabei eine wichtige Rolle, indem er gemeinsame Lösungen, Standards und Richtlinien entwickelt, um Interoperabilität und Effizienz zu gewährleisten. Die Förderung von Open Source-Lösungen und die enge Abstimmung zwischen den Ebenen der Verwaltung sind ebenfalls entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche föderale Zusammenarbeit.

VdZ: Die Digitalakademie@bw spielt eine zentrale Rolle bei der Qualifizierung von Führungskräften und Kommunen. Wie wird das Schulungsprogramm weiter ausgebaut, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden?

Krebs: Der digitale Wandel beginnt in den Köpfen der Menschen. Genau hier setzen wir mit unserer Digitalakademie@bw an. Sie unterstützt ganz gezielt die Menschen vor Ort dabei, den digitalen Wandel aktiv zu gestalten und stattet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen des Landes mit den passenden Werkzeugen, Wissen und Fähigkeiten aus, um die Herausforderungen rund um den digitalen Staat zu meistern. Seit 2018 wurden dadurch bisher mehr als 1.600 kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Inhouse-Schulungen mit Themen rund um die digitale Verwaltung qualifiziert. Daneben hat die Digitalakademie@bw in mehrtägigen Qualifizierungsreihen mehr als 1.400 kommunale Digitallotsen ausgebildet – alles mit dem Ziel, ein starkes Netzwerk an „Digitalisierern“ auf- und auszubauen. Den Impulsen aus der Digitalakademie@bw folgend haben die Partner und Akteure aus den Bereichen von Kommunal- und Landesverwaltung, Innovation und Bildung Qualifizierungsangebote für Verwaltungsmitarbeitende in ihr Portfolio aufgenommen.